Riechen: Der manipulierte Sinn

August 2015 | Leben & Arbeiten

Der Geruchssinn ist so eng mit unseren Emotionen verknüpft wie kein anderer Sinn. Das ist der Grund, warum Düfte Erinnerungen auslösen und Glücksgefühle zurückbringen können. Es erklärt aber auch, warum Marketing- und Werbestrategen immer neue Wege finden, um uns an der Nase herumzuführen.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Gleich um 20 Prozent stieg der Umsatz in einem Schweizer Möbelhaus an jenen Tagen, an denen das Haus nicht nur nach Hölzern, Pölstern, Teppichen & Co, sondern auch nach Orange roch. Das stellten Forscher der Universität St. Gallen bei der Arbeit an einer Studie fest, die klären sollte, ob uns Düfte wirklich dazu bringen können, mehr Geld auszugeben als geplant. Doch nicht nur der Geruch von Orangen kann das Geschäft ankurbeln. Wie Forscher der Universität Paderborn nachwiesen, lassen auch Duftsäulen die Kassen klingeln, die passend zu den daneben platzierten Produkten den Geruchssinn der Kunden ansprechen: Werden also neben den Brotregalen Brotaromen, in der Kaffeezone Kaffee- und in der Obstabteilung Fruchtgeruch verströmt, dann wird tiefer ins Geldbörsel gegriffen.

Fruchtig, blumig, animalisch

„Air-Design“ nennt sich der Verkaufstrick in der Sprache der Marketing- und Werbestrategen. Warum es so gut funktioniert? „Wenn wir zum Beispiel den Geruch von Brot riechen, löst das die Erinnerung an den Genuss von knusprig-reschen Weckerln oder saftig-würzigem Vollkornbrot aus. Und schon wollen wir Brot haben, damit wir wieder in diesen Genuss kommen“, nennt Univ. Prof. Dr. Andreas Temmel, Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten in Wien, den nachvollziehbaren Hintergrund.
Doch warum gibt jemand mehr Geld für ein Sofa aus, nur weil es im Möbelhaus nach Orangen duftet? „Das liegt daran, dass wir uns wohl fühlen, wenn wir einen der acht Grundgerüche riechen, zu denen Orange zählt“, meint der Experte. Genauer gesagt handelt es sich dabei um eine Geruchsnote des Grundgeruchs „fruchtig“. Auch der „blumige“, „grüne“, „würzige“, „holzige“, „harzige“, „animalische“ und „erdige“ Grundgeruch soll mitsamt den rund 40 untergeordneten Geruchsnoten unser Wohlbefinden derart erhöhen, dass wir länger in einem Laden bleiben und mehr kaufen. Neben den Zitrusfrüchten gelten etwa Vanille, Sandelholz, Moschus, Erdbeere und Weihrauch als besonders potente Duftnoten.

Verstand wird ausgeschaltet

Etwa 10.000 Gerüche, so vermutet die Forschung, kann die Nase wahrnehmen, viel mehr jedenfalls, als die Zunge benennen kann. Trifft ein Duftreiz auf der Nasenschleimhaut auf, wird er dort von 20 Millionen Sinneszellen auf 350 Rezeptoren empfangen und über den Riechnervenstrang ohne Zwischenschaltung des Verstands in den ältesten Teil des Gehirns geleitet. Das sind jene Areale, die für Erinnerungen und Emotionen zuständig sind – und das erklärt, warum Düfte so verführerisch sind.
Schließlich gehen wir nicht nur beim Einkaufen der Nase nach, sondern auch beim Umgang miteinander. Jeder Mensch hat seinen eigenen, unverkennbaren Geruch, der sich laut Wiener Forschern sogar aus 373 Komponenten zusammensetzt. Ob wir „jemanden gut riechen können“ oder nicht, entscheidet im Wesentlichen die Nase. Entsprechend mischt sie auch bei der Partnerwahl mit: Frauen fühlen sich am meisten zu Männern hingezogen, deren Geruch darauf hindeutet, dass sich ihr Immunsystem vom eigenen unterscheidet. So stellt die Natur sicher, dass der Nachwuchs möglichst allumfassend funktionierende Abwehrkräfte bekommt.

Um Nasenlängen voraus

Dem Geruchssinn hat Mutter Natur aber noch weitere Funktionen gegeben, die der Arterhaltung dienen: „Sehr wichtig ist das Riechen beim Essen“, weiß Temmel. Denn das Riechorgan ist dem Geschmackssinn um Nasenlängen voraus, wenn es um die Frage geht, ob ein Nahrungsmittel genießbar und gesund oder verdorben und schädlich ist. Auch vor anderen Gefahren warnt uns die Nase: etwa vor Chemikalien, die giftig für uns sind, oder vor Feuer, das lebensbedrohlich werden kann.
Schließlich taugt der Geruchssinn sogar als Frühwarnsystem für Krankheiten: Wer Bananen- mit Kokosduft und Sardellen- mit Brotgeruch verwechselt, ist gefährdet, später an Parkinson zu erkranken. Umgekehrt gibt es Riechstörungen, die in Folge einer Erkrankung oder als Alterserscheinung auftreten. „Medikamente gegen solche Riechstörungen gibt es zwar keine“, so Temmel. „Doch ein Riechtraining bringt meist Verbesserungen.“
Bei einem solchen Training regenerieren sich Sinneszellen, neue Rezeptoren bilden sich, und die Auswertung der Gerüche im Gehirn verbessert sich wieder. Ein Riechtraining kann sogar einen eventuell drohenden Verlust des Riechvermögens verhindern. Bis zu fünf Prozent der Menschen sind davon betroffen: Sich in einer geruchlosen Welt zurechtzufinden, bedeutet für sie unermessliches Leid.
    

Stand 07-08/2015

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