Neurologie & Psyche

Epilepsie

Epilepsie ist eine der häufigsten chronischen neurologischen Erkrankungen. Dabei kommt es zu einer unkontrollierten Entladung von Nervenzellen im Gehirn. Eine exakte Diagnose und moderne Therapien machen es möglich, anfallsfrei zu werden.

von Mag. Wolfgang Bauer

Seine epileptischen Anfälle nimmt er nicht bewusst wahr, denn sie ereilen ihn meistens während des Schlafs. Erst am Morgen bemerkt Mag. (FH) Michael Alexa, dass sich während der Nachtruhe ein epileptischer Anfall ereignet haben muss, da er sich im Schlaf auf die Zunge gebissen und Harn verloren hat. Auch sein Allgemeinbefinden in der Früh weist dann darauf hin, dass die Nachtruhe alles andere als erholsam war. So etwas widerfährt ihm ein oder zwei Mal pro Jahr. Früher traten die epileptischen Anfälle manchmal häufiger auf, sagt der 48-Jährige aus Maria Enzersdorf in Niederösterreich. Er kann allerdings auch auf einen Zeitraum von sieben Jahren zurückblicken, in dem er gänzlich anfallsfrei war. „Den ersten epileptischen Anfall hatte ich bereits in meinem achten Lebensmonat, wahrscheinlich als Folge eines Fieberkrampfes“, so Alexa, der ohne Scheu und Vorbehalte über seine Krankheit spricht. Denn als Präsident des Epilepsie Dachverbandes Österreich tritt er für einen offenen Umgang mit dieser Krankheit ein, die eine der häufigsten chronischen neurologischen Erkrankungen ist: Bis zu 70.000 Personen sind hierzulande von Epilepsie betroffen.

Spektakuläre Symptome

So „still“ und weitgehend unbemerkt wie bei Michael Alexa verlaufen epileptische Anfälle allerdings nicht bei allen Erkrankten. Vielmehr können die Anfälle eine spektakuläre Symptomatik aufweisen: Dann haben die Betroffenen starke Krämpfe, zum Teil am ganzen Körper, zum Teil an einzelnen Extremitäten, sie schlagen wild um sich, haben Zuckungen, grimassieren, die Augen sind weit aufgerissen, sie kommen zu Sturz, weshalb die Epilepsie früher auch Fallsucht genannt wurde, etc. Diese Symptome treten zumeist wie aus dem Nichts und ohne Anzeichen auf, was anwesende Personen erschreckt und verunsichert. Doch auch wenn die Anfälle dramatisch ausschauen – in vielen Fällen sind sie rasch wieder vorbei. Nach ein oder zwei Minuten beruhigen sich die Betroffenen wieder, sind aber benommen und haben kaum eine Erinnerung an das, was soeben passiert ist, denn sie mussten die Krämpfe und Zuckungen im Zustand einer kurzen Bewusstlosigkeit über sich ergehen lassen.
Was geht im Körper solcher Patienten vor? Es sind die Nervenzellen im Gehirn, die verrückt spielen. „Verantwortlich für epileptische Anfälle sind überschießende Reaktionen von vielen Millionen Nervenzellen im Gehirn. Sie entladen sich nicht so kontrolliert, wie man es von der Übertragung von elektrischen Reizen im Nervensystem gewohnt ist, sondern machen dies unkontrolliert, plötzlich und synchron. Wie es bei einem heftigen Gewitter der Fall ist, wenn es unentwegt blitzt und donnert“, sagt Univ. Prof. Dr. Ekaterina Pataraia, Leiterin des Epilepsie-Monitoring Units der Universitätsklinik für Neurologie am AKH Wien. Die Auswirkungen dieser vorübergehenden Fehlfunktion des Gehirns können psychomotorischer Natur sein, mit den typischen Krämpfen und Muskelzuckungen. Epileptische Anfälle können aber auch völlig unspektakulär verlaufen, etwa in Form von leichten Muskelzuckungen oder einer geistigen Abwesenheit bzw. Benommenheit der Betroffenen. Diese Art von Anfällen wird von der Umgebung kaum wahrgenommen. Auch die Patienten selbst kriegen in vielen Fällen die Anfälle nicht bewusst mit, bemerken es wie Michael Alexa erst im Nachhinein an bestimmten Folgen.

Folgenschwere Anfälle

Experten bezeichnen jene Anfälle, die zu Krämpfen und Zuckungen am ganzen Körper führen, als generalisierte Form einer Epilepsie. Hinter generalisierten Anfällen vermuten Experten genetisch bedingte Veränderungen. Kommt es zu Krämpfen an einzelnen Extremitäten – meist eine Körperhälfte betreffend – spricht man von einer fokalen Form. „Eine fokale Form hat zumeist einen bestimmten Ausgangspunkt im Gehirn, etwa einen Tumor, Gefäßveränderungen oder Verletzungen. Wie beispielsweise nach einem Schlaganfall“, so Neurologin Pataraia. Manchmal kündigt sich ein Anfall durch Vorboten an. Die Betroffenen erleben einige Sekunden lang eine Aura, haben Halluzinationen, die mit Angstgefühlen einhergehen können, manche hören Stimmen. Sie verhalten sich seltsam, beginnen zu schmatzen und dergleichen. Manchmal können sie nach Auftreten solcher Vorboten entsprechend reagieren, sich hinsetzen oder die Umgebung über das bevorstehende Ereignis informieren. Was absolut sinnvoll ist, denn ein Anfall kann folgenschwer sein, da die Betroffenen nicht bewusst in das Anfallsgeschehen eingreifen können. Daher sind Verletzungen durch Stürze möglich, oder es kann zu Verbrühungen oder Verbrennungen kommen, wenn ein Anfall beim Kochen auftritt etc. Wegen der Unberechenbarkeit der Anfälle geht Michael Alexa nur unter Aufsicht schwimmen, gefährliche Sportarten wie Klettern oder Bungee-Jumping meidet er ebenso wie Besuche in Diskotheken. „Die schnellen Lichtblitze in einer Diskothek könnten einen Anfall provozieren“, erklärt er. Allerdings verzichtet er nicht auf seine geliebten Reisen, er hat bereits alle Kontinente besucht. Außerdem arbeitet er seit 28 Jahren erfolgreich und in Vollzeit als Controller.

Wichtige Diagnose

Wer erstmals einen Anfall erleidet, sollte umgehend eine neurologische Praxis oder ein Zentrum für Epilepsie aufsuchen. „Es ist für uns Neurologen ungemein hilfreich, wenn Betroffene möglichst genau ihre Symptome schildern. Das erleichtert es, eine genaue Diagnose zu erstellen“, betont Epilepsie­Expertin Pataraia. Auch Hinweise auf mögliche Infektionen oder Verletzungen tragen ganz wesentlich dazu bei, Epilepsie sicher und exakt zu diagnostizieren. Ganz wichtig ist eine Untersuchung mit Hilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG): Nur durch dieses Verfahren sieht man die typischen Veränderungen im Gehirn, die ein Anfall hinterlässt. Verletzungen, Tumore, Gefäßveränderungen wie Verkalkungen im Gehirn, eine mesiale Temporallappenepilepsie – eine spezielle und häu­fige Form der fokalen Epilepsie – Missbildungen der Hirnrinde, z.B. kortikale Dysplasien, und andere mögliche Auslöser können durch eine Magnetresonanztomographie (MRT) entdeckt werden. Bei einem Langzeitmonitoring, wie es einige spezielle Zentren in Österreich anbieten, werden die Patienten eine Woche lang mit EEG und Video überwacht. Auf diese Weise gewinnt man Aufschluss darüber, was zwischen den Anfällen im Gehirn passiert, außerdem kann man den Ausgangspunkt der Anfälle im Gehirn ausfindig machen. Diese Methode kommt vor allem für Patienten in Frage, die therapieresistent sind, also nur schlecht oder gar nicht auf die medikamentöse Therapie ansprechen.

Therapeutische Möglichkeiten

Medikamentös, so wird Epilepsie in  erster Linie behandelt. Die rund zwei Dutzend Antiepileptika, die am Markt sind, können einen Anfall blockieren, indem sie die erhöhte Erregbarkeit der Nervenzellen im Gehirn vermindern. Sie wirken dabei auf bestimmte Botenstoffe des Nervensystems oder auf Mineralstoffe ein, die mit diesen Botenstoffen interagieren. Lässt sich ein konkreter Auslöser der Anfälle lokalisieren, etwa ein Tumor, kommt auch eine Operation in Frage, um den Tumor zu entfernen.
Wenn es um die Prognose für die Patienten geht, vermeidet Ekaterina Pataraia das Wort Heilung. Vielmehr spricht sie von der Überwindung der Krankheit. „Epilepsie gilt als überwunden, wenn Patienten über zehn Jahre hindurch anfallsfrei sind. Und wenn sie die letzten fünf Jahre keine Medikamente einnehmen mussten“, sagt sie. In zwei Drittel der Fälle kann durch die medikamentöse Therapie eine Anfallsfreiheit erreicht werden. Vom verbleibenden Rest kommt etwa die Hälfte für eine Operation in Frage. Danach erreichen rund 80 Prozent dieser Gruppe ebenfalls eine Anfallsfreiheit. „Ganz wichtig ist es, sich mit der Krankheit nicht zu verstecken, sondern einen Neurologen oder ein entsprechendes Zentrum aufzusuchen. Nur so hat man gute und realistische Chancen, Epilepsie zu überwinden“, empfiehlt Expertin Pataraia.

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Epilepsie in Österreich

In den Industrieländern sind 0,6 bis 0,8 Prozent der Bevölkerung von Epilepsie betroffen, in Österreich sind das bis zu 70.000 Personen. Statistisch gesehen tritt die neurologische Erkrankung im Kindesalter und bei über 60-Jährigen am häufigsten auf. Im Kindesalter handelt es sich meist um eine angeborene Epilepsie, im höheren Lebensalter meist um eine erworbene Krankheit, hervorgerufen durch Schlaganfälle, Unfälle oder Hirntumore.

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Hilfe im Notfall:
Was tun, wenn in meiner Anwesenheit jemand einen Anfall bekommt?

  • Ruhe bewahren, nicht davonrennen, Dauer des Anfalles beachten und notieren
  • Den Betroffenen aus Gefahrenbereich entfernen
  • Beengende Kleidungsstücke am Hals lösen
  • Kopf polstern
  • Patient nach Beendigung der Krämpfe in eine stabile Seitenlage bringen, damit ev. Speichel abfließen kann
  • Nach Anfall, bzw. Wiedererlangen des normalen Bewußtseins, Hilfe und Begleitung anbieten

Wenn der Anfall länger als 5 bis 10 Minuten dauert, das Gesicht blau angelaufen ist, die Zuckungen nur vorübergehend abklingen: Arzt oder Krankentransport rufen.

Was ist zu beachten?

  • Die Lage des Betroffenen nicht ändern, außer er ist in Gefahr
  • Krampferscheinungen nicht unterdrücken
  • Den Betroffenen nicht aufrichten
  • Verkrampfte Hände nicht öffnen oder festhalten
  • Kiefer nicht gewaltsam öffnen und
  • Keine Gegenstände zwischen die Zähne schieben
  • Keine Unterbrechungsversuche wie Schütteln, Klopfen, Riechmittel, Anschreien
  • Keine Weckversuche in der Nachschlafphase
  • Nach dem Anfall nicht unnötig aufdrängen

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Keine Geisteskrankheit

Epilepsie ist eine ernste neurologische Erkrankung, aber keine Geisteskrankheit. Michael Alexa und seine Mitstreiter vom Dachverband Epilepsie Österreich setzen sich seit Jahren dafür ein, dass Betroffene nicht als verrückt stigmatisiert werden, man ihnen ohne Vorurteile begegnet, etwa bei Bewerbungen am Arbeitsmarkt.

Foto: iStock, Orawan Wongka

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