80 Prozent aller Operationen werden unter Vollnarkose durchgeführt, die übrigen mit der Hilfe anderer Betäubungsmethoden. Narkosen zählen zu den wohl segensreichsten Errungenschaften der Medizin, und doch machen sie vielen mehr Angst als die darauffolgende Operation. Für MEDIZIN populär beantwortet ein Experte zehn häufige Fragen rund um Narkosen.
Von Mag. Sabine Stehrer
1. Wie funktionert eine Narkose eigentlich?
„Die Narkosemittel wirken auf das zentrale Nervensystem im Gehirn und im Rückenmark ein“, erklärt Univ. Prof. Dr. Wilfried Ilias, Spezialist für Anästhesiologie und Intensivmedizin in Wien. Die betäubenden Stoffe bringen mit sich, dass die Narkotisierten bewusstlos werden. Die Schmerzmittel und Mittel, die die Muskeln entspannen, legen wiederum sozusagen bestimmte Botenstoffe lahm, die für die Übermittlung von Reizen zuständig sind. „So wird vermieden, dass während der Operation Muskeln zucken, was gefährlich wäre, und es wird erreicht, dass die Narkotisierten schmerzfrei sind.“
2. Wie werden mir die Narkosemittel verabreicht?
Ilias: „Das hängt davon ab, was verwendet wird“. Meistens wird die Narkose über eine Infusion eingeleitet, die bereits Schmerzmittel und muskelentspannende Mittel enthält. Später werden dem bereits Narkotisierten über das künstliche Beatmungsgerät Gase wie das betäubende Edelgas Xenon, Lachgas oder ätherartige Mittel verabreicht, die die Narkose aufrechterhalten. Jene Mittel, die bewirken, dass man wieder aufwacht, werden injiziert.
3. Wie groß ist das Risiko, dass ich während der Operation aufwache?
„Dieses Risiko geht gegen Null, da dem Operateur ein Anästhesist zur Seite steht, der den Narkotisierten überwacht“, beruhigt Ilias. Ob Atmung, Puls, Blutdruck, Körpertemperatur, Nierenfunktion und die Tätigkeit verschiedener anderer Organe: All das wird von verschiedenen Geräten beobachtet. „Dass jemand während einer Narkose Schmerzen spürt oder gar aufwacht, kommt deswegen extrem selten vor“, so Ilias.
4. Kann eine Narkose Nebenwirkungen haben?
„Narkosen, auch Vollnarkosen haben selten Nebenwirkungen“, beruhigt Ilias weiter. Brechreiz zählt zu den häufigsten, aber selbst dieses Problem tritt selten auf. Noch seltener sind allergische Reaktionen auf Narkosemittel. „Treten sie doch auf, dann am ehesten in Form von asthmaähnlichen Symptomen, oder es bilden sich Quaddeln auf der Haut“, weiß der Experte. Zugleich kann der Blutdruck abfallen. Äußerst selten kommt es aufgrund der Narkose zur sogenannten malignen Hyperthermie, einem plötzlichen Blutdruckanstieg. Dabei handelt es sich um eine Nebenwirkung, die auf eine genetische Besonderheit zurückgeht, vererbt wird und unbehandelt den Zerfall der Muskeln zur Folge hätte. Da der Narkotisierte während des Eingriffs überwacht wird, können selbst mögliche Nebenwirkungen nicht gefährlich werden, so der Mediziner. Zwar ebenfalls ungefährlich, aber dafür häufiger und unangenehm sind Albträume oder Halluzinationen, die nach der Operation beim Aufwachen auftreten. Ilias: „Sie lassen sich leider nicht vermeiden.“
5. Muss ich während des Eingriffs unbedingt künstlich beatmet werden?
„Während einer Vollnarkose muss jeder künstlich beatmet werden, da die Mittel, die die Muskeln erschlaffen lassen, auch die Atmung stoppen“, erklärt Ilias. Für die künstliche Beatmung wird aber erst dann ein Kunststoffschlauch in die Luftröhre eingeführt, wenn der Narkotisierte nichts mehr davon bemerkt. Beatmet wird über ein spezielles Gerät. Weil die Atemwege durch den Vorgang gereizt werden, hat man nach der Narkose oft Halsweh und ist heiser – Beschwerden, die aber oft schon nach ein, zwei Tagen verschwinden.
6. Warum darf man vor einer Vollnarkose nichts mehr essen und trinken?
„Sechs Stunden vor der Narkose nichts mehr zu essen und zwei Stunden zuvor auch nichts mehr außer Wasser zu trinken, ist ungemein wichtig“, sagt Ilias. Der Grund: Bei der Narkose werden neben Betäubungs- und Schmerzmitteln auch Mittel gegeben, die die Muskeln entspannen. „Und wenn die Muskeln erschlaffen, während sich noch Speisebrei oder fetthaltige Flüssigkeiten im Magen befinden, können diese in die Speiseröhre zurückrinnen“, sagt Ilias. Die mögliche schlimme Folge: Man erbricht, Speisebrei gelangt über die Luftröhre in die Lunge, die dadurch verätzt wird. Ilias: „Das kann zu einer Lungenentzündung und zu bleibenden Lungenschäden führen.“
Ebenfalls nicht ratsam vor der Narkose ist Kaugummikauen. Es regt die Produktion von Magensäure an, was ebenfalls die Gefahr erhöht, zu erbrechen. „Manche vergessen, den Kaugummi vor der Narkose auszuspucken“, weiß Ilias aus Erfahrung. Verschlucken sie sich dann, kann auch der Kaugummi in die Luftröhre gelangen und die Lunge verätzen.
Wer permanent Medikamente nehmen muss, sollte zudem mit dem behandelnden Arzt absprechen, ob er vor der Narkose besser darauf verzichtet. Und noch eines empfiehlt sich, so Ilias: „Am Morgen vor dem Eingriff sollte man körperliche Anstrengungen meiden.“ Besser ist, alles gut ausgeruht auf sich zukommen zu lassen.
7. Darf ich gleich nach der Narkose wieder essen und trinken?
„Besser wäre, ein, zwei Stunden zu warten, bis man etwas isst oder trinkt“, empfiehlt Ilias. Zumindest so lange, bis der Körper die Narkosemittel wieder abgebaut hat und die Leber nicht mehr damit belastet ist, sollte man keinen Alkohol trinken: Der Abbau der Mittel dauert je nach Intensität der Narkose zwei bis zwölf Stunden.
8. Stimmt es, dass während einer Narkose Hirnzellen absterben?
„Wenn es dazu kommt, was immer wieder angenommen wird, aber nicht bewiesen ist, dann liegt das nicht an den Narkosemitteln, sondern an einem Blutdruckabfall oder einem Sauerstoffmangel, der während des Eingriffs auftritt,“ stellt Ilias richtig.
9. Wie steht es mit alternativen Methoden wie der Akupunktur oder Hypnose?
„Wenn eine schwere Operation nötig ist, ist die Narkose weder durch Akupunktur noch durch Hypnose ersetzbar, da die Wirkung beider Methoden nicht kalkulierbar ist“, sagt Ilias. Akupunktur und Hypnose könnten zwar Schmerzen bekämpfen, doch würden sie bei jedem anders und nicht immer gleich lang wirken.
10. In welchen Fällen reicht eine lokale Betäubung aus?
„Bei Eingriffen in der Bauchgegend, an den Beinen oder Füßen reicht häufig auch ein Kreuzstich aus, um Schmerzen auszuschalten und Muskelreflexe zu verhindern“, erläutert Ilias. Kreuzstich heißt, dass ein Betäubungsmittel in den Wirbelkanal injiziert wird, um bestimmte Nervenstränge außer Gefecht zu setzen, eine Methode, die auch bei Geburten angewandt wird, um den Schmerz zu reduzieren. Manchmal wird auch nur eine Lokalanästhesie durchgeführt, also ein schmerzleitender Nerv betäubt, wie etwa bei Zahnbehandlungen oder Operationen an den Schulter- oder Handgelenken. Die Alternativen bei der Versorgung von kleineren Verletzungen: Betäubungsmittel, die unter die Haut injiziert werden oder eine Vereisung. „Vor Untersuchungen mit dem Endoskop wie zum Beispiel vor einer Darmspiegelung genügt ein Mittel, das in den Dämmerschlaf versetzt, um nichts davon zu bemerken, was um einen vorgeht“, so der Experte.
Buchtipp:
Leitner, Vertrauen in Narkose, ISBN 978-3-99052-036-9, 88 Seiten, € 14,90
Verlagshaus der Ärzte, 2012