Pollen, Tierhaare, Hausstaub und Co sind grund-sätzlich unbedenklich, außer das Immunsystem erklärt sie plötzlich zum Feind: Warum der Körper auf eigentlich harmlose Umweltstoffe überempfindlich reagiert, wer besonders häufig von Allergien betroffen ist und wo man Hilfe findet, berichtet Dr. Michael Mandl,
Facharzt für Dermatologie und Venerologie in Salzburg.
Was ist eine Allergie?
Von einer Allergie spricht man, wenn der Körper mit einer überschießenden, krankhaften Immunreaktion auf körperfremde, an sich unbedenkliche Fremdstoffe (Allergene) reagiert. Schon geringe Mengen dieser Allergene reichen, um allergische Reaktionen wie juckende, brennende Augen, eine laufende oder verstopfte Nase oder Hautausschläge auszulösen. Es gibt vier verschiedene Typen von Allergien, wobei Typ-I-Allergien vom Sofort-Typ und Typ-IV-Allergien vom Spät-Typ am häufigsten auftreten. Bei Typ-I-Allergien kommt es innerhalb kurzer Zeit – von Sekunden bis zu maximal 24 Stunden nach Kontakt mit dem Allergen – zu allergischen Beschwerden. Der Klassiker unter den Sofort-Typ-Allergien ist der Heuschnupfen. Im Gegensatz dazu treten Symptome beim Typ-IV-Typ in der Regel erst nach Tagen auf. Typische Beispiele für diese Spät-Typ-Allergien sind die Nickel-Allergie und Allergien auf Inhaltsstoffe von Kosmetikprodukten. Grundsätzlich zu unterscheiden sind Allergien von Unverträglichkeiten, denen unterschiedlichste andere Krankheitsmechanismen zugrunde liegen können. So basiert die Lactoseintoleranz etwa auf einem Enzymmangel, die echte Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) wiederum ist eine Autoimmunerkrankung.
„Niemand wird mit einer Allergie geboren. Es braucht erst eine Phase der Allergieentwicklung, bevor diese erkennbar wird.“
Wer entwickelt eine Allergie?
Die genauen Ursachen für die Entstehung von Allergien sind bis heute noch nicht vollständig geklärt. Man geht davon aus, dass mehrere Faktoren dafür verantwortlich sind, allen voran eine Störung des Immunsystems. Besonders bei den Typ-I-Allergien spielen auch die Gene eine Rolle. Leidet ein Elternteil an Allergien, liegt das Risiko für das Kind, ebenfalls eine Allergie zu bekommen, bei rund 30 Prozent. Sind beide Elternteile Allergiker, erhöht sich das Risiko auf rund 60 Prozent. Trotz dieser erblichen Komponente sind die meisten Kinder, bei denen eine Allergie festgestellt wird, nicht erblich vorbelastet. In Ländern mit westlichem Lebensstil treten Allergien generell häufiger auf. Fest steht, dass eine hohe Feinstaubbelastung und der Klimawandel, der zu Veränderungen des Pollenfluges führt, Allergien befeuern. Auch Passivrauchen, besonders im Kleinkind- und Kindesalter, zählt zu den Risikofaktoren. Störungen der Hautbarriere, die etwa bei Neurodermitis vorkommen, können das Auftreten von Allergien ebenfalls begünstigen. Bei Allergien vom Spät-Typ, bei denen Symptome erst nach Tagen auftreten, sind neben der individuellen Neigung auch die Häufigkeit und Intensität des Kontakts mit dem Allergen bzw. das allergene Potenzial eines Stoffes entscheidend.
Was ist der Unterschied zwischen Allergie und Sensibilisierung?
Niemand wird mit einer Allergie geboren. Es braucht erst eine Phase der Allergieentwicklung, der sogenannten Sensibilisierung, bevor die Allergie erkennbar wird. In dieser Sensibilisierungsphase, die Wochen, Monate oder Jahre dauern kann, erkennt das Immunsystem die Allergene zwar als „fremd“, zeigt jedoch noch keine allergische Reaktion. Erst in der zweiten Phase treten allergische Reaktionen auf, hier reichen dann selbst geringe Mengen des allergieauslösenden Stoffes, um Beschwerden zu verursachen.
Welche Symptome treten auf?
Beim Klassiker Heuschnupfen treten die Symptome dort auf, wo die Allergene zuerst Kontakt mit dem Immunsystem aufnehmen können, nämlich an den Schleimhäuten von Augen und Nase. Kurzatmigkeit und Husten bis hin zu Atemnotattacken können im Rahmen eines allergischen Asthmas auftreten. Die meisten Nahrungsmittelallergien zählen ebenfalls zu den Typ-I-Allergien, es kommt also sehr rasch nach dem Kontakt zu Symptomen. Häufig beobachtet man Kreuzreaktionen, so reagieren z. B. Birkenpollenallergiker nach dem Verzehr von Nüssen und gewissen Früchten mit Juckreiz im Mund, Rachen und Hals. Die Beschwerden sind in der Regel nicht schwerwiegend und beschränken sich auf den obersten Verdauungstrakt, da die Allergene durch die Magensäure sowie auch durch Kochen unschädlich gemacht werden. Allergien des Sofort-Typs können jedoch auch zu einer Anaphylaxie führen. Davon ist die Rede, wenn mehrere Organsysteme von einer allergischen Reaktion betroffen sind. Neben Hautreaktionen können sich rasch auch Symptome wie Herzklopfen, Kreislaufschwäche, Schluckbeschwerden und Atemnot bis hin zum lebensbedrohlichen Schock entwickeln. Zu den bekannten Auslösern einer Anaphylaxie zählen „echte“ Nahrungsmittelallergien wie Nussallergien sowie Allergien gegen Fisch und Schalentiere, Soja und Weizen. Zu schwerwiegenden allergischen Reaktionen kommt es auch dann, wenn das Allergen an den natürlichen Barrieren der Haut und Schleimhaut vorbeigeschleust wird, sei es durch einen Insektenstich oder durch die Verabreichung eines Medikaments unter die Haut oder direkt in die Vene. Bei Spät-Typ-Allergien entwickeln sich die Symptome verzögert und zeigen sich meist in Form von Ekzemen in jenen Bereichen, in denen das Allergen Hautkontakt hatte. So kommt es bei der Nickel-Allergie zu juckenden und schuppenden Rötungen, wo Schmuck, Ohrringe oder Gürtelschnallen getragen wurden. Lebensgefährliche Reaktionen beobachtet man bei den Spät-Typ-Allergien zwar eher selten, die Beschwerden können jedoch sehr belastend werden. So zählt das Handekzem zu den häufigsten Berufskrankheiten, z. B. bei Friseurinnen und Friseuren. Eine strikte Allergenvermeidung ist oft nur dann möglich, wenn der Beruf gewechselt wird.
Wie erfolgt die Diagnosestellung?
Bei Verdacht auf eine Allergie sollte man sich an eine Fachärztin, einen Facharzt wenden, der Erfahrung in der Allergiediagnostik hat. Ein ausführliches Gespräch liefert wichtige Informationen und hilft dabei, die notwendige Testung einzugrenzen. Sinnvoll ist es, vorab ein Beschwerdetagebuch zu führen, das als Grundlage für das Arztgespräch dient. Wichtiger Bestandteil der Diagnose von Typ-I-Allergien ist der Prick-Test, bei dem Allergenlösungen in Tropfenform auf die Haut aufgetragen und die Haut anschließend mit einer feinen Lanzette oberflächlich angeritzt wird. Der Test ist praktisch schmerzfrei und dauert rund 20 Minuten. Er kann auch bei Kindern durchgeführt werden, vorausgesetzt sie können 20 Minuten die Unterarme ruhig halten.
Zum Nachweis von Kontaktallergien gibt es den Epikutantest bzw. Patch-Test. Bei diesem Provokationstest werden die allergenen Testsubstanzen über zwei Tage mit speziellen Pflastern auf die Haut geklebt. Nach 48 und 72 Stunden, manchmal auch nach einer Woche, erfolgen „Ablesungen“ der Hautreaktion.
Eine Typ-I-Sensibilisierung lässt sich außerdem über eine Blutuntersuchung nachweisen. Hier werden allergenspezifische IgE Antikörper untersucht. Durch Analyse der Allergen-Komponenten kann zwischen einer echten Allergie und einer Kreuzreaktion unterschieden werden. Außerdem hilft die Komponentendiagnostik dabei, das Anaphylaxie-Risiko einzuschätzen.
Welche Therapie-möglichkeiten gibt es?
Eine der wichtigsten Maßnahmen ist die Minimierung des Kontakts mit den allergieauslösenden Stoffen. So ist etwa bei einer Hausstaubmilbenallergie die Verwendung eines milbenundurchlässigen Schutzbezuges für die Matratze (Encasing) empfohlen. Auch HEPA-Luftfilter und Pollenschutzgitter können die Allergenbelastung in den Wohnräumen reduzieren.
Um die allergischen Beschwerden zu lindern, kommen Antihistaminika zum Einsatz, die in Tablettenform, als Saft sowie als Nasen- und Augentropfen zur Verfügung stehen. Cortisonhältige Nasensprays sind bei der allergischen Rhinitis sehr gut wirksam und besser geeignet als abschwellende Nasentropfen, die relativ rasch zu einem Gewöhnungs- und Abhängigkeitseffekt führen.
Einen besonderen Stellenwert bei der Behandlung von Typ-I-Allergien hat die spezifische Immuntherapie (SIT) bzw. Hyposensibilisierung. Sie dauert in der Regel drei Jahre und soll durch eine gezielte Allergenexposition zur Entwicklung einer Toleranz gegenüber den Allergenen führen. Die SIT ist je nach Allergen in Form von Impfungen (SCIT) oder Tropfen/Tabletten (SLIT) erhältlich. Besonders gut untersucht ist die Wirksamkeit für Baum- und Gräserpollenallergien, Hausstaubmilbe, Bienen- und Wespengift sowie Ragweed.
Die Akuttherapie von Kontaktallergien erfolgt durch cortisonhältige Cremes. In den Griff bekommen lassen sich allergische Kontaktekzeme jedoch nur dann, wenn deren Auslöser gefunden und der Kontakt vermieden werden kann.
Wie kann die Komplementär-medizin unterstützen?
Vitamin C hat eine natürliche histaminbindende Wirkung und kann in Form von Tabletten oder als Hochdosis-Infusionsserie beschwerdelindernd wirken. Andere natürliche Wirkstoffe wie Quercetin, Astragalus und Winterkirsche (Ashwaganda) werden wegen ihrer antioxidativen und histaminregulierenden Eigenschaften gerne eingesetzt. Die Wirksamkeit von Akupunktur bei Heuschnupfen konnte mittlerweile durch Studien bestätigt werden. Eine vielversprechende Studie der Universität Innsbruck beschäftigt sich mit der Wirkung einer natürlichen Hyposensibilisierung durch den Verzehr von Äpfeln bei Menschen mit Birkenpollenallergie.
Kann eine Allergie spontan verschwinden?
Gerade Nahrungsmittelallergien im Kleinkindalter haben eine hohe Spontanheilungstendenz. Abhängig vom Schweregrad einer Allergie kann sich besonders bei milden Allergieformen eine Toleranz entwickeln. Je länger eine Allergie besteht und je schwerer sie ausgeprägt ist, desto niedriger ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass sie spontan verschwindet.
Kann man vorbeugen?
Besonders im Kleinkindalter gibt es hierfür entsprechende Hinweise. Durch frühe Einführung von Beikost, zusätzlich zum Stillen, kommt das Baby über die Mundschleimhaut in Kontakt mit Allergenen und so kann sich frühzeitig eine bleibende Toleranz entwickeln. Eine gesunde, ausgewogene Ernährung mit möglichst naturbelassenen Lebensmitteln ist für Mutter und Kind empfehlenswert. Die Sensibilisierungsgefahr durch Haushaltsallergene wie Hausstaubmilben lassen sich durch häufiges Stoßlüften und das Entfernen von Teppichen und Teppichböden vor allem aus dem Schlafzimmer vermindern. Zimmerpflanzen sollten aus Bade- und Schlafzimmern entfernt werden, da sich in der Erde Schimmelpilze entwickeln können. Während Hunde im Haushalt die Entwicklung einer Hundehaarallergie tendenziell nicht erhöhen, erhöht das Halten von Katzen in geringem Maße das Risiko einer Allergieentwicklung. Im Falle von Arbeitsstoffen wie Klebemitteln, Lacken, Farben usw. ist der Schutz vor Hautkontakt mit Handschuhen entscheidend.
Notfall Anaphylaktischer Schock
Personen, die schon einmal einen anaphylaktischen Notfall erlebt oder ein erhöhtes Risiko dafür haben, bekommen ein sogenanntes „Allergie-Notfallset“ verordnet. Es sollte immer mitgeführt werden und kann lebensrettend sein, wenn z. B. eine Insektengiftallergie diagnostiziert wurde. Darin enthalten sind ein Kortison-Präparat, ein schnell wirksames Antihistaminikum und eine Adrenalin-Fertigspritze, die Blutdruck und Kreislauf in Minutenschnelle stabilisiert. Die Adrenalin-Fertigspitze wurde für Laien entwickelt und kann nach einer kurzen Einschulung durch den Arzt unkompliziert bedient werden. Kommt es zu einem allergischen Schock, gilt es möglichst Ruhe zu bewahren. Körperliche Belastung oder Hitze können die Anaphylaxie verschlechtern. Das Entfernen beengender Kleidung und das Lagern der betroffenen Person an einem möglichst kühlen, schattigen Ort kann im Notfall wertvolle Zeit verschaffen.
Fotos: © istock Damaratskaya_Alena