Während neue Infektionskrankheiten wie die Schweinegrippe sich quasi vor den Augen der Öffentlichkeit über den Erdball ausbreiten, fordern alte Seuchen weiterhin still und heimlich ihre Opfer. So weiß kaum jemand, dass die Pest bis heute nicht besiegt ist und in verschiedenen Landstrichen der Welt immer wieder Menschenleben fordert. Und in Labors lauern die Erreger als gefährliche biologische Waffen.
Von Mag. Michael Krassnitzer
Sie brachte Tod und Verderben: die Pest. „Es gab viele, die bei Tag oder Nacht auf offener Straße verschieden, viele, die ihren Geist in den Häusern aufgaben und ihren Nachbarn erst durch den Gestank, der aus ihren faulenden Leichen aufstieg, Kunde von ihrem Tode brachten. Und nicht einmal, sondern viele Male hätte man zählen können, wo dieselbe Bahre die Leichen des Mannes und der Frau oder zweier und dreier Brüder oder des Vaters und seines Kindes trug.“ So beschrieb der italienische Dichter Giovanni Boccaccio in seinem berühmten „Decamerone“, wie die Pest 1348 in Florenz wütete. Im Jahr zuvor war der „Schwarze Tod“ erstmals nach Europa gekommen. Binnen fünf Jahren erlagen der tödlichen Pandemie schätzungsweise 25 Millionen Menschen – ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung.
Bis ins 18. Jahrhundert hinein kam es in Europa regelmäßig zu Pestepidemien. Von Sizilien bis Island fielen der Krankheit Bettler ebenso wie Könige, Bürger ebenso wie Päpste zum Opfer. An die Pestepidemie, die 1678/79 in Wien grassierte, erinnern heute noch die barocke Pestsäule am Wiener Graben und die Legende vom „lieben Augustin“, der seinen Rausch in einer Pestgrube inmitten von Pesttoten ausgeschlafen haben soll. „Man sah den ganzen Monat um Wien und in Wien nichts als Tote tragen, Tote führen, Tote schleifen, Tote begraben“, erinnerte sich der Prediger Abraham a Sancta Clara an die Epidemie. Der letzte dokumentierte Pestfall auf österreichischem Boden datiert aus dem Jahr 1716. Die letzte Pestepidemie Europas suchte 1771 Moskau heim.
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PESTOPFER 2009
AUCH IN DEN USA
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Auch wenn man diese Krankheit hierzulande mit dem Mittelalter und der Barockzeit in Verbindung bringt: Die Pest gibt es noch immer. In Asien, Afrika Nord- und Südamerika erkranken und sterben nach wie vor Menschen an der gefährlichen Seuche. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat in den Jahren 1994 bis 2003 nicht weniger als 28.350 Pesterkrankungen mit 2015 Todesopfern gezählt. Im August 2009 wurde in China bei elf Menschen Lungenpest diagnostiziert, einer davon erlag der Krankheit. Ebenfalls im Vorjahr starb ein achtjähriger Bub in den USA an Beulenpest, seine ebenfalls infizierte ältere Schwester konnte gerettet werden.
Für Reisende besteht aber kein Grund, sich vor der Pest zu fürchten. „Das Risiko, als Tourist an der Pest zu erkranken, ist sehr gering“, erklärt Univ. Prof. Dr. Florian Thalhammer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten. Selbst wenn man sich in Gebieten aufhalte, in denen gelegentlich Infektionen auftreten, sei die Gefahr einer Infektion minimal. „Das Risiko, an Tollwut zu erkranken, wogegen man sich durch eine entsprechende Impfung schützen kann, ist zweifellos größer“, betont Thalhammer.
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AUCH HAUSKATZEN ALS ÜBERTRÄGER
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Die von dem Bakterium Yersinia pestis ausgelöste Pest ist ursprünglich eine unter Nagetieren verbreitete Krankheit. Über Parasiten wie Läuse, Zecken und vor allem Flöhe kann sie auch auf den Menschen übertragen werden. Ratte – Floh – Mensch – so lautet der klassische Übertragungsweg. Den wissenschaftlich genau untersuchten Pestepidemien und -pandemien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in Asien ging stets ein Rattensterben voraus. Aber der Krankheitserreger kann auch auf anderen Wegen zum Menschen gelangen: Die Krankheit kann auch durch Tröpfcheninfektion, also über Atem und Speichel, von Tier zu Mensch bzw. von Mensch zu Mensch übertragen werden. Die nach wie vor in den USA vorkommenden Pestfälle – durchschnittlich zehn bis 15 pro Jahr – gehen häufig auf Hauskatzen zurück, die mit Pest infizierte Erdhörnchen gefressen haben.
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PESTERREGER ALS GEFÄHRLICHE WAFFE
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Besteht die Gefahr einer neuerlichen Pestepidemie, mit ähnlich verheerenden Folgen wie der „Schwarze Tod“ im Mittelalter? Thalhammer gibt diesbezüglich Entwarnung: „In den Industrienationen besteht aufgrund der ausgezeichneten hygienischen Bedingungen keine reelle Gefahr, dass es zum Auftreten einer Pestpandemie kommt.“ Zwar leben in unseren Städten Ratten in großer Zahl, doch im Gegensatz zu früheren Zeiten bzw. weniger entwickelten Gebieten von heute kommen Mensch und Ratte in Industrieländern kaum noch in Kontakt.
Denkbar ist allerdings eine ganz andere Form der Verbreitung: der Einsatz des Pesterregers als biologisch Waffe. Die WHO zählt den Pesterreger zum sogenannten „dreckigen Dutzend“, zu den zwölf gefährlichsten Kampfstoffen der Welt. Im Zweiten Weltkrieg etwa warf die japanische Armee mit dem Pesterreger infizierte Flöhe über China ab. Auch der „Schwarze Tod“ war einst infolge biologischer Kampfführung nach Europa gekommen: Während einer Belagerung schleuderten Mongolen Pestleichen mit Katapulten in die zur Republik Genua gehörende, in der heutigen Ukraine liegende Hafenstadt Kaffa. Die vor der Krankheit flüchtenden Genueser brachten die Pest dann nach Italien.
„Die Pest hat das Potenzial, als Biowaffe eingesetzt zu werden“, weiß Infektionsexperte Thalhammer. So wäre es möglich, Pesterreger durch mikrobiologische Veränderungen gegen gängige Antibiotika resistent zu machen und aus ihnen ein Aerosol, also ein Gemisch aus Gas und feinen Tröpfchen, herzustellen. Einschlägige Untersuchungen haben ergeben, dass das Versprühen von 50 Kilogramm „Yersinia pestis“ in Form eines Aerosol über einer Stadt mit fünf Millionen Einwohnern 36.000 Tote und 150.000 Patienten mit Lungenpest zur Folge hätte. Herstellung und Besitz biologischer Waffen sind zwar seit 1975 weltweit verboten, doch – so Thalhammer – „die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit biowaffenfähigen Erregern wird laufend fortgesetzt“.
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Epidemie, Pandemie, Endemie:
Was heißt das?
Eine Epidemie ist ein stark gehäuftes, aber örtlich und zeitlich begrenztes Vorkommen einer Erkrankung. Beispiele dafür sind die Große Pest von Wien 1679, aber auch die alljährlich wiederkehrenden saisonalen Grippeepidemien.
Eine Epidemie, die sich über Länder und Kontinente hinweg ausbreitet, heißt Pandemie. Dazu zählen Aids, der erste Ausbruch der Pest im Mittelalter (der „Schwarze Tod“ 1347 bis 1353) und die drei großen Grippepandemien des 20. Jahrhunderts, allen voran die Spanischen Grippe (1918/1919) mit bis zu 50 Millionen Todesopfern.
Als Endemie bezeichnet man eine einheimisch gewordene Infektionskrankheit, die ständig innerhalb eines begrenzten Gebiets vorkommt. Außerhalb Europas sind dies zum Beispiel Cholera, Pest und Typhus. Zu den endemischen Krankheiten in Mitteleuropa zählen Lungentuberkulose, Masern und Scharlach.
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Die vier Formen der Pest
Die Beulenpest
ist die häufigste Form der Pest. Sie ist gekennzeichnet durch stark geschwollene, schmerzhafte, dunkel gefärbte Beulen am Hals, in den Achselhöhlen oder in den Leisten, je nachdem, wo der für die Infektion verantwortliche Floh zugebissen hat.
Die Pestsepsis
entsteht, wenn der Erreger über eine offene Wunde oder durch Aufplatzen von Pestbeulen nach innen in die Blutbahn gelangt. In der Folge kommt es zu massiven inneren und äußeren Blutungen.
Die Lungenpest
wird entweder von einem blutsaugenden Insekt oder durch Tröpfcheninfektion von einem infizierten Menschen übertragen. Sie äußert sich in Husten, Atemnot, Blaufärbung der Lippen und blutigem Auswurf.
Die Abortive Pest
führt lediglich zu leichtem Fieber und leichter Schwellung der Lymphdrüsen. Der Organismus bildet Antikörper und der Betroffene ist in Hinkunft gegen alle Formen der Krankheit immun.
Behandlung & Folgen
Mit Ausnahme der letztgenannten milden Variante führt die Erkrankung unbehandelt in den meisten Fällen zum Tod. „Heutzutage kann die Pest aber mit Antibiotika gut behandelt werden. Bei frühzeitigem Erkennen bestehen gute Heilungschancen“, beruhigt Infektionsexperte Univ. Prof. Dr. Florian Thalhammer.