Zu fett, zu süß, zu viel: Unser Essen macht dick und schlägt buchstäblich auf den Magen. Schon jeder Fünfte leidet an Sodbrennen. Wie man jetzt weiß, löst nicht falsche Ernährung allein die Beschwerden aus. Auch das falsche Essverhalten spielt eine wichtige Rolle: Dauerndes Snacken und hastiges Schlingen wirken sich genauso fatal aus wie Schnitzel und Schaumrollen im Übermaß. Aufgrund jüngster Erkenntnisse warnen Experten heute aber auch vor der Langzeiteinnahme von Mitteln gegen das Sodbrennen. Was also tun? MEDIZIN populär informiert, was Betroffenen schadet – und hilft.
Von Mag. Sabine Stehrer & Mag. Karin Kirschbichler
XXL steht heute längst nicht mehr nur für eine Kleidergröße: XXL-Burger, XXL-Schnitzel, XXL-Becher voll Cappuccino und Cola werden beinahe an jeder Ecke angeboten. Dass Essens- und Getränkeportionen zuletzt immer größer geworden sind, ist sogar wissenschaftlich dokumentiert. So haben Forscher des US-amerikanischen „National Heart, Lung and Blood Institutes“ Bagel und Burger, Cola-Flaschen und Verpackungen für Naschereien aus den Jahren seit 1970 mit den angebotenen Produkten von heute verglichen: Alles ist deutlich voluminöser als vor 40 Jahren.
Das Problem dabei: „Wir neigen dazu, alles aufzuessen beziehungsweise leerzutrinken, was wir bekommen, auch wenn wir gar nicht mehr hungrig oder durstig sind“, weiß die Wiener Diaetologin Barbara Angela Schmid. Und die Folge davon: Die XXL-Portionen überdehnen den Magen. Kommt es wiederholt zu Überdehnungen, wird der Muskel, der das untere Ende der Speiseröhre zum Magen hin verschließt, ausgeleiert. Versagt dieser Muskel, so hat die Magensäure freie Bahn und fließt in die Speiseröhre. GERD (Gastroesophageale Reflux Disease) bzw. Reflux, auf Deutsch Rückfluss, nennen das die Mediziner, da die Säure in einen zurückliegenden Teil des Verdauungstrakts gelangt. Anders als im Magen ist die Schleimhaut der Speiseröhre aber nicht dafür geschaffen, mit Magensäure in Berührung zu kommen: Sie reagiert auf die Säure meist mit einem Brennen, dem Sodbrennen.
Zu viel, zu oft, zu hastig
Ob XXL-Burger, Maxi-Pizza, Riesenschnitzel oder das All-you-can-eat-Menü: Das Essen viel zu großer oder reichhaltiger Mahlzeiten und das Übergewicht, das aufgrund dessen entstanden ist, gelten als Hauptursachen für Sodbrennen. „Der Druck, den das Bauchfett auf das Ventil zwischen Magen und Speiseröhre ausübt, verschlimmert Reflux“, verdeutlicht Schmid.
Dazu kommt, dass die (übergroßen) kulinarischen Verführungen heute immer und überall locken. Die ständige Verfügbarkeit von Nahrung verleitet zu einer weiteren Essgewohnheit, die Sodbrennen hervorrufen kann: „Wir neigen dazu, viel zu oft zu essen“, so Schmid. Nach der Frühstückssemmel einen Schokoriegel, nach dem Mittagessen ein paar Kekse zum Nachmittagskaffee, eine Handvoll Salzstangerln vor dem Abendessen und später auf der Couch noch Chips und Pralinen: „Wer so oft isst, lässt den Magen nie zur Ruhe kommen“, erklärt Schmid die Folgen des Snackens. Um die laufend gelieferte Nahrung in verwertbare Bestandteile aufspalten zu können, muss der Magen permanent Magensäure produzieren. Und das kann zu Rückfluss und Sodbrennen führen. Weiter angefacht wird das „Feuer im Bauch“ durch ein heute ebenfalls verbreitetes Essverhalten: Das Schlingen und Nebenher-Essen, „was wir meistens dann tun, wenn wir gestresst sind“, sagt Schmid.
Ernährung als Therapie
Während diese physikalischen Ursachen für Sodbrennen bislang bei der Therapie noch weitgehend unbeachtet geblieben sind, kennt man die biochemischen Auslöser des Leidens schon länger: die Art der Ernährung selbst. „Es ist nicht egal, wie die Nahrung zusammengesetzt ist“, bringt es Schmid auf den Punkt. „Der Schließmuskel zwischen Speiseröhre und Magen verliert seine Spannung zum Beispiel um ein Drittel, wenn Fettreiches gegessen wird.“ Aber auch stark zuckerhältige Speisen, Alkohol, Kaffee & Co schwächen das Ventil, das der Magensäure ihre natürlichen Grenzen aufzeigt (siehe „Ernährung bei Sodbrennen“ ganz unten).
Mit der zunehmenden Verbreitung der schlechten Ernährungsgewohnheiten steigt die Zahl der Refluxerkrankungen stetig an. Schon jetzt sind 20 Prozent der Österreicher, das ist jeder Fünfte, von Sodbrennen geplagt, weiß Reflux-Experte Prim. Univ. Prof. Dr. Rainer Schöfl, Vorstand der IV. Internen Abteilung am Krankenhaus der Elisabethinen in Linz. „Viele leiden nur einmal im Monat oder einmal in der Woche an Sodbrennen“, sagt Schöfl. Manche haben aber fast jeden Tag, ja sogar in der Nacht Beschwerden.
Um die essbaren Wurzeln dieses Übels zu identifizieren, rät die Diaetologin Schmid, ein Ernährungstagebuch zu führen. Genaue Aufzeichnungen über Art, Menge und Zusammensetzung der Nahrung, aber auch über das Essverhalten sind die Basis einer Ernährungstherapie, die „immer am Anfang der Behandlung von Reflux stehen beziehungsweise mit ihr einhergehen sollte“, so Schmid. Ziel der Therapie ist es, nicht nur andere Lebensmittel, sondern auch anders zu essen. Je früher Ernährungsmuster korrigiert werden, gegebenenfalls auch mit dem Ziel, Übergewicht abzubauen, desto besser wirkt die Veränderung. Schmid: „Aber sie hilft auch Menschen, die schon lange an Reflux leiden.“
Vorsicht bei dauernder
Medikamenteneinnahme
„Wie sehr ein Mensch durch Reflux belastet und wie behandlungsbedürftig er ist, das kann nur er selber beantworten“, sagt Experte Schöfl. Dennoch hat die Medizin Richtlinien gesetzt. So wird ein einmaliges Auftreten von Sodbrennen im Monat noch als Befindlichkeitsstörung gewertet, für deren Behandlung oft eine Ernährungsumstellung und gegebenenfalls der Abbau von Übergewicht ausreichen. Wer einmal oder öfter in der Woche an Reflux leidet, dem wird zusätzlich geraten, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
„Man braucht bei der Behandlung der Refluxerkrankung nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen zu schießen“, appelliert Schöfl. „Vielen Betroffenen ist schon geholfen, wenn sie Antazida nehmen.“ Diese Mittel, die die Magensäure neutralisieren und sanfte Nachfolger von Speisesoda sind, wirken nur lokal in Speiseröhre und Magen und sonst nirgends. „Deswegen eignen sie sich auch gut für Schwangere“, erklärt Schöfl. Nach einiger Zeit der täglichen Einnahme sollte man die Antazida wenn möglich dennoch nur mehr im Akutfall nehmen, weil bei Langzeiteinnahme unerwünschte Nebenwirkungen drohen. Schöfl: „Antazida lösen nicht selten einen Rebound-Effekt aus.“ Dieser bringt mit sich, dass in Reaktion auf die Mittel mehr Magensäure produziert wird, was wiederum dazu führt, dass die Beschwerden nach einer gewissen Zeit häufiger auftreten und schlimmer werden.
„Ist das bereits der Fall, oder helfen die Antazida von Anfang an nicht, empfehlen sich Protonenpumpenhemmer“, so Schöfl. „Diese haben sich in der Behandlung von Reflux bewährt, wirken, indem sie die Produktion von Magensäure drosseln und können über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, ohne zu schaden.“ Über einen längeren Zeitraum, das heißt fünf bis zehn Jahre, aber nicht länger und schon gar nicht lebenslang. Erst kürzlich wurde nämlich festgestellt, dass bei längerer Einnahmedauer Kalziummangel entstehen kann, der das Risiko für die Erkrankung an Osteoporose (Knochenschwund) erhöht. Auch ein Eisen- und Magnesiummangel sowie eine erhöhte Neigung, an Allergien zu erkranken, wurden bei Langzeitanwendung von Protonenpumpenhemmern entdeckt.
Die Erklärung für diese Folgeerscheinungen: Magensäure löst Nährstoffe wie Magnesium, Eisen und Kalzium aus der Nahrung, sodass sie der Körper verwerten kann. Zusätzlich verätzt Magensäure allergieauslösende Substanzen, die über die Nahrung aufgenommen werden. Auch Bakterien werden von der Magensäure abgetötet: Deshalb macht die Einnahme von Protonenpumpenhemmern schon vom ersten Tag an besonders anfällig für Magen-Darminfektionen. Wer trotzdem bei diesen Mitteln bleiben möchte, dem rät Schöfl, vorsorglich die Knochendichte messen und das Blut auf mögliche Nährstoffmängel untersuchen zu lassen. Außerdem gilt es, insbesondere auf Reisen in Länder, wo Montezumas Rache regiert, beim Essen aufzupassen.
Untersuchung schafft Klarheit
Noch ehe man zu Protonenpumpenhemmern oder Antazida greift, ist freilich eine ärztliche Untersuchung angesagt, die im Wesentlichen aus einer Endoskopie der Speiseröhre besteht. „Manchmal zeigt sich bei der Untersuchung, dass nicht Reflux, sondern eher eine Entzündung der Magenschleimhaut hinter den Schmerzen steckt, also eine Gastritis, was durch eine Magenspiegelung abgeklärt werden kann“, erklärt Univ. Prof. Dr. Martin Riegler vom AKH in Wien, Spezialist für die Behandlung von Refluxerkrankungen und Gründer sowie Leiter des ersten Reflux-Excellence-Centers Europas mit Standort in Wien.
Besteht tatsächlich Reflux, sehen die Ärzte bei der Endoskopie auch, wie weit fortgeschritten die Erkrankung ist bzw. welche Schäden sie bereits verursacht hat. So kann es sein, dass das untere Ende der rund 25 Zentimeter langen Speiseröhre durch den Kontakt mit der Magensäure bereits so entzündet und angeschwollen ist, dass die Speiseröhre bei der Einmündung in den Magen nicht mehr wie eine Flöte aussieht, sondern trompetenförmig auseinandergeht.
OP in schweren Fällen
Bei Menschen, die schon viele Jahre an Reflux leiden, hat aber oft nicht nur die Speiseröhre ihre Flötenform verloren, sondern das Gewebe in der Röhre ist durch die Entzündungen stark verändert, häufig haben sich auch Geschwüre gebildet. Dann sprechen Mediziner vom Barrett-Syndrom. „Anhand von Gewebeproben, die der Speiseröhre entnommen werden, kann man durch die sogenannte Chandrasoma-Klassifikation, ein noch neues Untersuchungsverfahren, erkennen, ob das Risiko besteht, dass sich aus dem Barrett-Syndrom Krebs entwickelt. Bei entsprechendem Risiko sollte die Barrett-Schleimhaut unbedingt entfernt werden“, so Riegler. Grundsätzlich, das zeigen Statistiken, entsteht bei immerhin einem von zehn Betroffenen aus der Gewebeveränderung binnen 20 Jahren Speiseröhrenkrebs. Und der wird wiederum bei rund 300 Österreichern im Jahr neu diagnostiziert – etwa die Hälfte stirbt daran.
Manschette um die Speiseröhre
Bei der operativen Behandlung der Refluxerkrankung wird der Ausgang der Speiseröhre wieder verengt und abgedichtet. Das geschieht mit Hilfe der sogenannten Fundoplicatio, einer altbewährten Operationsmethode, bei der ein Teil des Magens wie eine Manschette um die Speiseröhre geschlungen wird. Hat die Entzündung die Speiseröhre so aufquellen lassen, dass sie auch schon einen Riss im Zwerchfell verursacht hat, muss dieser ebenfalls verschlossen werden.
Sind die operativen Maßnahmen überstanden, die Operationswunden abgeheilt, und bleiben die Patienten bei einem veränderten Essverhalten, brauchen sie meist keine Medikamente mehr zu nehmen, um von Sodbrennen verschont zu bleiben. „80 bis 90 Prozent der Operierten haben bis an ihr Lebensende Ruhe vom Reflux, das ist ein sehr guter Heilungserfolg“, berichtet Riegler. Nur acht Prozent der Betroffenen brauchen fünf Jahre nach der OP neuerlich eine Operation.
Neue Methoden geben Hoffnung
Jüngst entwickelte Methoden geben Hoffnung, dass es in Zukunft zu solch schweren Operationen vielleicht gar nicht mehr zu kommen braucht. So kann Betroffenen in einem frühen Stadium der Erkrankung, in dem die Speiseröhre lediglich ihre Flötenform am unteren Ende verloren hat, ein neuartiger Eingriff helfen, den Experte Riegler bereits anwendet. „Dabei wird ein elastisches Band aus kleinen, magnetisierten Titanstückchen über einen kleinen Schnitt in den Bauchraum eingeführt und um das untere Ende der Speiseröhre gelegt“, erklärt der Chirurg. Das Magnetband formt die zur Trompete gewordene Speiseröhre wieder zur Flöte, das Ventil wird wieder dicht. Noch im Entwicklungsstadium befinden sich weitere OP-Methoden, um das um sich greifende „Feuer im Bauch“ frühzeitig einzudämmen.
Gegen die XXL-Rationen in Pappgeschirr gibt es bereits Bestrebungen von nichtmedizinischer Seite: So dürfen etwa in New York ab kommenden März Limonadenportionen die Halblitermarke nicht mehr überschreiten.
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Was ist Sodbrennen?
Sodbrennen ist ein Symptom der sogenannten Refluxerkrankung, wobei Reflux für den Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre steht. Zum Rückfluss kommt es dann, wenn der Schließmuskel zwischen Speiseröhre und Magen undicht ist. So gerät Magensäure auf die Schleimhaut der Speiseröhre – und das erzeugt Sodbrennen.
Die Refluxerkrankung kann sich aber auch anders äußern: Es können dadurch auch Übelkeit und Erbrechen, saures Aufstoßen, Schmerzen und ein Druckgefühl im Oberbauch, Halsweh, Heiserkeit, Husten, asthmaartige Anfälle und Entzündungen von Bronchien und Lunge, Kiefergelenks- und Ohrenschmerzen auftreten. „Zur Verlagerung des Problems in andere Körperregionen kommt es, wenn die Nerven in der Speiseröhre, die durch die Magensäure gereizt werden, den Reiz nicht an Ort und Stelle entladen, sondern woanders“, erklärt Reflux-Experte Univ. Prof. Dr. Martin Riegler.
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Wozu dient Magensäure?
Die Magensäure, die Menschen mit Sodbrennen auf vielfache Art und Weise quälen kann, leistet eigentlich große Dienste für unsere Gesundheit: Der Magensaft kann nicht nur Nahrung zu Brei, sondern auch Nährstoffe verwertbar machen. Darüber hinaus verätzt die Säure krankmachende Keime und allergieauslösende Substanzen. Täglich werden zwei bis zweieinhalb Liter der gelb-grünlichen Flüssigkeit produziert, und zwar nicht nur beim Essen selbst, sondern schon beim Duft oder Anblick kulinarischer Köstlichkeiten. Ja sogar bereits dann, wenn wir nur ans Essen denken, wird die Produktion angekurbelt, und der pH-Wert der Säure sinkt.
Ernährung bei Sodbrennen
Erfahren Sie hier, was schadet und was hilft.
Buchtipp:
Gruber, Gschwantler, Weiss:
Schluss mit Sodbrennen.
Reflux, Gastritis, Magengeschwüre & Reizmagen.
ISBN 978-3-902552-91-4,
128 Seiten, € 14,90,
Verlagshaus der Ärzte
Stand 01/2013