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Adipositas-Chirurgie: Wenn die Seele mitoperiert werden muss

Viele Patienten mit extremer Fettleibigkeit leiden nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Gerade vor und nach einer Adipositas-Operation spielen psychische Erkrankungen eine entscheidende Rolle. Die Begleitung durch Experten für psychische Gesundheit ist daher unverzichtbar – nicht nur zur Risikoabwägung, sondern auch für den langfristigen Therapieerfolg.

Wenn konservative Maßnahmen versagen

Bei Menschen mit extremer Adipositas – also einem Body-Mass-Index (BMI) über 40 oder über 35 bei zusätzlichen Begleiterkrankungen – führen klassische Maßnahmen wie Diäten, Sportprogramme oder Verhaltenstherapien oft nicht zum gewünschten Erfolg. In diesen Fällen stellt die Adipositas-Chirurgie die aktuell wirksamste Möglichkeit dar, das Gewicht nachhaltig zu senken.

Solche Eingriffe sind aber kein einfacher Ausweg – sie bringen lebenslange Veränderungen mit sich: etwa die Umstellung des Essverhaltens, die regelmäßige Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln und die Notwendigkeit einer engmaschigen ärztlichen Nachsorge.

Psychische Begleiterkrankungen sind häufig – und entscheidend

Viele Patienten, die sich einer bariatrischen Operation unterziehen, leiden gleichzeitig an psychischen Erkrankungen. Besonders häufig sind:

  • Depressionen
  • Angststörungen
  • Binge-Eating-Störung (Essanfälle)

Diese psychischen Komorbiditäten schränken nicht nur die Lebensqualität ein, sie können auch den Erfolg der Operation beeinflussen – sowohl kurz- als auch langfristig.

Nach dem Eingriff bessert sich die psychische Verfassung zunächst oft deutlich – viele sprechen von einer regelrechten „Honeymoon-Phase“. Doch langfristig kehren depressive Symptome oder problematisches Essverhalten häufig zurück. Auch das Risiko für selbstschädigendes Verhalten oder sogar Suizidgedanken scheint nach einer Operation erhöht zu sein, insbesondere bei fehlender psychischer Unterstützung.

Essverhalten als kritischer Faktor

Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Essverhalten:

  • Essanfälle vor der OP erhöhen das Risiko für sogenannte „Loss-of-Control“-Episoden nach der Operation.
  • Durch die anatomischen Veränderungen nach einem Eingriff ist das Essverhalten gezwungenermaßen anders – was jedoch psychische Belastungen auslösen kann.
  • Auffälliges postoperatives Essverhalten ist oft mit einem schlechteren Gewichtsverlauf verbunden.

Mental Health Professionals: Mehr als nur ein „Türsteher“

Die Leitlinien zur Adipositas-Chirurgie fordern eine interdisziplinäre Beurteilung, bevor ein Eingriff durchgeführt wird. Ein Psychotherapeut oder Psychiater mit Erfahrung in der Behandlung von Adipositas – ein sogenannter Mental Health Professional (MHP) – sollte Teil dieses Teams sein.

Seine Rolle ist nicht nur, zu prüfen, ob eine Operation möglich ist, sondern vor allem auch, wie sie langfristig zum Erfolg führen kann. Es geht um Stabilität, um Begleitung, um Unterstützung bei Rückfällen oder Belastungssituationen nach dem Eingriff.

Wann eine Operation (noch) nicht infrage kommt

Nicht jede psychische Erkrankung ist ein Ausschlusskriterium. Dennoch gibt es Kontraindikationen, bei denen eine bariatrische Operation zunächst nicht empfohlen wird:

  • Akute psychische Instabilität
  • Unbehandelte Substanzabhängigkeit
  • Bestehende Bulimie

In vielen Fällen kann jedoch eine gezielte Therapie zu einer Stabilisierung führen. Danach kann eine erneute Beurteilung stattfinden.

Therapieerfolg hängt auch von psychischer Stabilität ab

Zusätzliche psychotherapeutische Maßnahmen nach der Operation sind nicht nur sinnvoll – sie verbessern nachweislich den Behandlungserfolg. Insbesondere depressive Patienten profitieren davon besonders stark.

Auch bei der medikamentösen Begleitung ist Vorsicht geboten: Viele Psychopharmaka müssen nach einer Operation neu dosiert oder angepasst werden.

Fazit: Die Seele nicht außen vor lassen

Adipositas-Chirurgie kann Leben verändern – aber nicht nur das körperliche. Deshalb braucht es einen ganzheitlichen Blick: auf den Körper und auf die Psyche. Nur wenn beide Ebenen Beachtung finden, wird die Operation langfristig zu einer echten Chance für ein gesünderes Leben.


Quelle:

Statement: Psychosoziale und psychosomatische Aspekte der Adipositas-Chirurgie. Prof. Dr. med. Martina de Zwaan, Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover 


Fotos: istock Olga Budrina

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