Leben & Arbeiten

Lärm im Job hat Folgen

Immer mehr Schallgift am Arbeitsplatz
 
Lärm und Arbeit – da denkt jeder sofort an Handwerk oder Industrie, an dröhnende Maschinen und donnernde Hammerschläge. Längst gibt es aber eine zweite, vorwiegend noch unbeachtete und deshalb besonders heimtückische Krachfront. Sie zieht sich quer durch die modernen Büros, die immer lauter und lauter werden. Mit oft schwerwiegenden Folgen.
 
Von Heimo Revnea

Eva H. arbeitet seit vielen Jahren im Büro eines großen Handelsunternehmens. Die Fenster blicken in einen nicht unbedingt hübschen, aber stillen Hinterhof. Und doch hält sie den Lärm an ihrem Arbeitsplatz nicht mehr aus. Eva H. teilt sich mit einer Kollegin, einem Kollegen, drei Computern, einem Drucker, einem Kopier- und einem Faxgerät den Raum, in dem viel nackte Wand und große Glasflächen dominieren. Das Konzert der kühlenden Ventilatoren all der genannten elektronischen Errungenschaften liegt als monotones Grundbrummen im Raum und die vielen harten Flächen verstärken das noch mit unerträglichen Nachhallzeiten. Beides trägt erheblich dazu bei, dass jeder in diesem Büro mit seiner Stimme gegen diese akustische Konkurrenz heftig ankämpfen muss.

Der Zimmerkollege kämpft mit besonderem Einsatz und auch gleich doppelt. Immerhin beschallt er mit sonorem Tonfall gleich zwei Telefone – nämlich jenes am Festnetz und das Handy. Manchmal hat man das Gefühl, seine Gesprächspartner müssten ihn auch ohne die technische Hilfe schon fast hören können. Die Kollegin telefoniert etwas weniger, muss aber immer wieder diverse nicht unbedingt leise Handarbeiten verrichten. Sie stanzt Löcher in Papiere, beschneidet sie – und macht das alles am liebsten mit etwas Radiomusik im Hintergrund.

Eva H. befindet sich in einer verzweifelten Situation. Seit einigen Monaten rebelliert bei ihr das Immunsystem, sie ist ständig krank. Schon länger leidet sie unter Schlafstörungen und auch darunter, dass sie nur widerwillig zur Arbeit geht – ihr ist jede Motivation abhanden gekommen. Sie ist zum Opfer der so genannten extra-auralen (psychischen und organischen) Effekte von Lärm geworden, die vorwiegend damit erklärbar sind, dass er im Übermaß schlicht und einfach Stress erzeugt. Im Fall von Eva H. handelt es sich um Dauerstress.

Mehr Leistung bei weniger Lärm
„Schallgift“, wie es Buchautor Bernd Chibici in seinem neuen Buch „Die Lärmspirale“ nennt, hat Arbeitsplätze, die bislang als heile Welt der Rahmenbedingungen gegolten haben, plötzlich zu Gefahrenherden gemacht. Der Mix aus förmlich explodierter Telefonitis, lästigen Kühlgeräuschen verschiedenster Gerätschaften und allerlei akustischen Draufgaben verschiedenster Art wird für Arbeitnehmer immer öfter zur Tragödie. Vor allem dann, wenn falsche Sparsamkeit in der Raumgestaltung – sprich das Fehlen von schallabsorbierenden Materialien – und die Missachtung akustischer Prinzipien dem Krach sozusagen freie Bahn bieten.

Eigentlich gibt es in Österreich genaue Spielregeln, die verhindern sollen, dass Lärm am Arbeitsplatz gesundheitliche Schäden verursacht. Sie sind in der „Verordnung für Lärm und Vibrationen“ (kurz VOLV genannt) zusammengefasst und verpflichten Arbeitgeber zunächst einmal, ab einer durchschnittlichen Lärmbelastung von 80 Dezibel pro Tag Gehörschutz zur Verfügung zu stellen. Ab 85 Dezibel ist selbiger auch verpflichtend zu tragen. Das hat vorwiegend für jene etwa 500.000 Österreicherinnen und Österreicher Bedeutung, die auf klassischen Lärmarbeitsplätzen tätig sind und soll sie vor so genannten auralen (das Ohr unmittelbar betreffenden) Effekten schützen – also vor Hörschäden.

Leider kaum bekannt ist die Tatsache, dass in Räumen „mit überwiegend geistigen Tätigkeiten“ ein Pegel von 50 Dezibel nicht überschritten werden darf, an Orten mit „einfachen Bürotätigkeiten“ sind es 65 Dezibel. Das bedeutet im Klartext, dass an Denkorten eigentlich kaum Gespräche geführt werden dürften und in den meisten Büros fest auf die Krachbremse getreten werden müsste.

Experten gehen allerdings bereits einen Schritt weiter und verlangen noch erheblich strengere Vorschriften. Neueste Erkenntnisse (auch der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Deutschland) sprechen für Obergrenzen zwischen 35 und 45 Dezibel an Orten geistiger Intensivarbeit und wollen dort, wo Routinearbeiten erledigt werden, höchstens 45 bis 55 Dezibel.
Auch für jene Arbeitgeber, denen solche akustische Strenge nur ein mildes Lächeln abringt, gibt es starke Argumente. Eine Studie Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Deutschland ergab, dass schwierige Tätigkeiten, wie etwa die Gestaltung von Texten, bei Lärm eindeutig umständlicher erledigt werden. Auch einfache Aufgaben machen mehr Mühe. Sprich: Lärmminderung ist mit Leistungssteigerung verbunden, wird zum erlaubten Doping im Job.

Zu viel Krach macht krank
Außerdem belegen Untersuchungen den eindeutigen Zusammenhang zwischen Lärm und Krankenstandstagen. Bei häufigen und intensiven Störungen dieser Art gehen sie um ein gewaltiges Drittel in die Höhe! Und schließlich ergab eine groß angelegte Umfrage der deutschen Krankenkasse BARMER und dem „Forum besser hören“, dass bei den Strategien gegen Lärm bei der Arbeit das Pausemachen dominiert. Fast ein Drittel tut es, wenn’s zu laut wird, was viel an teurer Arbeitszeit kostet.

Da muss man schon eine etwas provokante Frage stellen: Welches Unternehmen kann es sich heute noch leisten, auf Lärmschutz am Arbeitsplatz zu verzichten?

Eine für das Buch „Die Lärmspirale“ (siehe Buchtipp) vom DialogCenter der Diözese Graz-Seckau gemachte Studie liefert ebenfalls spannende Hinweise zum Thema. Bereits 53,2 Prozent aller Österreicherinnen und Österreicher sind mit Lärm auf ihren Arbeitsplätzen konfrontiert, 27,6 Prozent leiden stark darunter – ein deutlicher Hinweis darauf, dass „Schallgift“ seinen Aktionsradius enorm erweitert hat.

Sehnsucht nach Stille nimmt zu
Vor diesem Hintergrund überrascht es auch kaum, dass die Sehnsucht der Menschen nach Stille zuletzt förmlich explodiert ist. Bereits jeder Zweite (53,7 Prozent) spürt sie „sehr oft“ und „oft“, immerhin ein Drittel (31,5 Prozent) manchmal. Also kaum noch jemand ist davon ausgenommen.

Wie soll man umgehen mit dieser alarmierenden Situation? Der Autor fordert vor allem „dringend ein größeres Problembewusstsein“ und schlägt drei Lösungswege vor. Erstens: „Ruhevereinbarungen“ zwischen Kolleginnen und Kollegen erweisen sich oft als hilfreich. Mit so genannten Lärmampeln, die anzeigen, wenn Grenzen überschritten werden, kann man sie besonders gut kontrollieren. Zweitens: Auf modernen Arbeitsplätzen sind schalltechnische Maßnahmen unverzichtbar geworden. Sie beginnen bei schallschluckenden Trennwänden, Teppichen und Vorhängen, setzen aber beispielsweise auch auf Schall absorbierendes Mobiliar. Drittens: Für den allzu lauten Fall des Falles sollten zur Sicherheit immer ganz einfache und preiswerte Ohrstöpsel in der Tasche sein.

Hörtest Wichtige Hinweise, die ein Grund dafür sein sollten, den HNO-Arzt aufzusuchen:

* Wenn Sie in etwas lauterer Umgebung einen Gesprächspartner nicht mehr gut verstehen können.

* Wenn Sie eine Unterhaltung mit mehreren Personen als anstrengend betrachten.

* Wenn Sie sich häufig darüber ärgern, dass andere Menschen so unverständlich sprechen.

* Wenn Sie TV-Gerät und Radio bei anderen Leuten als zu leise empfinden.

Dezibel-Beispiele:

Sehr leises Flüstern: 10 Dezibel

Tickende Armbanduhr: 20 Dezibel

Ticken eines Weckers: 30 Dezibel

Ruhige Wohngegend: 40 Dezibel

Ruhiges Gespräch: 50 Dezibel

Normale Radiolautstärke: 60 Dezibel

Geschäftiger Büroraum: 70 Dezibel

Donner: 80 Dezibel

Belebte Straße: 80 Dezibel

Laute Musik: 80 Dezibel

Motorrasenmäher: 90 Dezibel

Schwerer Lkw (5 m Abstand): 90 Dezibel

Autohupe (5 m): 100 Dezibel

Motorrad: 100 Dezibel

Diskothek oder Rockkonzert: 100 – 110 Dezibel

Start eines Düsentriebwerkes (10 m): 120 – 130 Dezibel (Schmerzgrenze!)


Lärm – doppelte Gefahr für die Gesundheit
Aus der Sicht des HNO-Arztes Univ. Prof. Dr. Josef Kainz von der Medizinischen Universität Graz ist viel zu wenigen Menschen bewusst, dass Lärm eine doppelte Gefahr darstellt. Es gibt die auralen (die Ohren unmittelbar betreffenden) und die extra-auralen (psychischen und organischen) Folgen von Geräuschen.

Für die auralen Effekte gelten messbare Grenzen, die in der Berufswelt vorwiegend auf klassischen Lärmarbeitsplätzen Bedeutung haben. Grenzen, die sich daraus ergeben, dass sich Lautstärke und Dauer in ihrer Wirkung summieren. Das Limit, bei dem noch keine Gehörschäden zu befürchten sind, liegt bei einem Schallpegel von 85 Dezibel und einer Einwirkungszeit von maximal 40 Stunden pro Woche. Im Fall von 88 Dezibel sind nur noch 20 Stunden risikofrei, bei 91 Dezibel zehn und bei 104 Dezibel maximal 30 Minuten. Hier kann sozusagen die Mathematik helfen.

Bei den extra-auralen Wirkungen ist alles viel komplizierter. Sie sind vorwiegend damit erklärbar, dass lästiger Lärm Stress erzeugen kann. Über die menschlichen Alarmanlagen werden die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol zur Bewältigung eines Notfalls ausgeschüttet, der dann nie eintritt. Die Regelung wichtiger Körperfunktionen kommt aus dem Tritt, sogar das Immunsystem wird beeinträchtigt. Der Umgang mit derartigen Effekten ist auch dadurch viel schwieriger, dass Geräusche von allen Menschen unterschiedlich bewertet werden. Der eine empfindet sie als höchst lästig, der andere mag sie vielleicht sogar.

Tipps von Prof. Kainz für Menschen, die unter lauten Arbeitsplätzen leiden:

  • Oft lohnt es sich, einfach einen anderen, ruhigeren Ort zu suchen.
  • Sich Ruhepausen verschaffen. Wichtig: Wer ganz alleine Pause macht, entkommt lauten Kolleginnen und Kollegen gleich doppelt.
  • Zur Verhinderung extra-auraler Effekte lässt sich lästiger Schall durchaus mit angenehmem Schall – etwa mit Musik über Ohrhörer – überdecken. Allerdings nicht mit zu viel davon, sonst könnten die Ohren beschädigt werden. Kainz aus eigener Erfahrung: „Ich habe während meines Studiums in einer nicht gerade ruhigen Wohngemeinschaft gelebt. Strebern musste ich daher immer mit Musik …“

BUCHTIPP:
Bernd Chibici, Die Lärmspirale Vom Umgang mit einer immer lauteren Welt
160 Seiten, geb., ISBN 978-3-902552-19-8 € 19,90 Verlagshaus der Ärzte
   

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