Selbst bei Schwerstkranken kann Sport die Heilung fördern. In der Medizin setzt man deshalb immer öfter auf Bewegung, um kranke Menschen im Genesungsprozess zu unterstützen bzw. ihr Leiden zu lindern. So auch am Wiener AKH.
Ein Lokalaugenschein von MEDIZIN populär-Redakteurin Mag. Alexandra Wimmer.
Kraftvoll und konzentriert tritt der 58-jährige Peter D. in den Ergometer im orangefarbenen Trainingsraum an der Ambulanz für Medizinische Trainingslehre und Medizinische Trainingstherapie der Universitätsklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation am Wiener AKH. Zwar geht es seit der erfolgreichen Behandlung des Speiseröhrenkrebses mit Peter stetig bergauf, doch durch die Erkrankung und nach einer intensiven Strahlen- und Chemotherapie hat er viel Gewicht verloren und Muskelmasse abgebaut. Aus diesem Grund hat der Hobbysportler bereits während der Krebsbehandlung mit einer Bewegungstherapie begonnen. Sein Ziel? „Ich will zunehmen, damit ich die logopädischen Schluckübungen besser schaffe, weil ich mich sonst immer verschlucke, Lungenentzündungen bekomme und immer weiter abbaue“, berichtet er. „Durch das Training habe ich schon wieder fünf Kilo zugenommen.“ Die an Brustkrebs erkrankte Ursula S. wiederum treibt eine ganz andere Motivation an: „Ich möchte so lange wie möglich autonom bleiben und nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein“, erzählt die 48-Jährige.
Zahlreiche Effekte
„Das körperliche Training, das wir im Rahmen der medizinischen Trainingstherapie nach der medizinischen Trainingslehre durchführen, verbessert vor allem die motorischen Grundeigenschaften Kraft und Ausdauer sowie die Sensomotorik, also das Zusammenspiel von Sinneswahrnehmungen und Bewegung“, berichtet Univ. Prof. Dr. Richard Crevenna, Facharzt für Physikalische Medizin und allgemeine Rehabilitation. „Speziell bei Krebspatienten, die vielfach lebensverlängernde, sehr wirksame onkologische Therapien erhalten, ist die Bewegungstherapie eine Möglichkeit, mit einer verbesserten körperlichen Leistungsfähigkeit die Lebensqualität zu steigern.“ Bei Brustkrebserkrankungen gebe es sogar Hinweise, dass das körperliche Training an einer Lebensverlängerung aktiv mitwirken kann.
Weitere positive Effekte: Weil die Patienten durch die Bewegung körperlich gefordert sind und nach und nach leistungsfähiger werden, sind sie tagsüber vitaler und können nachts besser schlafen. „In der Folge lassen sich gewisse Medikamente, allen voran Schlaf- und Schmerzmittel, einsparen.“ Fragebogenerhebungen ergaben außerdem, dass Bewegung sich positiv auf das psychische und mentale Wohlbefinden auswirkt. „Speziell bei schwer Erkrankten führe ich das darauf zurück, dass sie aufgrund des Sports mehr leisten können. Ihr Selbstwertgefühl wächst, wenn sie autonomer sind, selbstständig einkaufen oder auch nur alleine aufs WC gehen können“, sagt Crevenna. Vergleichende Belastungstests zeigen, dass sich die Leistungsfähigkeit nach rund zwölf Wochen um 20 bis 25 Prozent verbessert.
Therapie auf Dauer
Neben Krebspatienten wie Peter D. werden an der Ambulanz vorwiegend chronisch Kranke und Patienten vor oder nach einer Herz- oder Lungenoperation behandelt. Die Therapie erfolgt nach entsprechenden Voruntersuchungen, stationär bzw. ambulant, in enger Kooperation mit den behandelnden Fachärzten (z. B. Onkologen, Kardiologen, Chirurgen). Voraussetzung für das Gelingen ist die individuelle, fachärztlich erstellte „Trainingsrezeptur“. Aufs Geratewohl loszutrainieren muss für Schwerkranke tabu sein – beim Erstellen eines Trainingsplans gilt es verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: „Krebspatienten müssen mitunter Medikamente einnehmen, die auch das Herz belasten“, weiß Crevenna. „Und speziell ältere Krebspatienten haben neben der Krebserkrankung häufig andere gesundheitliche Probleme, sei es Diabetes oder eine Herzerkrankung.“ Außerdem wichtig für den nachhaltigen Erfolg: „Das Training sollte auch nach überstandener Krankheit und der Entlassung aus dem Spital unter ärztlicher Kontrolle ganzjährig fortgesetzt und systematisch gesteigert werden.“