Ständige Schlappheit, Gewichtszunahmen, Gewichtsverlust, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen, Hitzewallungen: All diese Beschwerden können auftreten, wenn das „Gaspedal des Körpers“ streikt: die Schilddrüse. Bei Frauen kommt das Problem besonders häufig vor. Warum das so ist und was hilft.
Von Mag. Sabine Stehrer
Sie ist etwa sieben Zentimeter breit, drei Zentimeter lang und zwei Zentimeter dick, liegt unter dem Kehlkopf und besteht aus zwei Lappen, die ihr das Aussehen eines Schmetterlings verleihen: die Schilddrüse. Das kleine Organ hat viele wichtige Aufgaben, die eines gemeinsam haben: Sie steuern die Geschwindigkeiten verschiedener Vorgänge im Körper. „So wie das Herz der Motor des Körpers ist, ist die Schilddrüse das Gaspedal“, erklärt dazu Prim. Univ. Prof. Mag. Dr. Michael Gabriel, Vorstand des Instituts für Nuklearmedizin und Endokrinologie am AKH in Linz. Die Schilddrüse bestimmt das Tempo, in dem unsere Herzschläge aufeinander folgen, auch die Geschwindigkeit, in der unser Stoffwechsel Eiweiß, Fett und Zucker verarbeitet und in Energie umsetzt. Die Drüse beschleunigt oder verlangsamt aber auch den Knochenstoffwechsel, treibt unsere Körpertemperatur in die Höhe oder lässt sie absinken, gibt Gas bei der Bildung von Hormonen – oder drosselt deren Produktion. Vor allem letzteres führt dazu, dass die Schilddrüse auch unsere Gemütslage beeinflusst und mitbestimmt, ob Frauen bzw. Männer sexuelle Lust empfinden oder nicht, potent sind oder nicht, gebärfähig oder nicht.
Aus dem Lot
Streikt das „Gaspedal des Körpers“, funktioniert die Schilddrüse nicht so, wie sie sollte, gerät man einigermaßen aus dem Lot. „Ich wurde immer antriebsloser, konnte schwer einschlafen bzw. nicht durchschlafen, Unkonzentriertheit gesellte sich dazu, auch Weinkrämpfe standen an der Tagesordnung“, beschreibt Gabi in einem Internetforum, das Menschen mit Schilddrüsenerkrankungen zum Erfahrungsaustausch dient, erste Anzeichen des Leidens. Ähnlich ging es Heike: „Erst hatte ich immer so Phasen, in denen ich dauernd gereizt war, dann hatte ich plötzlich ständig Schweißausbrüche, mir war oft schwindlig und ich habe stark abgenommen.“ – „Ich habe zugenommen“, schreibt Margot, „mich immer schlechter gefühlt, dann sind mir auch noch die Haare ausgefallen, und meine Fingernägel sind ganz brüchig geworden.“
Jeder Zehnte betroffen
Was Margot, Heike und Gabi aufgrund ihrer Schilddrüsenerkrankungen erlebt haben, kennen etwa zehn Prozent der Bevölkerung, wobei Frauen von Schilddrüsenerkrankungen besonders häufig betroffen sind. Gabriel: „Das liegt höchstwahrscheinlich am weiblichen Hormonhaushalt.“ Abgesehen vom Frausein spielen auch die Gene eine Rolle bei Schilddrüsenerkrankungen. „Familiäre Häufungen lassen annehmen, dass es auch eine erbliche Komponente gibt, die zur Entstehung beiträgt“, sagt Gabriel. Auch wenn man nicht zu den Risikogruppen zählt, rät Experte Gabriel dazu, sich auch schon beim geringsten Verdacht auf eine Schilddrüsenerkrankung ausführlich von einem Spezialisten untersuchen zu lassen. Denn wird die Erkrankung nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, ist durch die vielen verschiedenen Symptome nicht bloß die Lebensqualität der Betroffenen beeinträchtigt. „Längerfristig kann es auch zu Schädigungen anderer Organe oder Organsysteme mit schwerwiegenden Folgen kommen“, sagt Gabriel. So können z. B. die Knochen, die Blutgefäße oder der Herzmuskel in Mitleidenschaft gezogen werden.
Zu viel oder zu wenig Gas
Wie kommt es zu den Beschwerden? Besteht eine Schilddrüsenüberfunktion, gibt das Organ sozusagen zu viel Gas und produziert zu viele Hormone. Typische erste Anzeichen dafür sind ein unerwünschter Gewichtsverlust, Durchfall, Herzrasen, Schlafstörungen, Schweißausbrüche, Zittern. Bei einer Form der Schilddrüsenüberfunktion, Morbus Basedow, können noch Augenbeschwerden hinzukommen wie Rötungen, das Sehen von Doppelbildern und das Hervortreten der Augen.
Bei einer Schilddrüsenunterfunktion gibt die Drüse zu wenig Gas, und es mangelt an Hormonen. Charakteristische Frühsymptome sind eine stetige Gewichtszunahme, Verstopfung, Müdigkeit, häufiges Frieren, depressive Verstimmungen, Haarausfall und brüchige Fingernägel. Weitere, aber seltene Schilddrüsenerkrankungen sind die schmerzhafte Schilddrüsenentzündung, die unbehandelt zu einer Schilddrüsenunterfunktion führen kann, und der Schilddrüsenkrebs.
Mehrere Untersuchungen notwendig
„Um zu erkennen, ob mit der Schilddrüse etwas nicht stimmt, sind mehrere Untersuchungen notwendig“, sagt Gabriel. Eine Blutanalyse zeigt, ob die Schilddrüse zu viele oder zu wenige Hormone produziert. Eine Ultraschalluntersuchung lässt zudem erkennen, ob es zu krankhaften Veränderungen der Drüse gekommen ist, wie der Bildung von Knoten oder Zysten.
Die Szintigrafie, das ist ein nuklearmedizinisches Verfahren, bei der eine strahlende Substanz injiziert oder geschluckt wird, stellt fest, ob es sich bei den Knoten um sogenannte warme oder heiße Knoten handelt. Solche Knoten produzieren ebenfalls Schilddrüsenhormone. „Und dann kann sich“, so Gabriel, „rasch eine Schilddrüsenüberfunktion entwickeln.“ Die sogenannten kalten Knoten produzieren keine Hormone, doch sollte man sie punktieren, Gewebe entnehmen und untersuchen – denn sie können bösartig sein.
„Egal ob es sich nun um warme bzw. heiße oder kalte Schilddrüsenknoten handelt, wer davon betroffen ist, sollte sich mindestens einmal im Jahr die Schilddrüse untersuchen lassen“, rät Gabriel.
Meist leicht behandelbar
Schilddrüsenerkrankungen lassen sich meist leicht behandeln. Gabriel: „Die Funktionsstörungen können mit Medikamenten gut ausgeglichen werden.“ Bei einer Schilddrüsenunterfunktion genügt es, via eine Tablette täglich Schilddrüsenhormone einzunehmen. Die Überfunktion lässt sich manchmal auch gut mit einer speziellen Bestrahlung, der sogenannten Radiojodtherapie, schonend und dauerhaft behandeln. Ist diese nuklearmedizinische Therapie nicht möglich, hilft eine Operation, bei der entweder ein Teil der vergrößerten Schilddrüse entfernt wird – oder das ganze Organ. „Der Eingriff ist heute nahezu risikolos“, sagt Gabriel. „Danach müssen die Betroffenen allerdings lebenslang Medikamente mit den Schilddrüsenhormonen nehmen.“ Eine Tablette täglich reicht auch dann als Ersatz für das „Gaspedal des Körpers“ aus.
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Jod gegen Kropf
Jodmangel, der frühere hauptsächliche Auslöser für Schilddrüsenerkrankungen, kommt heute und hierzulande nur noch vereinzelt vor. Der Grund: Seit 1963 wird dem österreichischen Salz Jod beigemengt, sodass wir über das Salz bzw. über gesalzene Lebensmittel genug Jod aufnehmen. Ohne ausreichende Jodzufuhr kann die Schilddrüse nicht genug Hormone produzieren. Um den Mangel auszugleichen, wächst die Schilddrüse. Ein Kropf entsteht, und das solcherart vergrößerte Organ kann wieder genug Hormone bilden.
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Osteoporose, Schilddrüsenprobleme & Co:
Warum trifft es vor allem Frauen?
Schilddrüsenerkrankungen, Osteoporose, Autoimmunerkrankungen wie Fibromyalgie, Multiple Sklerose und Lupus, Alzheimer-Demenz, Brustkrebs: Anders als gynäkologische Erkrankungen können diese Krankheiten beide Geschlechter betreffen, und doch leiden wesentlich mehr Frauen als Männer daran. „Auch Depressionen werden bei Frauen öfter diagnostiziert“, sagt Univ. Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Österreichs erste Universitätsprofessorin für Gender Medicine an der Medizinischen Universität Wien. „Das liegt allerdings auch daran, dass Frauen eher als Männer ihren Arzt mit den Problemen konfrontieren.“
Die Hormone
Dass es typische Frauenkrankheiten gibt, liegt vor allem an den weiblichen Hormonen. „Der Hormonhaushalt der Frauen ist komplex und beeinflusst die Gesundheit“, sagt Kautzky-Willer, die auch wissenschaftliche Leiterin des „la pura women’s health resort kamptal“ ist. Mit dem Beginn der Pubertät etwa können Autoimmunerkrankungen oder Migräne auftreten. Später können die zyklusbedingten Schwankungen im Hormonhaushalt körperliche Vorgänge durcheinander bringen, Krankheiten begünstigen und die Behandlung erschweren. Auch Schwangerschaften und Verhütungsmittel oder ein Hormonersatz können krank machen. Werden die Sexualhormone am Anfang der Wechseljahre weniger, beschert das nicht nur Wechselbeschwerden, sondern mitunter auch Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, Osteoporose & Co.
Der Lebensstil
Doch die Hormone allein sind nicht an allem schuld. Kautzky-Willer: „Weitere Risikofaktoren für Frauenkrankheiten sind das weibliche Erbgut und Veränderungen im Mutterleib, diesbezüglich wird viel geforscht.“ Und schließlich spielt neben der Natur auch noch der typische weibliche Lebensstil eine Rolle. So betreiben Frauen meist weniger Sport als Männer, haben durch die Doppelbelastung mit Beruf und Familie mehr Stress, und wenn sie rauchen, schädigt das ihre Gefäße mehr, als das bei Männern der Fall ist. Kautzky-Willer. „Achten Frauen sorgsam auf ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden, ist schon sehr viel für die Vorbeugung vor Frauenkrankheiten getan.“
Stand 09/2011