Neurologie & Psyche

Drücken Sie die Pause-Taste!

Wenn sich der Alltag wie ein ewiges Hamsterrad anfühlt und die Seele Alarm schlägt, hilft nur eines: Offline gehen, das Hirn auslüften und neue Energie für die Herausforderungen des Lebens tanken.

Von Natascha Gazzari

Mag. Romana Wiesinger
Mag. Romana Wiesinger „Bewusste Pausen – ohne digitale Ablenkung – helfen uns dabei, gedanklich zur Ruhe zu kommen.“

Die To-Do-Liste auf dem Schreibtisch wird immer länger, die Kinder müssen zum Sport gebracht werden, der Geburtstag der Schwiegermutter steht an und das neue Haustier namens „Lurch“ fühlt sich in der ganzen Wohnung pudelwohl. Dass wieder einmal alles zu viel ist, merkt man spätestens dann, wenn sich die Kopfwehtage häufen, der Magen rebelliert oder der Schlaf alles andere als erholsam ist. Stecken wir in einer ständigen Stress-Spirale und ist der Tag von früh bis spät durchgetaktet, leidet nicht nur das psychische, sondern langfristig auch das körperliche Wohlbefinden. Wie wichtig die mentale Gesundheit ist, wird besonders in jenen Zeiten spürbar, in denen gefühlt kein Stein auf dem anderen bleibt und die Welt von einer Krise in die nächste schlittert. Das beobachtet auch die in Perchtoldsdorf und Wien tätige Psychotherapeutin Mag. Romana Wiesinger täglich in ihrer Praxis: „Gerade in Krisen zeigt sich, dass Menschen, die psychisch stabil und zufrieden mit sich und ihrem Leben sind, mit herausfordernden Situationen viel besser klarkommen als jene, die bereits in Sorgen und Zweifel eingebettet sind.“

Mentale Gesundheit im Fokus

Früher meist sträflich vernachlässigt, rückt die mentale Gesundheit in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus. Dass Körper, Geist und Seele eine Einheit bilden, steht für die Psychotherapeutin außer Zweifel. „Es spielt alles zusammen. Man weiß, dass der Körper mit Beschwerden reagiert, wenn man Hilferufe der Psyche über längere Zeit nicht wahrnimmt oder nicht hören will.“ Welche wichtige Rolle die mentale Gesundheit als Teil des großen Ganzen spielt, wird laut Wiesinger auch in den Arztpraxen und im Gesundheitssystem zunehmend berücksichtigt: „Bei Erkrankungen ist die medizinische Abklärung immer der erste Schritt, wenn jedoch keine körperliche Ursache für Beschwerden gefunden werden kann, sollte bei der Psyche angesetzt werden.“ Es kann hilfreich sein, ein Stück der eigenen Geschichte zu verstehen, über das Leben zu reflektieren und bei Bedarf mit professioneller Unterstützung herauszufinden, warum die Psyche aus dem Gleichgewicht geraten ist und was es braucht, um sie wieder zu stärken.

Gestalter deseigenen Lebens sein

Erinnern Sie sich an Pippi Langstrumpf, die in ihren Ringelstrümpfen fröhlich vor sich hinsingt, dass sie sich die Welt macht, widdewidde wie sie ihr gefällt? Pippi scheint mit ihrer Strategie gut und gesund durchs Leben zu gehen. Vielleicht sollten wir alle die „Pippi“ in uns wecken und das eigene Leben so gestalten, dass wir uns darin wohlfühlen – psychisch und körperlich? Beginnen sollte man damit nach Ansicht der Expertin bereits im Kindesalter. So würde sich Wiesinger, die auch Diplompädagogin ist, ein Schulsystem wünschen, das sich an den Bedürfnissen und Begabungen der Kinder orientiert und den Schülerinnen und Schülern vermittelt, dass Wissenserwerb etwas Schönes ist, das sie in ihrer Persönlichkeit weiterbringt. „Auf diese Art könnte man von Anfang an Freude und Zufriedenheit ins Leben bringen“, erläutert die Psychotherapeutin. Die Wahl der Ausbildung bzw. des Berufes sollte bedürfnisorientiert erfolgen, schließlich verbringt man einen guten Teil des Lebens im Job. „In einem Beruf, in dem man die eigenen Stärken ausleben und authentisch sein kann, wird man nicht nur mental ausgeglichener,
sondern auch erfolgreicher sein.“


Keine Zeit für schlechte Nachrichten

Haben Sie schon einmal erlebt, wie wohltuend es ist, im Urlaub nichts von der Welt draußen mitzukriegen? Auch zuhause können Sie sich dazu entscheiden, den Konsum von negativen Schlagzeilen, die auf die Stimmung schlagen, zu reduzieren und die „Bad News“ in die Pause zu schicken. Besonders am Abend können sich aufwühlende Nachrichten auf die Schlafqualität auswirken. Nutzen Sie die gewonnene Zeit, um jene Dinge ins Leben zu holen, die Ihnen guttun und Sie im Idealfall zum Lachen bringen. Probieren Sie neue bzw. in Vergessenheit geratene Abend-Rituale aus und greifen Sie z. B. anstatt zum Handy zu einem Buch. Bilder, die im eigenen Kopf entstehen, sind viel wertvoller als jene auf dem Bildschirm.


Hallo, Lieblingsmensch!

Nicht in jeder Situation kann man sich die Menschen, mit denen man sich umgibt, aussuchen. Umso wichtiger ist es, im privaten Umfeld auf gute und wohltuende Beziehungen zu achten und „Energievampire“ möglichst zu meiden. Eine gute Beziehung zu Familie, Freundinnen und Freunden ist eine wertvolle Basis für das mentale Gleichgewicht. Ein ehrlicher, offener Umgang und das Ansprechen der gegenseitigen Bedürfnisse sind laut Wiesinger die wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen von Beziehungen, sei es in der Partnerschaft, zwischen Eltern und Kindern oder im Freundeskreis. Gerade wenn Paare zu Eltern werden, ist das Ansprechen der eigenen Bedürfnisse wichtig: „Auch wenn ich Kinder habe, darf es mir als Mutter bzw. Vater gut gehen. Man muss darauf schauen, was jedes einzelne Familienmitglied zum Wohlfühlen braucht. Es darf in einem Familiensystem allen gut gehen“, so die Expertin.

„Me-Time“ macht happy

Ein Job, der zu einem passt und ein persönliches Umfeld, in dem man sich gegenseitig respektiert und unterstützt, sind wichtige Voraussetzungen für seelisches Wohlbefinden. Wahre Booster für die mentale Gesundheit sind jedoch Pausen – und zwar richtige Pausen in Form von „Me-Time“. Klingt einfach, gestaltet sich im Zeitalter der „24/7-Erreichbarkeit“ jedoch manchmal schwierig, wie die Psychotherapeutin berichtet: „Pausen – ohne digitale Ablenkung und Kopfhörer im Ohr – sind deshalb so wichtig, weil wir dabei ganz bei uns selbst sind und auch gedanklich zur Ruhe kommen.“ Was im Urlaub zumindest teilweise gelingt – Stichwort „die Seele baumeln lassen“ – wird im Alltag schnell zur Herausforderung. Doch selbst am Weg in die Arbeit oder beim Warten an der Supermarktkasse bieten sich Gelegenheiten für kleine Auszeiten. Es hilft etwa, während dieser Wartezeiten nicht ständig aufs Handy zu schauen, sondern ganz bei sich und seinen Gedanken zu sein. Ideal ist es, wenn die Auszeit mit einem Ortswechsel verbunden ist. Es müssen kein dreiwöchiger Wandertrip auf dem Jakobsweg oder eine Woche auf einer einsamen Insel sein, bereits ein kurzer Spaziergang in der frischen Luft gibt neue Kraft, um sich dann wieder konzentrierter jenen Aufgaben widmen zu können, die anstehen. Wie man die Pausen gestaltet, hängt immer von den persönlichen Bedürfnissen ab. Ein Blick in die eigene Kindheit kann dabei als Inspiration dienen: „Was man als Kind gern gemacht hat, hilft oft auch im Erwachsenenalter, um zur Ruhe zu kommen. Und wer sagt, dass man als Erwachsener nicht schaukeln, malen oder ein Puzzle zusammenbauen darf?“ Bewusste Auszeiten, in denen man Dinge tut, die Freude bereiten und Energie schenken, haben übrigens nichts mit Egoismus zu tun, sondern mit gelebter Eigenverantwortung. „Je mehr ich es schaffe, mein Leben selbst zu gestalten und auf meine eigenen Bedürfnisse einzugehen, umso besser wird es mir psychisch und körperlich gehen“, so Wiesinger.


Finden Sie Ihr eigenes Original!

Ein „Ich-Buch“ kann uns helfen, unsere eigenen Stärken in den Fokus zu rücken und mehr unsere Individualität zu leben. Zu oft sind wir kritisch mit uns und unserem Körper. Umso wichtiger ist es, einmal nicht zu sehen, was wir nicht haben oder können, sondern eben genau das Gegenteil – nämlich wer wir sind und was uns ausmacht. Dafür könnten Sie sich ein kleines Büchlein zulegen, das Sie anspricht. Hier finden Sie Seite für Seite heraus, was Sie ausmacht. Schreiben oder malen Sie auf jede Seite ein Ding, das Sie näher an Ihr eigenes Original bringt! Wichtig dabei: Es darf nur Positives hinein und
es soll nicht Tage später hinterfragt und wieder entfernt werden.


fotoS: istockphoto: Kontinia Consulting SL, markio mestrovic

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