Weltweit und auch hierzulande sind immer mehr Paare ungewollt kinderlos. Warum das so ist und wie man heute trotzdem Eltern werden kann.
– Von Mag.a Sabine Stehrer
Sie war 32 Jahre alt und wünschte sich schon länger ein Kind, ihr Mann auch. Doch es sollte nicht sein. „Irgendwann wollte ich nicht mehr herumbasteln und warten, sondern so schnell wie möglich schwanger werden“, sagt die IT-Fachfrau, die anonym bleiben möchte und hier Julia genannt werden will.
Dem Rat einer Freundin folgend suchte sie im Wiener Kinderwunschzentrum IMI Hilfe. Eine ausführliche Untersuchung, auch ihres Mannes und samt Spermiogramm, zeigte, dass organisch an sich alles in Ordnung war. Nur mangelte es Julias Mann an bestimmten Nährstoffen und ihre Eileiter waren nicht mehr so fit wie in jüngeren Jahren. Nach einigen Wochen der Mikronährstofftherapie, einer Durchspülung der Eileiter, einer Spritze zum Auslösen des Eisprungs und einem darauffolgenden Geschlechtsverkehr war Julia schwanger geworden.
„Jetzt ist mein Sohn schon fast ein halbes Jahr alt“, erzählt sie glücklich am Telefon, während der Kleine im Hintergrund fröhlich kreischt. Ob sie noch ein zweites Kind möchte? „Das weiß ich noch nicht“, sagt sie.
Alter, Lebensstil, Mangelernährung
Die Unentschlossenheit in der Frage, noch ein weiteres Kind oder überhaupt ein Kind zu bekommen, hat Julia einer aktuellen Umfrage von Marketagent.com zufolge mit jeder vierten Frau zwischen 18 und 40 Jahren gemein. Aus derselben Befragung geht auch hervor, dass viele aufgrund globaler Umstände wie der Klimakrise die Erfüllung ihres Kinderwunsches hinauszögern.
Und dieses Hinauszögern ist auch der weitaus häufigste Grund dafür, warum so viele Paare, weltweit 20 Prozent, in Österreich bis zu 15 Prozent, schließlich ungewollt kinderlos bleiben. Das weiß Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Imhof, Leiter der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Landesklinikums Weinviertel in Korneuburg und des Kinderwunschzentrums IMI. „Die Leute warten heute zu lange mit dem Elternwerden“, betont er und ergänzt: „Frauen haben mit 28 Jahren den Gipfel ihrer Fruchtbarkeit erreicht, danach nimmt mit der Menge und der Qualität ihrer Eizellen auch ihre Fruchtbarkeit ab, und bei Männern kommt es ab dem 35. Lebensjahr zu einer Veränderung der Spermien, die ihre Zeugungsfähigkeit zunehmend verringert.“
Veränderung der Hormonproduktion
Zu diesen altersbedingten körperlichen Veränderungen als Hindernis auf dem Weg zur Elternschaft gesellt sich bei den meisten der ungewollt Kinderlosen, bei 80 bis 90 Prozent, noch die eine oder andere Hürde hinzu. Wie etwa ein ungünstiger Lebensstil. „Frauen werden oft schwerer schwanger, weil in ihrem Leben Leistung im Vordergrund steht, Leistung in der Ausbildung, Leistung im Beruf, Leistung auch im Sport“, so Imhof. „Dadurch kommt es zu einem Anpassungsphänomen in Form einer Veränderung der Hormonproduktion in den Eierstöcken, die eine Schwangerschaft verhindern kann.“
Auch bei Männern beeinträchtigen häufig Lebensstilfaktoren die Fruchtbarkeit. Wie ein zu hoher Alkoholkonsum, Rauchen oder eine Ernährung, der es an ausreichend gesunden Nährstoffen mangelt. Diese Art der Mangelernährung kann neuen Erkenntnissen nach außerdem dazu führen, dass zwar eine Schwangerschaft eintritt, doch das Übertragen der väterlichen Geninformation misslingt. Das führt zu einer frühen Fehlgeburt.
Größere gesundheitliche Probleme
Fünf bis zehn Prozent aller Paare bleiben ungewollt kinderlos, weil größere gesundheitliche Probleme bestehen, die meist nur durch aufwendigere Behandlungen und eine Operation behoben werden können. Wie Eileiterfehlfunktionen, eine Erkrankung an Endometriose, eine Schilddrüsenerkrankung, Verklebungen der Samenleiter, Krampfadern am Hoden oder eine fehlerhafte Spermienproduktion. Statistisch betrachtet verteilen sich solche Hürden genauso wie auch die kleineren Hindernisse auf dem Weg zur ersehnten Elternschaft übrigens zu gleichen Teilen auf sie und ihn: 40 Prozent werden bei Frauen gefunden, 40 Prozent auch bei Männern. Bei 20 Prozent der Paare wird bei beiden Partnern etwas entdeckt, das der Erfüllung des Kinderwunsches entgegensteht.
Schnell helfen lassen
Wie können ungewollt Kinderlose heute trotzdem Eltern werden? „Wichtig ist, sich schnell Hilfe zu suchen“, sagt Imhof. Schnell, das heißt dann, wenn bei unter 30-jährigen Frauen die erwünschte Schwangerschaft über ein Jahr lang ausgeblieben ist, bei über 30-Jährigen über sechs Monate lang. Imhofs Erfahrung nach warten Betroffene aber auch mit dem Hilfesuchen viel zulange ab, nämlich zwei, drei, vier und bis zu sieben Jahre. Das dann erreichte, noch mehr fortgeschrittene Alter führt schon für sich allein genommen meistens dazu, dass anders als im eingangs erwähnten Fall von Julia keine einfache Therapie mehr zum Ziel führt.
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Verschiedene Behandlungen …
Stimulation
Zunächst werden der weibliche Zyklus und die Beschaffenheit der Gebärmutterschleimhaut optimiert. Das kann mit Tabletten gelingen, die die körpereigenen Sexualhormone, die Östrogene, besser wirken lassen. Imhof: „Diese Behandlung ist wie eine `Zeitmaschine`, durch sie kommt eine Frau mit 35 Jahren in eine Hormonlage wie eine 28-Jährige, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie schwanger wird, liegt pro Zyklus bei zehn bis 15 Prozent.“ Manche werden schon nach einem Monat mit dieser Therapie schwanger, viele nach dem vierten oder fünften Monat, einige erst nach sechs oder sieben Monaten. Oder auch dann noch nicht.
Insemination
Ist das der Fall, kann als nächste Behandlungsstufe die Insemination, kurz IUI, in Frage kommen. Dafür wird zunächst die Eierstockfunktion verbessert, indem über eine Hormontherapie die Bildung des follikelstimulierenden Hormons FSH verstärkt wird. Anschließend werden Spermien mit einem dünnen Schlauch zum Eileiter transferiert, und zwar genau dorthin, wo sie eine Eizelle befruchten sollen. „Bei IUI ist die Erfolgsquote hoch“, weiß Imhof.
Hochdosis-Hormonbehandlung und IVF
Kann ungewollt Kinderlosen aber selbst mit dieser Methode nicht geholfen werden, stehen noch weitere Wege zur Elternschaft offen. Wie eine Hochdosis-Hormonbehandlung zur Stimulierung der Eierstöcke und für den Aufbau der Gebärmutterschleimhaut, woraufhin reife Eizellen aus dem Eierstock entnommen werden, die dann mit Samenflüssigkeit des Mannes oder eines Samenspenders in ein Reagenzglas gegeben werden, wo die Spermien die Eizelle befruchten. Einige der so, also per In-Vitro-Fertilisation, kurz IVF, befruchteten Eizellen werden anschließend in die Gebärmutter eingepflanzt.
Einsatz fremder Eizellen
Funktioniert auch das nicht, bleibt noch die Möglichkeit, statt eigener Eizellen solche einer jungen Spenderin im Reagenzglas mit Samenflüssigkeit des Mannes zu befruchten und der Frau die befruchteten Eizellen einzusetzen. „Mit dieser Methode gelingt es häufig, Eltern zu werden“, weiß Imhof, nennt den Rückgriff auf fremde Eizellen aber einen Kompromiss. Einen, der gut überlegt werden sollte. Das gilt noch mehr, wenn die Schwangerschaft von einer Leihmutter übernommen wird. Dabei handelt es sich allerdings um einen Weg zum Kind, der ungewollt Kinderlose nicht nur wie Julia und ihren Mann einige Male in ein Kinderwunschzentrum führt, sondern mehrfach ins Ausland, da die Leihmutterschaft in Österreich verboten ist.
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Zahlen & Fakten
- Laut einer Umfrage von Marketagent.com vom Oktober 2022 hatten 36,4 Prozent der befragten 500 Frauen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren einen Kinderwunsch. 26 Prozent waren noch unentschlossen, ob sie ein Kind möchten. 5,4 Prozent waren zum Zeitpunkt der Befragung schwanger. 32,2 Prozent wollten kein Kind. Von den Frauen mit Kinderwunsch wollten 18,2 Prozent ein Kind, 19,6 Prozent zwei Kinder, 5,4 Prozent drei oder mehr Kinder. Fast die Hälfte, 48 Prozent, sagte, dass ein (weiteres) Kind ihr Leben deutlich oder eher bereichern würde. Der Aussage, dass es in Anbetracht der globalen Umstände (wirtschaftliche Situation, Pandemie, Klimakrise, Kriege, etc.) verantwortungslos ist, (weitere) Kinder zu bekommen, stimmten 61 Prozent der Befragten teils, eher weniger oder überhaupt nicht zu, die übrigen 39 Prozent stimmten eher oder ganz zu.
- Ungewollt kinderlos bleiben weltweit 48 Millionen oder 20 Prozent aller Paare, in Österreich sind es bis zu 15 Prozent. Zwölf Prozent aller Frauen bis 44 Jahren erleben eine Phase von zwölf Monaten der Unfruchtbarkeit, was als ungewollte Kinderlosigkeit gilt.
- Die Geburtsstunde der Fortpflanzungsmedizin schlug 1978, als in Großbritannien das weltweit erste Baby zur Welt kam, das in der Retorte gezeugt worden war. In Österreich wurde 1982 das erste im Reagenzglas gezeugte Kind geboren. Heute sind hierzulande auch Eizellenspenden erlaubt, um ungewollt Kinderlosen zum Kind zu verhelfen. „Social egg freezing“, das Einfrieren eigener Eizellen zur späteren eigenen Verwendung ist hierzulande ohne medizinische Indikation verboten.
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