Übergewicht ist nicht nur eine Frage der Ästhetik, sondern eine Krankheit mit teils gravierenden Folgen. Neue Medikamente versprechen eine wirksame Unterstützung beim Abnehmen. Doch wie effektiv sind sie wirklich?
Von Michaela Neubauer
„Es geht darum, das Thema Übergewicht endlich als Krankheit zu verstehen und nicht nur als Willensschwäche.“
Fettleibigkeit, medizinisch als Adipositas bekannt, betrifft weltweit Millionen Menschen und wird oft als reine Folge schlechter Ernährung und mangelnder Bewegung betrachtet. Doch tatsächlich handelt es sich um eine chronische Krankheit mit komplexen Ursachen, die das Risiko für zahlreiche Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Fettleber drastisch erhöht. „Es geht nicht nur um das Körpergewicht an sich, sondern um die gesundheitlichen Einschränkungen, die mit zunehmendem Übergewicht einhergehen“, erklärt Dr. Brigitte Obermayer, Fachärztin für Chirurgie und leitende Oberärztin im Krankenhaus Göttlicher Heiland in Wien. „Wenn jemand im Alltag durch Übergewicht stark eingeschränkt ist, Bluthochdruck oder Diabetes entwickelt, sollte sie bzw. er sich professionelle Unterstützung suchen.“ Die erste Ansprechperson ist in der Regel die Hausärztin, der Hausarzt oder eine Internistin, ein Internist mit Spezialisierung auf Stoffwechselerkrankungen. Alternativ stehen mehrere Adipositas-Zentren zur Beratung zur Verfügung.
Wann wird Übergewicht bedenklich?
Bisher galt die Body-Mass-Index-Formel (BMI) als grober Richtwert zur Beurteilung von Übergewicht. Doch dieser rein mathematische Wert spiegelt die gesundheitlichen Risiken nicht immer exakt wider. So kann auch ein trainierter Athlet, eine Athletin einen hohen BMI haben, ohne gesundheitliche Probleme zu entwickeln. Dennoch bleibt er ein einfacher erster Anhaltspunkt für die Einstufung von Übergewicht und Adipositas. Der BMI berechnet sich aus dem Quotienten aus Körpergewicht und Körpergröße zum Quadrat (kg/m2). Demnach liegt das Normalgewicht eines Menschen bei einem BMI von 18,5 bis 24,9. Ab 25,0 bis 29,9 spricht man von Übergewicht, ab einem Wert von über 30 handelt es sich um Adipositas.
„In keiner wissenschaftlichen Forschung wird belegt, dass das gezielte Vorenthalten von Nährstoffen den Krebs verhungern oder aussterben lässt.“
Revolution oder Trugschluss?
Spätestens seit zahlreiche Hollywood-Stars öffentlich über ihren Gewichtsverlust berichten, sind Abnehmmedikamente in aller Munde. Besonders GLP-1-Agonisten wie Semaglutid, Tirzepatid oder Liraglutid werden als Wundermittel gegen Adipositas diskutiert. Zurecht? „Diese Medikamente imitieren ein natürliches Sättigungshormon, das sogenannte GLP-1“, erklärt Obermayer. „Dieses sorgt dafür, dass Patientinnen und Patienten weniger Hunger verspüren und schneller satt sind. Bis jetzt gibt es diese Wirkstoffe nur in Spritzenform – entweder als tägliche oder wöchentliche Injektion.“ Ursprünglich wurden die Medikamente zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt. Doch schnell fiel auf, dass viele Patientinnen und Patienten unter der Therapie nicht nur stabilere Blutzuckerwerte erlangten, sondern auch deutlich an Gewicht verloren. Dieser Effekt führte dazu, dass die Wirkstoffe weiter erforscht und speziell zur Gewichtsreduktion zugelassen wurden. „Viele Menschen nehmen in den ersten Monaten erheblich ab. Besonders bei einem BMI zwischen 30 und 35 sind die Erfolgsaussichten gut“, bestätigt Brigitte Obermayer. Gleichzeitig betont sie aber die Bedeutung eines bewussten Lebensstils: „Es geht nicht ohne eine Änderung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens. Deshalb muss vor jeder Therapie eine gründliche Untersuchung, inklusive Blutparametern und Hormonstatus, erfolgen. Und wir arbeiten immer mit einer diätologischen Begleitung.“ Denn eines ist sicher: Wer sich nur auf Medikamente verlässt und weiterlebt wie bisher, wird nicht dauerhaft Erfolg haben.
Wie verträglich sind die Abnehmspritzen?
So vielversprechend die neuen Medikamente klingen, sie sind nicht frei von Nebenwirkungen. „Übelkeit ist eine der häufigsten Beschwerden, besonders zu Beginn der Therapie“, erklärt die Ärztin. „Viele Patientinnen und Patienten berichten zudem von Völlegefühl, Verdauungsproblemen oder Verstopfung.“ In seltenen Fällen können schwerwiegendere Nebenwirkungen auftreten, wie eine Bauchspeicheldrüsenentzündung. Deshalb ist es essenziell, dass die Behandlung unter ärztlicher Aufsicht erfolgt und regelmäßige Kontrolluntersuchungen stattfinden. „Das größte Problem ist aber, dass die Medikamente dauerhaft genommen werden müssen, um das Gewicht zu halten“, betont Obermayer. „Wer sie absetzt, muss damit rechnen, dass das Gewicht wieder ansteigt – oft sogar schneller als vorher.“
Warum Medikamente nicht immer ausreichen
Nicht jede Person mit Übergewicht profitiert in gleichem Maß von den Medikamenten. Besonders Menschen mit einem BMI über 45 stoßen oft an ihre Grenzen. „Bei sehr hohem Übergewicht reicht die medikamentöse Therapie häufig nicht aus, um eine nachhaltige Reduktion zu erzielen“, so Obermayer. „Hier kommen dann chirurgische Eingriffe wie eine Magenverkleinerung ins Spiel.“ Zu den häufigsten Verfahren gehören die Schlauchmagen-OP (Sleeve-Gastrektomie), bei der ein großer Teil des Magens entfernt wird, sodass das Sättigungsgefühl schneller einsetzt, sowie die Magenbypass-OP, bei welcher der Magen so umgeleitet wird, dass weniger Kalorien aufgenommen werden können. Auch Patientinnen und Patienten, die sich operieren lassen, können später noch von den neuen Medikamenten profitieren. „Wir sehen immer wieder Menschen, die nach einer OP erneut Gewicht zunehmen. In diesen Fällen kann eine medikamentöse Therapie helfen, das Gewicht langfristig zu stabilisieren.“
Was kommt als Nächstes?
Die Forschung an neuen Wirkstoffen schreitet rasant voran. „Momentan arbeiten Wissenschafterinnen und Wissenschafter an Kombinationstherapien mit mehreren Wirkstoffen, die noch stärker wirken“, gibt die Expertin einen Ausblick. Zusätzlich kann davon ausgegangen werden, dass in Zukunft auch eine medikamentöse Therapie in Tablettenform anstelle von Injektionen möglich sein wird. „Das würde vielen Menschen die Anwendung erleichtern“, so die Ärztin. Am Ende bleibt jedoch eines klar: Abnehmmedikamente sind keine Wundermittel. Zwar können sie dabei unterstützen, Gewicht zu verlieren – aber nur, wenn sie in eine ganzheitliche Behandlung eingebettet sind. „Es geht darum, dass wir das Thema Übergewicht endlich als Krankheit verstehen und nicht nur als Willensschwäche“, betont Obermayer. „Es braucht eine Zusammenarbeit zwischen konservativen Maßnahmen, Medikamenten und Chirurgie, um den Betroffenen bestmöglich zu helfen.“
Adipositas verändert das Gehirn
Adipositas wirkt sich nicht nur auf den Körper aus, sondern beeinflusst auch das Gehirn, indem es fehlerhafte Signale sendet und diese falsch interpretiert. Dadurch kann es passieren, dass Betroffene weiterhin essen, obwohl ihr Energiebedarf bereits gedeckt ist, da das Gehirn fälschlicherweise ein Hungergefühl vermittelt. Diese gestörte Kommunikation zwischen Gehirn und Körper geht über das Essverhalten hinaus: Insbesondere das Belohnungssystem, also die dopaminergen mesolimbischen Bahnen, ist verändert. Das führt dazu, dass Betroffene ihre Anstrengungsbereitschaft für Belohnungen schlechter an ihre aktuellen Bedürfnisse anpassen können. Die konsumierte Nahrung spielt dabei eine entscheidende Rolle – eine Ernährung mit vielen hochkalorischen, fett- und zuckerreichen Lebensmitteln kann zu Antriebslosigkeit und Leistungseinbußen führen. Auch kognitive und emotionale Prozesse, etwa die Entscheidungsfähigkeit, können durch diese Fehlsteuerung und die damit verbundene veränderte Motivation beeinträchtigt sein. Dadurch fällt es Betroffenen oft schwer, neue Assoziationen zu erlernen, die nicht mit Essen in Verbindung stehen.
Fotos: istock VectorMine, Göttlicher Heiland Krankenhaus