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Wir haben Alzheimer

Was Angehörige von Demenzkranken wissen sollten
 
Rund 35 Millionen Menschen weltweit und etwa 100.000 in Österreich leiden an Demenz, die weitaus meisten davon an Alzheimer. Mindestens ebenso viele sind indirekt betroffen, denn die Angehörigen leiden mit. Vor allem das Zusammenleben mit erkrankten Müttern, Vätern, Ehefrauen und Lebenspartnern kann enorme Strapazen mit sich bringen. So wie für Elisabeth Berger, die, wie sie im Interview schildert, ihren Mann so lange pflegte, bis sie ein Burn-out erlitt. Wissen über den richtigen Umgang mit Demenzerkrankungen kann die Belastungen der pflegenden Partner, Söhne und Töchter ein gutes Stück weit lindern. Für MEDIZIN populär beantwortet Experte Univ. Prof. Dr. Peter Dal-Bianco die häufigsten Fragen rund um das Leben mit der Krankheit des Vergessens.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

1. Welche Tests und Untersuchungen sind nötig, um festzustellen, ob mein Angehöriger wirklich Alzheimer hat?

„Ob jemand Alzheimer-Demenz hat, kann heute vor allem aufgrund des Krankheitsverlaufs festgestellt werden“, sagt Univ. Prof. Dr. Peter Dal-Bianco, Experte für Demenzerkrankungen an der Gedächtnisambulanz der Wiener Universitätsklinik für Neurologie. Deswegen steht ein Gespräch mit dem Betroffenen und den Angehörigen am Anfang des Diagnosewegs. Erhärtet sich der Demenzverdacht, werden die kognitiven Fähigkeiten bzw. die Denkleistung getestet. Das heißt, der Arzt stellt Orientierungsfragen wie z. B.: „Wie alt sind Sie?“, „Wo sind Sie jetzt?“, „Wie viel Uhr ist es?“. Auch wird überprüft, ob es Defizite in der Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeit des Patienten gibt. Und es werden Handlungsanweisungen gegeben, wie z. B. ein Blatt Papier in die rechte Hand zu nehmen, in der Mitte zu falten und auf den Boden zu legen. Dal-Bianco: „Sind die Denkleistungen eingeschränkt, wird abgeklärt, ob das tatsächlich auf Alzheimer-Demenz zurückgeht.“ Durch eine Blutanalyse und bildgebende Verfahren (Magnetresonanz- oder Computertomografie) können andere mögliche Ursachen ausgeschlossen werden wie Stoffwechselstörungen, ein Schlaganfall, Depressionen oder eine andere psychiatrische Erkrankung. „Mit einer Positronemissionstomografie können zudem alzheimertypische Eiweißablagerungen im Gehirn und deren Ausmaß sichtbar gemacht werden“, so Dal-Bianco.

2. Welche Therapie soll mein Angehöriger am besten bekommen?

„Das Beste, was derzeit zur Verfügung steht, sind Medikamente, die den Abbau des bei Erkrankten bereits reduzierten Nervenbotenstoffs Acetylcholin hemmen und damit auch den für Alzheimer charakteristischen geistigen, emotionalen und sozialen Abbau verzögern“,  so Peter Dal-Bianco. Leider wirken diese Mittel nicht bei jedem Betroffenem gleich gut. „Einer von acht Patienten, die damit behandelt werden, profitiert eindeutig, einer von 50 fühlt sich nur etwas besser, die übrigen sprechen auf die Behandlung gering oder gar nicht an“, sagt Dal-Bianco. Außerdem gilt: Den einen tun Gedächtnistraining, Singen und Musizieren in der Gruppe und ein Bewegungsprogramm merkbar gut, anderen nicht. Das Fazit des Experten: Verschiedene Möglichkeiten anbieten und den Krankheitsverlauf beobachten.

3. Wie lange können wir noch ein halbwegs normales Leben miteinander führen?

„Die Lebenserwartung eines Alzheimer-Patienten ist nicht reduziert, das heißt, man stirbt nicht an Alzheimer-Demenz“, sagt Peter Dal-Bianco. Doch die Krankheit ist unheilbar, und wie schnell sie fortschreitet, lässt sich nicht vorhersagen. Dal-Bianco: „Bei den einen verschlechtert sich die Symptomatik sehr rasch, sodass die gewohnten Alltagsaktivitäten bald nicht mehr möglich sind, der Zustand anderer verschlechtert sich wiederum sehr langsam.“

4. Warum reißt sich mein Angehöriger nicht einfach zusammen, damit es ihm wieder besser geht?

„Diese Frage stellen sich nahezu alle Angehörigen“, weiß Peter Dal-Bianco. „Es ist nicht einfach, zu akzeptieren, dass die Veränderungen nicht vom Patienten selbst verschuldet sind, sondern es sich dabei um Symptome der Krankheit handelt.“ Mit Alzheimer-Demenz können neben der zunehmenden Vergesslichkeit auch Antriebslosigkeit und Unsicherheitsgefühle, Ängste und Depressionen einhergehen, die nach und nach verschiedene Alltagstätigkeiten wie Waschen, Kochen, Putzen oder auch nur das Sich-Anziehen erschweren. „Zumindest die Ängste und Depressionen können aber behandelt werden“, so der Facharzt.

5. Soll ich unseren Freunden erzählen, welche Krankheit mein Angehöriger hat?

„Unbedingt! Es ist falsch, diese Krankheit zu verheimlichen“, appelliert Peter Dal-Bianco. Je besser Verwandte, Freunde und Bekannte über die Krankheit informiert sind, desto besser können diese mit den Veränderungen umgehen – und desto eher bekommt man vielleicht Hilfe von ihnen.

6. Wie kommt es, dass mir mein demenzkranker Angehöriger immer wieder dieselben Fragen stellt und dieselben Geschichten erzählt?

„Auch das kann ein Zeichen von Alzheimer-Demenz sein“, erklärt Dal-Bianco. Je weiter die Krankheit fortschreitet, desto realitätsfremder werden die erzählten Geschichten und desto häufiger werden dieselben Fragen gestellt. „Am besten ist es, die Fragen geduldig mehrmals zu beantworten bzw. dem Erkrankten nach dem Prinzip der sogenannten Validation in dessen Erlebnis- und Geschichtenwelt zu folgen.“ Wenn der Angehörige also etwa erzählt, dass er schon einkaufen war, obwohl das gar nicht stimmt, sollte man ihn z. B. fragen, was er denn gekauft habe. Das gibt dem Erkrankten die Möglichkeit, sich zu erklären. 

7. Was kann ich noch tun, damit es meinem Angehörigen möglichst gut geht?

„Das ist von Person zu Person sehr verschieden“, so Dal-Bianco. Einem Patienten, der sich gerne bewegt, sollte man die Möglichkeit geben, seinen Drang auszuleben – allerdings in Begleitung. Einem Betroffenen, der sich gerne nützlich macht, sollten Aufgaben gestellt werden – wie Abwaschen, den Müll hinausbringen oder die Katze füttern. Wenn der Alzheimerkranke gern gemütlich auf der Couch liegt und Illustrierte durchblättert, sollte man ihm das ermöglichen. Was allen gleichermaßen gut tut: „Ein geregelter Alltag, denn das gibt ihnen die Sicherheit, die wichtig für sie ist“, weiß Experte Dal-Bianco.  

8. Früher war mein Angehöriger immer so geduldig, nun beschimpft er mich oft, wenn etwas nicht nach seinem Kopf geht. Muss ich mir das bieten lassen?

„Verhaltensveränderungen sind im fortgeschrittenen Alzheimerstadium nicht selten“, sagt Dal-Bianco. „Männer reagieren oft aktiv aggressiv, wenn es um die Durchsetzung ihrer Wünsche geht, Frauen reagieren eher passiv aggressiv, trotzig bis depressiv. Damit umgehen zu lernen, zählt zu den schwierigsten Problemen der Angehörigen. Deswegen sollte dem Arzt davon erzählt werden, denn auch dagegen gibt es wirksame Therapien.“
 
9. Merkt der an Alzheimer Erkrankte überhaupt noch, was ich alles für ihn tue?

„Alzheimerpatienten erkennen im späten Krankheitsverlauf nicht mehr so genau, was um sie herum passiert“, so Peter Dal-Bianco. Doch allein die Anwesenheit von vertrauten Personen, deren Stimme und Berührungen tun ihnen gut. Sie fühlen sich dadurch geborgen und sicher.

10. Ich wasche meinen Angehörigen, wickle, unterhalte, beaufsichtige ihn – und das sieben Tage in der Woche rund um die Uhr. Ich kann nicht mehr. Was soll ich tun?

„Angehörige, die sich von der Pflege überfordert fühlen, sollten unbedingt Hilfe suchen und nicht bis zum Burn-out weitermachen“, so der dringende Rat Peter Dal-Biancos. Wenn es keine Verwandten gibt, die die Pflege übernehmen können, stehen ambulante Hilfsdienste und stationäre Pflegeeinrichtungen zur Verfügung. Den Erkrankten in einem Heim unterzubringen, ist ein Schritt, „vor dem viele Angehörige zurückschrecken, weil er für sie mit einem Gefühl des Versagens verbunden ist“, weiß Peter Dal-Bianco. Dabei kann es Erkrankten im Heim sogar besser gefallen als zuhause, weil sie dort z. B. mehr Gesellschaft haben. Und kommen die Angehörigen dann zu Besuch, so können sie – befreit von der Belastung durch die Rund-um-die-Uhr-Pflege – wieder besser auf den Alzheimerpatienten eingehen.

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Alzheimer-Demenz:  Neue Therapie in Sicht?

Weltweit setzen Forscher große Hoffnungen auf die Alzheimer-Immuntherapie durch eine aktive und passive Impfung. Univ. Prof. Dr. Peter Dal-Bianco: „Zuletzt hat man im Rahmen von klinischen Studien Substanzen verabreicht, die das Immunsystem der Alzheimerpatienten dazu anregen sollten, Antikörper gegen die Eiweißablagerungen im Hirn zu bilden, die für die Alzheimer-Symptomatik verantwortlich gemacht werden.“ Doch der Erfolg war mäßig, obwohl die Alzheimerplaques reduziert werden konnten. Im Rahmen der nun praktizierten passiven Impfung werden den Patienten fertige Antikörper gegen die Ablagerungen injiziert. Ob dies zum gewünschten Erfolg führt, wird sich im Lauf der nächsten Jahre zeigen.

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Leben mit einem Demenzkranken:
„Ich hatte in der Nacht keine Ruhe, und am Tag auch nicht“

Interview

Vor sechs Jahren bemerkte Elisabeth Berger*) bei ihrem Mann erste Anzeichen von Alzheimer-Demenz. Da die Krankheit rasant fortschritt, wurde die Betreuung bald zu einer großen Belastung für die Frau. Dennoch pflegte sie ihren Gatten, sieben Tage in der Woche, 24 Stunden am Tag – bis sie nicht mehr konnte und ein Burn-out erlitt. Im Gespräch mit MEDIZIN populär erzählt die 71-Jährige, was sie über die Jahre durchgemacht hat und wie es ihr heute geht.

MEDIZIN populär
Frau Berger, Sie haben Ihren an Alzheimer erkrankten Mann jahrelang gepflegt. Was war denn ausschlaggebend dafür, dass Sie schließlich gesagt haben, ich kann nicht mehr, er muss ins Heim?

Elisabeth Berger
Das war, als mein Mann inkontinent geworden war, Windeln tragen musste, die ich gewechselt habe, und er trotz meiner Vorsicht einmal unbemerkt von mir das Haus verlassen und sich verirrt hat. Ab dem Zeitpunkt hatte ich in der Nacht keine Ruhe mehr, und am Tag auch nicht. Nach einigen Monaten in diesem Zustand war ich so weit, dass ich zu meiner Tochter gesagt habe, dass mir alles zuviel ist, ich für ein paar Tage ins Hotel gehe und sie sich um den Papa kümmern muss. Danach bin ich zu unserem Arzt gegangen. Er hat bei mir ein Burn-out diagnostiziert und mir gesagt, ich kann so nicht mehr weitermachen und soll meinen Mann in einem Heim betreuen lassen oder von einer Pflegekraft, die ständig bei uns wohnt. Dauernd eine fremde Person im Haus zu haben, das wollte ich aber nicht. Also ist er nun in einer Einrichtung, von der er selber früher gesagt hat, wenn es nötig ist, dann möchte er dort hin. Ihm geht es nun sichtlich gut. Ich besuche ihn alle zwei Tage, und wenn er mich sieht, freut er sich. Dann reden wir ein bisschen, essen gemeinsam oder gehen spazieren. Aber nur kurz, weil so gut gehen kann er inzwischen auch nicht mehr, nur noch langsam und in kleinen Schritten.
Wie hat denn alles angefangen? Wann und wie haben Sie bemerkt, dass mit Ihrem Mann etwas nicht mehr stimmt?
Das war vor zirka sechs Jahren. Da waren wir mit dem Auto unterwegs und sind zu einer Kreuzung gekommen, über die wir davor schon zig Mal gefahren sind. Er ist in die Kreuzung hineingefahren und hat mich gefragt: „Wo sind wir denn jetzt, weißt du, wo wir abbiegen müssen?“ Damals bin ich total erschrocken, hab’ aber zu ihm nur gesagt, bieg’ da rechts ab. Gedacht hab’ ich mir aber, wir müssen zum Arzt, gleich morgen.

Und der Arzt hat gleich Alzheimer-Demenz diagnostiziert?

Da mir sonst keine Veränderungen an meinem Mann aufgefallen sind, hat der Arzt gemeint, mein Mann hätte in dem Moment im Auto wohl nur an etwas Anderes gedacht, wäre abgelenkt gewesen, und ich soll beobachten, ob noch einmal etwas Ähnliches passiert. Es ist aber fast ein Jahr lang nichts Vergleichbares mehr vorgefallen. Bis er einmal allein spazieren gegangen ist und nicht mehr heimgefunden hat. Da habe ich ihn zwei Stunden lang gesucht und meinem Sohn gesagt, dass ich mir solche Sorgen mache. Der hat mir dazu geraten, meinen Mann von einem Neurologen untersuchen zu lassen. Das habe ich gemacht, und dabei wurde dann Alzheimer diagnostiziert. Als uns der Arzt darüber informiert hat, was das bedeutet und wie die Krankheit verlaufen kann, waren wir sehr verzweifelt.

Wie wurde Ihr Mann behandelt?

Er hat Tabletten gegen Alzheimer genommen, und wir haben jeden Tag gemeinsam Gedächtnisübungen gemacht. Trotzdem ist es mit ihm bergab gegangen, zuerst langsam. Vor drei Jahren hat er einen Lungeninfarkt bekommen und kam ins Spital. Ab diesem Zeitpunkt hat sich sein Zustand schnell verschlechtert.

Wie hat sich das geäußert?

So, dass ich ihn nicht mehr alleinlassen konnte. Also bin ich entweder bei ihm daheimgeblieben, oder ich habe ihn mitgenommen, zum Einkaufen, zum Friseur, zum Arzt, wo immer ich halt hingehen musste. Das Schlimmste waren aber die Nächte. Er konnte immer weniger gut schlafen, ist in der Nacht immer öfter aufgestanden und durch die Wohnung gewandert. Dabei hat er außerdem andauernd an Steckdosen und elektrischen Geräten herumhantiert – er war ja Elektriker von Beruf. Ich habe also nicht nur nicht schlafen können, sondern auch immer aufpassen müssen, dass er nichts anstellt, was gefährlich für uns werden könnte. Am Tag waren wir dann beide erschöpft, ich vielleicht noch mehr als er, weil ich psychisch auch so belastet war.

Wie ist denn Ihr Umfeld mit der Krankheit Ihres Mannes umgegangen, Ihre Verwandten, Freunde, Bekannten?

Meine Kinder, die ja schon erwachsen sind, und Schwiegerkinder auf unterschiedliche Art und Weise. Die einen haben das alles nicht ernst genommen und gesagt, ich übertreibe und jammere zuviel, weil vergesslich wird ja ein jeder mit dem Alter, und beim Papa sei das halt nicht anders. Die anderen sind zu mir gestanden. Und die Freunde und Bekannten haben am Anfang alles gelassen hingenommen. Nur als mein Mann sie dann nicht einmal mehr erkannt hat und in Gesprächen öfter aggressiv geworden ist, haben sie sich zurückgezogen.

Wie hat sich die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Mann verändert?

Er hat bis heute seine hellen Momente, in denen alles fast so ist wie früher. Da lachen wir miteinander und haben es gut. Aber diese Momente werden leider immer seltener. Meistens erzählt er mir Fantasiegeschichten, also er redet so dahin, über Sachen, die nicht stimmen. Je nachdem, wie ich gerade beieinander bin, lasse ich ihn dann reden. Wenn es mir selber nicht so gut geht, rede ich dagegen. Da wird er dann oft aggressiv und schreit mich an. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich dann auch laut wurde. Früher haben wir nie so gestritten.  

Und wie geht es Ihnen, seitdem Ihr Mann im Heim lebt?

Mir geht es nach wie vor nicht gut, denn ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht durchgehalten habe und meinen Mann ins Heim geben musste. Außerdem muss ich mich erst daran gewöhnen, allein zu leben. Ich bin aber in psychologischer Behandlung, und demnächst gehe ich auf Kur.

*) Name auf Wunsch von der Redaktion geändert


Webtipp:

Vergesslich oder dement: Ist auch mein Angehöriger gefährdet?
Unser Test hilft Ihnen dabei, Vergesslichkeit von Demenz zu unterscheiden.
Zum kostenlosen Download auf www.medizinpopulaer.at/downloads

Buchtipp:

Dal-Bianco, Schmidt, memories. Leben mit Alzheimer
ISBN 978-3-902552-37-2, 176 Seiten, € 14,90
Verlagshaus der Ärzte

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