Die stillen Leiden der Leber

Dezember 2016 | Medizin & Trends

So schützen Sie Ihr Entgiftungsorgan
 
Sie tun nicht weh und machen sich, wenn überhaupt, nur unspezifisch bemerkbar: Erkrankungen der Leber nehmen weiterhin stark zu. Experten führen dies vor allem auf einen ungesunden Lebensstil mit zu viel Alkohol und allzu üppigem Essen zurück. Dabei kann unser Entgiftungsorgan auf einfache Weise geschützt werden.
Eine Expertin erläutert in MEDIZIN populär, was dem Organ gut tut – und welche Rolle der Darm in Sachen Lebergesundheit spielt.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Erkrankungen der Leber sind weit verbreitet: In westlichen Industrieländern wie Österreich hat jeder Vierte erhöhte Leberwerte, in den USA sogar jeder Dritte. Sind die Leberwerte im Blut zu hoch, ist dies oft das erste Indiz für eine Erkrankung unseres Entgiftungsorgans. Auch gelb gefärbte Augen, dunkler Urin, Schmerzen im rechten Oberbauch, Juckreiz oder Neigung zu Blutergüssen können Anzeichen für eine Lebererkrankung sein.
Dass die Leiden der Leber oft lange unbemerkt bleiben, macht sie schlechter behandelbar – mit ein Grund, weshalb die Sterblichkeit bei Lebererkrankungen im Vergleich zu Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen steigt.

Erzfeind Alkohol

Die beunruhigende Entwicklung führt die Gastroenterologin und Hepatologin Assoz. Prof. Priv. Doz. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner von der Medizinischen Universität Graz auf unseren ungesunden Lebensstil zurück. Leberfeind Nummer eins sei nach wie vor die Alltagsdroge Alkohol. „Indem Alkohol und seine giftigen Abbauprodukte in der Leber zu einer Verfettung und Entzündung führen, entsteht die alkoholische Fettlebererkrankung“, erklärt die Ärztin. Die Funktionen des Entgiftungsorgans werden im Lauf der Zeit immer weiter eingeschränkt, bis sich eine Leberzirrhose entwickelt.

Risikofaktor Fettleibigkeit

Leberfeind Nummer zwei – und deutlich im Steigen begriffen – ist die Fettleibigkeit, die Adipositas. „Adipositas und damit einhergehend die nicht-alkoholische Fettleber wird als Krankheitsursache mit dem Alkohol bald gleichauf liegen“, vermutet Stadlbauer-Köllner. Ein Mangel an Bewegung und ein Zuviel an Nahrung führt dazu, dass sich Übergewicht derzeit geradezu epidemisch ausbreitet. Der Belastung durch zu üppige, kalorienreiche Kost ist die Leber auf Dauer nicht gewachsen: Statt sie zu verarbeiten, speichert sie die Kalorien als Fett. Problematisch wird es speziell dann, wenn sich aufgrund der Fettablagerungen Entzündungen in der Leber bilden.
Für den Darm ist die fettreiche Kost ebenfalls schwer zu verdauen: Fett erhöht die Durchlässigkeit der Darmwand, die Darmpermabilität, es gelangen mehr bakterielle Produkte in die Leber. Hinzu kommt, dass vor allem die Fettzellen im Bauch viele Entzündungsbotenstoffe, Zytokine, produzieren. Diese lösen in der Leber stille Entzündungen aus.
Mittlerweile gilt die nicht-alkoholische Fettleber als neue Volkskrankheit: Jeder dritte Über-40-Jährige ist betroffen. Durch eine Fettleberentzündung stirbt nach und nach Lebergewebe ab. Wie beim Alkoholmissbrauch kommt es zur folgenschweren Verhärtung von Lebergewebe, der Zirrhose.  
Wird die Fettleber frühzeitig erkannt und behandelt, kann sich das regenerierfreudige Organ hingegen erholen – vorausgesetzt, man verändert gleichzeitig den ungünstigen Lebensstil.

Virale Hepatitis

Verglichen mit Alkohol und Übergewicht ist die durch Viren hervorgerufene Leberentzündung, die Virus-Hepatitis, in der westlichen Welt heute weniger problematisch, zumal sich die Behandlungsmöglichkeiten deutlich verbessert haben. Vor einer Hepatitis A und einer Hepatitis B kann man sich mit einer Impfung wirksam schützen. „Und Hepatitis C ist mittlerweile sehr gut zu behandeln und kann in mehr als 95 Prozent geheilt werden“, ergänzt Stadlbauer-Köllner.
Das größte Problem sei auch bei vi­ralen Infektionen, dass sie oft spät erkannt werden. „Wir gehen davon aus, dass in Österreich einige Tausende Men­schen Hepatitis C haben ohne es zu wissen“, informiert die Spezialistin.

Endstadium Leberzirrhose
Ob aufgrund von Alkoholmissbrauch, Fettsucht oder einer Virushepatitis: Im Zuge chronischer Erkrankungen verschlechtert sich die Leberfunktion zusehends. Zwar sterben auch in einem gesunden Organ Zellen ab und müssen durch neue ersetzt werden. Bei einer chronischen Lebererkrankung ist das Zellsterben auf Dauer zu hoch – tote Zellen werden durch Bindegewebe ersetzt. Es bilden sich kleine Knoten, das umliegende Gewebe wird narbig und hart – es kommt zur Leberzirrhose. Davon sind in den westlichen Industrieländern 250 von 100.000 Einwohnern betroffen. Mit fortschreitender Verhärtung des Gewebes steigt die Gefahr, dass die Leber versagt, sodass oft nur die Lebertransplantation als Ausweg bleibt.
Anfangs merken die Betroffenen kaum etwas von der Zirrhose: Sie fühlen sich vielleicht müde und weniger leistungsfähig. Verschlechtert sich die Leberfunktion weiter, fallen essenzielle Funktionen aus; zum Beispiel die Blutgerinnung, sodass man bei der kleinsten Verletzung stark blutet. „Eines der größten Probleme ist, dass die Zirrhose schon im frühen Stadium zu einer Mangelernährung führt“, betont Stadlbauer-Köllner. Die Patienten haben kaum Appetit. Und selbst wenn sie ausreichend und ausgewogen essen, wird die Nahrung schlecht verwertet, was letztlich auch das Immunsystem schwächt.

Burn-out des Immunsystems

Im Zuge einer Leberzirrhose verändert sich auch die Zusammensetzung der Darmflora: „Es finden sich darin mehr schädigende und weniger gute Keime“, berichtet die Medizinerin. Der Darm wird durchlässiger, es gelangen über die Pfortader (Venae porta) mehr Giftstoffe in die Leber. Weil sie diese nicht mehr abbauen kann, gelangen sie in den Blutkreislauf. Das wiederum versetzt das Immunsystem in Alarmbereitschaft: Um die Giftstoffe abzuwehren, ruft es eine Entzündungsreaktion hervor.
Da bei einer Leberzirrhose diese Überschwemmung mit Giftstoffen einen Dauerzustand darstellt, sind auch die Immunzellen irgendwann überfordert. „Sie haben quasi ein Burnout“, beschreibt es Stadlbauer-Köllner. Es kommt zu einer Immunschwäche und man wird extrem anfällig für Infektionen, die die Leberfunktion weiter verschlechtern – ein Teufelskreis.

Medikamente und Nahrungsergänzung

Abgesehen von den chronischen Erkrankungen, die unbehandelt zur Leberzirrhose führen, können auch akute Probleme das Organ bedrohen. „Akute Lebererkrankungen können durch Medikamente und andere toxische Substanzen ausgelöst werden“, erklärt die Ärztin. Über die Pfortader gelangt nährstoffreiches, aber auch giftstoffreiches Blut aus dem Darm in die Leber. Zwar werden die Substanzen wieder ausgeschieden, davor werden sie manchmal in etwas noch Giftigeres umgewandelt; Alkohol etwa in Acetaldehyd. Entsprechend sollten Medikamente (z. B. Schmerzmittel, Antibiotika) nur so hoch wie nötig dosiert und so kurz wie möglich eingenommen werden. Sogar die Zufuhr pflanzlicher Produkte und Nahrungsergänzungsmittel kann zu erhöhten Leberwerten führen. Wer einen Mangel an bestimmten Vitalstoffen befürchtet, sollte dies deshalb ärztlich abklären lassen, anstatt sich in Eigenregie zu behandeln.
Im Optimalfall führt man sich die verschiedenen Vitalstoffe naturbelassen, also mit dem Essen, zu.

Mischkost und Kaffee
„Die Leber unterstützt man am besten, indem man sie so wenig wie möglich belastet“, betont die Gastroenterologin. Eine ausgewogene Mischkost schmeckt dem Entgiftungsorgan. Besonders gut tun bittere Nahrungsmittel wie Artischocke, Radicchio oder Chicorée. Bitterstoffe unterstützen den Fettstoffwechsel, indem sie den Gallefluss fördern; auch Kräutertees wie Pfefferminztee regen den Gallefluss an. Mit der Ausscheidung von Galle wird auch Cholesterin ausgeschieden – und damit ein gesunder Cholesterinspiegel gefördert. Weil pflanzliche Fette meist mehr wertvolle ungesättigte Fettsäuren enthalten, sollte man ihnen den Vorzug geben.
In Sachen Getränke empfiehlt sich Wasser, doch auch Kaffeeliebhaber dürfen sich freuen: Studien konnten einen Zusammenhang zwischen dem Kaffeekonsum und niedrigen Leberwerten herstellen.  
Nicht zuletzt sollte man, um eine Lebererkrankung rechtzeitig zu erkennen, jährlich zur Gesundenuntersuchung gehen.

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Studie macht Hoffnung
Gesunder Darm verbessert Leberfunktion

Hoffnung für alle Leberleidenden macht eine aktuelle Studie, die Assoz. Prof. Priv. Doz. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner mit ihrem Team an der Medizinischen Universität Graz durchgeführt hat. Die Forscher konnten erstmals zeigen, dass eine Therapie mit probiotischen Bakterien auch die Leberfunktion verbessern kann. Probiotika sind Substanzen, die gute Mikroorganismen enthalten, welche die Darmflora stärken. „Indem man das Mikrobiom, also die Darmflora, mithilfe eines Probiotikums verändert, kommen weniger Giftstoffe in den Körper, die Immunzellen können sich wieder beruhigen“, erklärt die Medizinerin. Die Entzündungsreaktionen gehen zurück, das führt zu einer verbesserten Leberfunktion und einer stärkeren Immunabwehr. Welche Mechanismen dahinter stecken? „Möglicherweise beeinflusst das Probiotikum die Zusammensetzung der Darmbakterien positiv oder verbessert die zu hohe Durchlässigkeit des Darms“, sagt Stadlbauer-Köllner. In der placebokontrollierten Studie an 101 Leberzirrhose-Patienten zeigt sich, dass sich die Leberfunktion schon nach sechs Monaten Probiotika-Einnahme entscheidend verbessert.

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Für Entgiftung, Verdauung, Stoffwechsel:
Kraftwerk im Körper

Die Leber ist das größte innere Organ in unserem Organismus.Sie besteht aus zwei Lappen, wiegt bis zu zwei Kilogramm und sitzt im rechten Oberbauch. Als zentrales Stoffwechselorgan bereitet sie Kohlenhydrate, Fette und Proteine für unseren Organismus auf und macht die Nährstoffe verwertbar. Sie reguliert den Fett- und Zuckerstoffwechsel, den Mineral- und Vitaminhaushalt sowie wichtige Vorgänge wie die Blutgerinnung. Rund 2000 Liter Blut filtert das Entgiftungsorgan täglich.
Eine zentrale Rolle spielt die Leber bei der Verdauung: Die mit der Nahrung aufgenommenen Substanzen gelangen nach Aufnahme durch die Darmwand in die Pfortader welche die Substanzen zunächst zur Leber transportiert. Diese wiederum produziert täglich beinahe einen Liter Gallenflüssigkeit, welche Fette spaltet, damit diese in der Darmwand aufgenommen werden können. Die Zirkulation von Substanzen von der Leber über die Gallenblase zum Darm und wieder zurück, bezeichnet man als enterohepatischen Kreislauf.

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Tödlicher Leberzellkrebs
Zirrhose als größtes Risiko

Wichtigster Risikofaktor für Leberzellkrebs, den sechsthäufigsten Tumor weltweit, ist die Leberzirrhose: Sie ist in 95 Prozent der Fälle für den Tumor verantwortlich. „Leidet jemand an einer Leberzirrhose, muss alle sechs Monate zumindest ein Ultraschall gemacht werden, um den Leberkrebs so früh wie möglich zu erkennen“, betont die Grazer Leberspezialistin Assoz. Prof. Priv. Doz. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner.
Im Vergleich zu anderen Krebsarten ist die Sterblichkeit bei Leberzellkrebs sehr hoch. Wird der Tumor jedoch frühzeitig erkannt, besteht die Chance auf Heilung durch eine Operation. Durch moderne Immuntherapien kann selbst in einem späteren Stadium das Tumorwachstum zumindest für einige Zeit gestoppt wird.

Buchtipp:
Müller, Baumgart
Beleidigte Leber
Hepatitis, Zirrhose, Leberkarzinom & Co.
ISBN 978-3-99052-59-4, 148 Seiten, € 14,90
Verlagshaus der Ärzte

Stand 12/2016

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