In der modernen westlichen Medizin werden Allergien als eine überschießende Reaktion des Immunsystems auf eigentlich harmlose Fremdstoffe definiert. Die Traditionelle Chinesische Medizin richtet den Fokus auf Dysbalancen im Körper, auf deren Boden allergische Beschwerden entstehen.
Von Natascha Gazzari

„Ist die Lunge geschwächt, sind wir empfindlich auf luftübertragene Allergene, zum Beispiel Pollen.“
Allergien sind relativ neue Erkrankungsformen und haben seit 1960 extrem zugenommen. In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) gab es Konzepte dazu in der Vergangenheit ebenfalls nicht, allergische Reaktionen werden aber seit Jahrzehnten in die TCM-Diagnostik und -Behandlung einbezogen. Die TCM kann eine wichtige und wertvolle Ergänzung in der Vorbeugung und Behandlung von Allergien sein. Worin nach den Lehren der TCM die Wurzeln allergischer Beschwerden liegen, welche Rolle „innere Hitze“ spielt und wie sich Schulmedizin und TCM optimal kombinieren lassen, erklärt Dr. Verena Baustädter, Ärztin für Allgemeinmedizin und Traditionelle Chinesische Medizin sowie Leiterin der Wiener Schule für TCM.
Wohin sieht die TCM die Ursachen für Allergien?
Der Körper ist ständig krankmachenden Einflüssen ausgesetzt. Eine wichtige Rolle spielen die äußeren pathogenen Faktoren Wind, Kälte und Hitze, die durch Haut, Nase und Mund in den Körper eindringen und zu Beschwerden wie Niesen, Schnupfen, Halskratzen, Halsschmerzen, rinnenden Augen, Husten oder Schleim führen können. Handelt es sich um einen Infekt, wird man meist rasch wieder gesund. Eine allergische Rhinitis hat ähnliche Symptome, nur ist der Körper im Gegensatz zum banalen Infekt beim allergischen Schnupfen nicht in der Lage, den krankmachenden Einfluss, das Pathogen, vollständig zu eliminieren. Ein Teil verbleibt im Inneren und verursacht immer wieder Symptome. Diese Pathogene verursachen häufig Hitze, die im Körper verbleibt. Diese Hitze wiederum versteht man in der TCM als eine mögliche Ursache für die Überreaktion des Immunsystems bei Allergien.
Wie äußert sich „innere Hitze“
Innere Hitze kann Beschwerden wie Rötung, Schwellung, Juckreiz, innere Unruhe, beschleunigten Puls oder eine Rötung auf der Zunge hervorrufen. Sie kann sowohl genetisch bedingt als auch erworben sein. Zu wenig Ruhe und Schlaf, schwierige Emotionen, schlechte Ernährungsgewohnheiten, Bewegungsmangel sowie krankmachende Umwelteinflüsse können innere Hitze begünstigen. Außer Hitze gibt es in der TCM noch andere Einflussfaktoren, die zur Entstehung von Allergien führen.
Welche Rolle spielt das Qi, die Energie im Körper
Ist der Körper nicht in Balance, kann er krankmachende Einflüsse nicht vollständig bekämpfen und ständig wiederkehrende Symptome sind die Folge. Wichtig für die körpereigene Abwehr ist das Qi, die Lebensenergie. Ein Teil des Qi ist das Wei Qi (Schutz- oder Abwehr-Qi). Der Zustand von Qi und Wei Qi bestimmt darüber, wie wir äußere Krankheitserreger abwehren bzw. nach Erkrankungen wieder gesund werden.
Warum kann das Qi im Mangel sein?
Eine wichtige Ursache für allergische Reaktionen ist ein Mangel im Qi- und Wei Qi-System. Dieser entsteht aus Fehlfunktionen von mehreren Organen. Die Nieren stellen aus Sicht der TCM die Grundenergie (Essenz) für Körper und Geist und damit für das Leben zur Verfügung. Die Milz erzeugt und nährt das Qi und die Lunge verteilt Qi im Körper. Kommt es in einem dieser Organe zu Störungen, entsteht ein Mangel von Qi und auch häufig von Wei Qi. Eine permanente Schwäche in diesen Systemen ist eine häufige Ursache für das Auftreten von Allergien, ebenso wie der pathogene Faktor Hitze. Qi-Mangel und Hitze treten oft auch gemeinsam auf. Müdigkeit, Erschöpfung und gleichzeitig Hitzesymptome sind die Folge.
Das Organsystem Lunge ist wichtig für die Atmung und Verteilung. Ist dieses geschwächt, sind wir empfindlich auf luftübertragene Allergene, z. B. Pollen. Nahrungsmittelallergien wurzeln aus Sicht der TCM meist in dem geschwächten Organsystem Milz, welches für die Verdauung zuständig ist. Ist das Organsystem der Nieren geschwächt, so fehlt dem Atmungs- und/oder Verdauungssystem die Unterstützung durch eine ausgewogene, kräftige Grundenergie. Wenn es gelingt, Nieren, Verdauungssystem und Lunge wieder ins Gleichgewicht zu bringen, nehmen allergische Reaktionen ab oder verschwinden vollständig.
Wie wird eine Diagnose gestellt?
In der TCM ist die ganzheitliche Sicht auf den Menschen extrem wichtig. Bei der Diagnose kommen die „vier diagnostischen Methoden“ zum Einsatz: Befragung, Betrachtung, Hören und Riechen sowie Tasten. Bei der Befragung werden gezielte Fragen gestellt, um ein umfassendes Bild zu erhalten. Bei der Betrachtung werden äußere Merkmale wie Gesichtsfarbe, Körperhaltung, Haut, Augen, aber auch die Zunge analysiert. Wichtiger Bestandteil der Diagnose ist die Pulsdiagnose. Die gesammelten Daten werden zu einem „Muster“ zusammengeführt, das dann mit chinesischen Arzneien (Kräutern), Akupunktur, Ernährungsmedizin und Körpertherapie behandelt werden kann. Ziel der Therapie ist es, die akuten Symptome zu beruhigen und den Körper langfristig zu stärken und wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Entscheidend ist, die Behandlung fortzuführen, auch wenn die akuten Beschwerden weniger geworden oder verschwunden sind. Erst dann kann an der Verbesserung der Konstitution gearbeitet werden. Das ist die wahre Prävention und eine Stärke der TCM: Mängel werden gestärkt, Hitze wird gekühlt, Stagnation bewegt, Kälte und Feuchtigkeit eliminiert.
Wie können sich Schulmedizin und TCM ergänzen?
Die TCM bezieht westliche Diagnosen in die Behandlung des Krankheitsbildes ein. So wird ein Erkältungsschnupfen anders gesehen und therapiert als eine allergische Rhinitis mit erhöhten Antikörpern im Blut. Die Schulmedizin kann besonders wirkungsvoll Entzündungen beruhigen, Bronchien erweitern, Histamin reduzieren und akute, zum Teil auch lebensbedrohliche Zustände gut behandeln. Die TCM wiederum kann ebenfalls akute Symptome behandeln, aber auch den Körper gezielt stärken und wieder ins Lot bringen. Sie ist somit eine wunderbare Ergänzung zur Schulmedizin. Beide Methoden können zusammenarbeiten und ihre jeweiligen Stärken zum Wohle der Betroffenen ausspielen.
Fotos: istock Katsiaryna Pleshakova, Elisabeth Novy