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Morbus Crohn: Tabu mit schweren Folgen

Die chronisch entzündliche Darmerkrankung trifft auch in Österreich immer mehr Menschen. Besonders alarmierend: Morbus Crohn wird immer öfter bei Kindern diagnostiziert. Und doch gilt das Leiden nach wie vor als selten und wird mit einem starken Tabu belegt. In MEDIZIN populär fordern Ärzte und Betroffene bessere Versorgungsmaßnahmen und mehr Unterstützung.
 
Von Mag. Christian Freisleben-Teutscher

Manche Krankheiten führen auch heute noch in jeder Hinsicht ein „Schattendasein“, womit die Situation der Betroffenen noch schwieriger wird. Ein Beispiel dafür ist Morbus Crohn, eine chronisch entzündliche Darmerkrankung, ein Tabu mit schweren Folgen.
Das Problem beginnt schon damit, dass es wenige konkrete Zahlen gibt: „Aufgrund von Daten aus anderen europäischen Ländern ist davon auszugehen, dass in Österreich etwa 40.000 Menschen betroffen sind, wobei die Häufigkeit in den letzten Jahren deutlich angestiegen ist. Immer öfter sind Kinder betroffen, ein Trend, für den wir noch keine Erklärung haben“, sagt Univ. Prof. Dr. Walter Reinisch, Spezialist für chronisch entzündliche Darmerkrankungen an der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Medizinischen Universität Wien. Trotzdem, so bedauert der Fachmann, „wird Morbus Crohn nach wie vor als ‚seltene Krankheit‘ eingestuft, über die es auf allen Ebenen zu wenig Wissen gibt“.
Wenig bekannt ist bislang auch über die Ursachen der Krankheit. Fest steht: Es gibt familiäre Häufungen, bei zehn Prozent der Patienten findet sich in der Familie zumindest ein weiterer Krankheitsfall.

Krankheit verläuft in Schüben
Morbus Crohn kann alle Abschnitte des Verdauungstraktes betreffen vom Mund über die Speiseröhre bis zum Enddarm. Die Krankheit tritt oft schon im Kindes- und Jugendalter auf und verläuft in Schüben. Symptome sind dann chronische Durchfälle, teils starke Bauchschmerzen, Blähungen, Fieber, Inkontinenz sowie bei etwa einem Drittel der Betroffenen Fisteln sowie Abszesse im Darm- und Intimbereich. Die „Rebellion im Bauch“ kann so stark sein, dass es aufgrund der Schmerzen auch zu Mangelernährung bzw. folgenden Wachstumsstörungen kommen kann.
„Sowohl aufgrund dieser sehr unspezifischen Symptome als auch aufgrund des geringen Wissens vergeht oft viel Zeit, bis Morbus Crohn diagnostiziert wird.“ Nach Untersuchungen von Reinisch dauert dies im Durchschnitt drei bis vier Jahre, bei einem Drittel sogar mehr als fünf Jahre. „Die Krankheit ist mit einem starken Tabu belegt, der Gang zum Arzt wird oft sehr lange hinausgezögert – und wenn sich Betroffene endlich trauen darüber zu reden, fehlt oft der kompetente Ansprechpartner“, so Reinisch.

Keine Heilung, aber Linderung
Dabei gilt: Je früher Morbus Crohn diagnostiziert wird, desto eher gelingt es, den fortschreitenden Verlauf abzubremsen und Symptome in den Griff zu bekommen. Heilbar ist diese Krankheit derzeit nicht. „Ein Problem: Auch außerhalb der Schübe wirkt sich die Krankheit negativ aus und schreitet voran – umso wichtiger wäre die Früherkennung“, betont Reinisch.
Treten die oben beschriebenen Symptome über einen längeren Zeitraum auf, wird zunächst versucht, den Verdacht auf Morbus Crohn mittels Blutuntersuchungen und der Analyse von Entzündungswerten zu erhärten. Dann folgt eine Darmspiegelung (Koloskopie), bei der gezielt Gewebeproben der entzündeten Darmschleimhaut entnommen und anschließend unter dem Mikroskop analysiert werden.
Zur Behandlung der Symptome und Abschwächung des Verlaufs werden spezielle Medikamente eingesetzt, unter anderem Kortikosteroide, also Hormone, die Kortison enthalten. Oder Immunsuppressiva, Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken. In schweren Fällen können Biologika, eine neue Generation von entzündungshemmenden Präparaten, zum Einsatz kommen. „Immunsuppressiva und Biologika werden als Dauertherapie empfohlen, sind aber nur in kleinen Mengen verschreibbar, so dass ein ,Rezeptspießrutenlauf‘ eine häufige Folge ist. Biologika sind zudem sehr teuer, was zu Problemen bei der Zulassung durch den Chefarzt führen kann“, so Reinisch. Begleitend wird manchmal eine Umstellung der Ernährung nötig, vor allem während der Schübe.
Ballaststoffreiche Ernährung kann Schübe auslösen oder verstärken. Da bei Rauchern Morbus Crohn einen besonders schweren Verlauf nehmen kann, ist ein Verzicht auf Nikotin wichtig.

Mehr Unterstützung nötig
Dass die Krankheit oft lange nicht erkannt wird, ist einer der Gründe, warum bei vielen Betroffenen auch operative Eingriffe nötig sein können, etwa wenn Abszesse, narbige Einengungen des Darmes oder Darmfisteln auftreten. In manchen Fällen kann dabei die Entfernung eines Teils des Darmes nötig sein.
„In den Gesundheits- und Versorgungsplänen kommt diese Krankheit eigentlich nicht vor, es fehlt vor allem in den Regionen an Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten“, appelliert Reinisch an die Gesundheitspolitik, das Problem endlich ernst zu nehmen und Betroffenen die nötige Unterstützung zukommen zu lassen. Finanzen wären auch dringend für die weitere Erforschung der Krankheit nötig.
Auch Christine Gmeinder fordert den Ausbau von Betreuungseinrichtungen für Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Die Frau, die selbst von der Krankheit betroffen und Schriftführerin der Österreichischen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa-Vereinigung ist, wünscht sich einen Umdenkprozess: „Den Alltag mit Morbus Crohn gut zu gestalten, ist schon Herausforderung genug – leider kommen dazu alltäglich Unverständnis und bürokratische Barrieren.“

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Leben mit Morbus Crohn:
Eine Betroffene berichtet

„Bei mir hat es dreieinhalb Jahre gedauert, bis die Krankheit richtig diagnostiziert wurde – trotz der vielen Fortschritte in den letzten 25 Jahren hat sich an diesem Zeitraum leider nicht sehr viel verändert“, sagt Christine Gmeinder. Zunächst wurden als Ursachen für ihre nie ganz verschwindenden Bauchschmerzen eine Fistel an den Eierstöcken und dann Gallensteine gefunden. Erst bei einer Operation im Zuge eines Blinddarmdurchbruchs wurde Morbus Crohn als Ursache erkannt.
„Leider standen damals nicht dieselben Medikamente zur Verfügung wie heute – so mussten bei mir drei Darmoperationen durchgeführt werden, bei denen auch Stücke des Darms entfernt wurden“, berichtet Gmeinder. Ihr Tagesablauf hat sich völlig verändert: „So muss ich bis zu zwei Stunden früher aufstehen, denn mein Darm funktioniert einfach nicht mehr wie früher und die Entleerung kann sich sehr lange hinziehen.“
Die Krankheit kann massive Auswirkungen auf Berufs- und Privatleben haben: „So kann es vorkommen, dass ein akuter Schub am Tag vor einer lang geplanten Urlaubsreise auftritt und alles abgesagt werden muss.“
Für besonders wichtig erachtet Frau Gmeinder den Austausch mit anderen Betroffenen und Angehörigen in Selbsthilfegruppen. Dort könne man auch gesichertes Wissen über die Krankheit erhalten, denn viele Patienten seien durch falsche Infos etwa aus dem Internet verunsichert. „Aufgrund der heutigen medizinischen Möglichkeiten lässt sich die Krankheit in vielen Fällen relativ gut in den Griff bekommen. Der Lebensalltag verändert sich trotzdem massivst.“

KONTAKTTIPP Österreichische Morbus Crohn/Colitis ulcerosa-Vereinigung: www.oemccv.at

 

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Damit schneller geholfen wird:

Neue Impulse bei der Diagnose

Um die Diagnose und Betreuung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn zu erleichtern, erarbeitet die Österreichische Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM) derzeit in Kooperation mit Spezialisten ein Konsensuspapier, um dem Allgemeinarzt entsprechende Strategien anzubieten. Univ. Prof. Dr. Walter Reinisch weist auf Alarmzeichen hin, die sowohl für Ärzte als auch Betroffene wichtig sind:

  • länger als vier Wochen Durchfall
  • Bauchschmerzen (besonders in der Nacht)
  • immer wieder Blut im Stuhl
  • schmerzhafter Stuhldrang
  • Fisteln oder Abszesse im Analbereich
  • ein allgemeines Krankheits­gefühl
  • Schwäche
  • Gewichtsverlust
  • zusätzlich Beschwerden wie Gelenksschmerzen
  • Augenentzündungen oder
  • spezifische Hautveränderungen (z. B. „Erythema nodosum“:  Typisch sind mehrere, unscharf begrenzte Flecken oder Knötchen unter der Haut, die leicht erhaben und druckempfindlich sind)
  • Hinweise auf Morbus Crohn in anderen Generationen der Familie.

WEBTIPP
Unter https://ibdis.net/cedcheck finden sich alle Fragen im Detail und können dort online anonym ausgefüllt werden. Wird eine davon mit ja beantwortet, ist dringend eine ärztliche Abklärung zu empfehlen.
   

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