Medizin & Trends

Autismus

Was hilft gegen die Störung der vielen Gesichter?
 
Rund ein Prozent der Österreicher leidet an Autismus, das sind etwa 80.000 Menschen. Geheilt werden kann die Störung der vielen Gesichter nicht, doch es gibt immer bessere Hilfen.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Wenn es um die Definition von Autismus geht, scheiden sich die Geister: Die einen sprechen von einer „Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung“, die anderen von einem „abweichenden Informationsverarbeitungsmodus“. Der Dachverband der österreichischen Autistenhilfe schreibt: „Autismus ist primär eine Wahrnehmungsverarbeitungsstörung“. Ob Störung oder abweichender Modus – sicher ist: Autismus entsteht bereits im Mutterleib, wo sich die Hirnareale der Autisten anders vernetzen als bei anderen. Über die Ursachen dafür ist nach wie vor nur so viel bekannt: „Der Einfluss der Gene ist groß“, sagen der Wiener Allgemeinmediziner, Psychiater und Psychotherapeut Dr. Wolfgang Gombas und Univ. Prof. Dr. Luise Poustka, Leiterin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Medizinischen Universität Wien. Poustka: „Die Erblichkeit der Störung beträgt zwischen 50 und 70 Prozent.“ Auch werde vermutet, dass einige Umweltfaktoren das Risiko für die Entstehung von Autismus mit beeinflussen können. Dazu könnten zum Beispiel Infektionskrankheiten wie Röteln, die die Mutter während der Schwangerschaft hatte, oder bestimmte Medikamente zählen, die sie nahm. Als weiterer möglicher Risikofaktor wird ein erhöhtes Alter der Eltern bei der Geburt diskutiert.

Problem mit Emotionen und Kommunikation

Bis zu einem Prozent der Bevölkerung leidet an Autismus, hierzulande sind das etwa 80.000 Menschen – wobei viermal mehr Männer als Frauen betroffen sind. Poustka und Gombas wissen, welches Problem nahezu alle Autisten eint: „Sie können Emotionen anderer schwer einschätzen, was die soziale Kommunikation und soziale Interaktion schwierig macht.“ Wie sehr der Autismus das Leben beeinträchtigt, ist jedoch höchst unterschiedlich – die Störung hat viele Gesichter. Unter den Autisten, die Gombas behandelt, finden sich beispielsweise solche, die lediglich wegen eines Kommunikationsproblems Hilfe suchen. Aber auch andere, die wegen der Störung an Begleiterkrankungen wie Angststörungen, Depressionen oder Zwangsstörungen leiden und, wie der Mediziner sagt, „drohen, an der Welt zu scheitern“. Verschieden ausgeprägt ist Autismus auch im Kindesalter, wo die Störung meist diagnostiziert wird. „Einige Kinder zeigen lediglich leichte Auffälligkeiten“, erklärt Poustka, „andere dagegen lernen nicht sprechen, stellen kaum Blickkontakt her, zeigen kaum soziale Initiative“. Andere autistische Kinder haben, so die Psychiaterin weiter, „zusätzlich Begleitstörungen wie Aktivitäts- oder Aufmerksamkeitsstörungen, Angststörungen, depressive Verstimmungen oder Zwangsstörungen und sind daher stärker beeinträchtigt“.

Verhaltenstherapie und Neurofeedback

Nicht alle Autisten sind hoch intelligent oder speziell begabt. Gombas: „Viele haben einen durchschnittlich hohen Intelligenzquotienten und keine besonderen Fähigkeiten.“ So ist das Bild, das Filme wie „Rain Man“ mit Dustin Hoffmann aus 1988 vermitteln, nur bedingt richtig. Dafür haben die filmischen Verarbeitungen des Themas dabei geholfen, Aufmerksamkeit auf die Störung zu lenken: Symptome des Autismus werden heute wesentlich häufiger als noch vor drei Jahrzehnten diagnostiziert – und das rascher. Das macht zwar immer noch keine Heilung, dafür aber bessere Hilfen möglich. Denn, so Poustka: „Je früher eine Therapie ansetzt, desto effektiver ist sie in vielen Fällen.“ Erklärbar sei dies damit, dass das Gehirn in bestimmten kindlichen Entwicklungsphasen besonders gut stimuliert werden kann: Wie beispielweise durch eine Verhaltenstherapie, die die Eltern einbezieht. „Noch in Studien erprobt wird eine Therapie mit biologischem Ansatz, Neurofeedback, bei der die Kinder lernen, willentlich ihre Gehirnaktivitäten zu regulieren“, informiert Poustka und meint, diese Therapie könnte sich in Zukunft für viele als hilfreich erweisen.

Medikamente und „Kuschelhormon“

Bei Begleiterkrankungen wie Aktivitäts-, Aufmerksamkeits- oder Angststörungen seien in vielen Fällen Medikamente dienlich – bei Kindern genau wie in der Therapie von Erwachsenen. Erwachsenen hilft ansonsten vielfach auch eine Verhaltenstherapie. „Dabei wird zum Beispiel geübt, wann man im Gespräch mit anderen mit dem Reden an der Reihe ist, wie man redet, und welche Mimik und Gestik angemessen sind“, informiert Gombas. Ebenfalls trainiert werde, mit dem zentralen Problem besser umzugehen, das die Störung mit sich bringt – Emotionen richtig einzuschätzen und entsprechend darauf zu reagieren. Ob dabei möglicherweise auch das sogenannte Kuschelhormon Oxytocin, verabreicht über ein Nasenspray, helfen kann, wird derzeit ebenfalls noch in einer Studie unter Poustkas Leitung untersucht.    

Stand 02/2016

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