Sie betrifft immer mehr und immer jüngere Menschen und ist weit gefährlicher, als der Name vermuten lässt: die Schaufensterkrankheit. Bleibt das schmerzhafte Gefäßleiden unbehandelt, kann es schwerwiegende Folgen haben.
MEDIZIN populär erklärt, wie man die Krankheit erkennt und was dagegen hilft.
Von Mag. Sabine Stehrer
Wie einen Wadenkrampf oder einen Muskelkater in den Unterschenkeln, in den Oberschenkeln oder als Schmerzen an den Fußsohlen: So beschreiben Betroffene die Krankheit, die der Volksmund Schaufensterkrankheit nennt. Zu diesem Namen kam das Leiden, weil die Schmerzen meistens beim Gehen auftreten und immer wieder zum Stehenbleiben zwingen. Die unfreiwilligen Pausen nützen die einen dann tatsächlich zum Schaufensterschauen, andere tun nur so, als ob für sie hinter den Scheiben verlockende Angebote zu sehen wären, und wieder andere bleiben einfach so stehen und warten, bis die Schmerzen vergehen.
Jeder Zehnte betroffen
Immer mehr Menschen sind von derlei betroffen, und dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen haben immer mehr Jüngere die Schaufensterkrankheit, weil zu den wesentlichen Ursachen das immer weiter verbreitete sogenannte metabolische Syndrom zählt, ein Bündel aus Übergewicht und den Folgeerscheinungen, die von Bluthochdruck bis zu Diabetes reichen (siehe unten). Zum anderen sind auch immer mehr Ältere betroffen, weil mit der Lebenserwartung auch die Zahl derjenigen steigt, die die Schaufensterkrankheit im Alter noch erleiden. Nach Schätzungen trifft das Leiden jeden zehnten Österreicher, Männer und Frauen gleichermaßen.
Lieber rasch zum Arzt
Anstatt sich um die Wahrung des Scheins zu bemühen und sich im „Stop-and-go-Modus“ fortzubewegen, sollte, wer die eingangs beschriebenen Beschwerden hat, lieber rasch einen Arzt aufsuchen, rät Dr. Luka Girardi, Internist und Gefäßspezialist in Wien. Denn, so der Experte, „die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei den Beschwerden, die Schaufensterkrankheit genannt werden, um ein Symptom der sogenannten peripheren arteriellen Verschlusskrankheit handelt, ist groß“. Und wenn diese Krankheit, die abgekürzt PAVK heißt, tatsächlich besteht, ist auch das Risiko für andere Gefäßerkrankungen groß – und für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Gefäße durch Plaque verengt
Die Gefährlichkeit dieser Krankheit sollte man also nicht unterschätzen. Denn besteht die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK), dann hat sich an den Innenwänden bestimmter Arterien so einiges abgelagert. Durch diese Ablagerung bzw. Plaque, die zunächst aus Fett besteht und dann verkalkt, sind die Arterien an diesen Stellen so eng geworden, dass sie nicht mehr ausreichend Blut in die Muskeln transportieren können. Und das Blut bzw. den darin enthaltenen Sauerstoff brauchen die Muskeln insbesondere dann, wenn sie bewegt werden, also etwa beim Gehen. „Bekommen die Muskeln den nötigen Sauerstoff nicht, beginnen sie, wehzutun“, erklärt Girardi und ergänzt: „Weil sich die Gefäßverengungen oft in den Oberschenkelarterien befinden, sind die Wadenmuskeln am anfälligsten für die Beschwerden.“ Manchmal sind auch die Oberschenkel, Fußsohlen oder Po-Muskeln von der mangelnden Sauerstoffversorgung betroffen und beginnen beim Gehen zu schmerzen. Viel seltener sind Verengungen der Gefäße im Schlüsselbeinbereich, was zu Schmerzen an den Armmuskeln führt.
Schmerzen bald auch im Ruhezustand
Warum Betroffene die beschriebenen Schmerzen unbedingt als Warnzeichen betrachten sollten? Girardi: „Weil diese Schmerzen zeigen, dass die Krankheit schon das zweite Stadium erreicht hat.“ In der Anfangsphase der PAVK, dem ersten Stadium, ist nichts zu spüren, da Ablagerungen in den Arterien und die dadurch bedingte Verengung nicht weh tun. Bleibt das Leiden unbehandelt, weil es nicht zufällig entdeckt wird oder die Betroffenen die charakteristischen Schmerzen des zweiten Stadiums mit den immer kürzer werdenden Gehstrecken ignorieren, geht die PAVK über kurz oder lang ins dritte, kritische, Stadium über. Und das besteht darin, dass die Muskeln auch im Ruhezustand wehtun.
Eine Folge: das offene Bein
Um die Schmerzen zu vermeiden, bewegen sich manche kaum noch, gehen irgendwann nur noch aus dem Haus, wenn das unbedingt nötig ist, und ziehen sich mehr und mehr zurück. Manche vereinsamen dadurch, was sogar die psychische Gesundheit beeinträchtigt. Früher oder später wird dann Stadium vier der PAVK erreicht. Und das bringt mit sich, dass aufgrund der dauernden Unterversorgung eines Muskels bzw. des gesamten Beinabschnitts mit Blut das Gewebe der Haut leidet. So entsteht eine Wunde, und es kommt zum sogenannten offenen Bein, das äußerst schwer heilbar ist. Schlimmstenfalls stirbt Haut- und Muskelgewebe ab, und es kommt zur Nekrose. Eine Folge davon kann wiederum eine Blutvergiftung sein, der manchmal nur noch durch die Amputation der betroffenen Gliedmaßen entgangen werden kann. Unbehandelt führt eine Blutvergiftung zum Tod.
Gehtraining bringt schrittweise Verbesserung
Was man gegen die PAVK tun kann? Girardi: „So wie die Krankheit verschiedene Stadien durchläuft, gibt es auch verschiedene Behandlungsschritte.“ Wird die Verengung der Arterien entdeckt, noch ehe etwas davon zu spüren ist, handelt es sich also um eine PAVK im Stadium eins, dann besteht die Therapie in der Vermeidung bzw. Behandlung jener Faktoren, die PAVK auslösen und verschlimmern können, wie Übergewicht, Bluthochdruck und Rauchen. Außerdem werden mit Blutverdünnungsmitteln Gefäßverschlüsse durch Blutgerinnsel verhindert, die lebensgefährlich sein können.
Im Stadium zwei spielt bei der Behandlung Bewegung eine große Rolle. Es ist, so Experte Girardi, „jede Art von Bewegung empfehlenswert“. Denn ganz egal, ob man geht, läuft, radelt, Gymnastik oder Kraftsport macht: Die Bewegung verbessert die Durchblutung. Girardi: „Ein Gehtraining, bei dem so lang gegangen wird, bis die Schmerzen auftreten, und nach einer Pause weiter gegangen wird, ist ein wesentlicher Bestandteil der Therapie.“ Durch das Gehen lässt sich die Strecke, die man gehen kann, ohne Schmerzen zu spüren, im wahrsten Sinn des Wortes schrittweise wieder verlängern.
In manchen Fällen werden darüber hinaus die verengten Arterien mit Ballons oder Drahtgeflechten, sogenannten Stents, auseinandergedehnt und weit gehalten. „Wenn die Verschlüsse länger sind, kann man einen Arterien-Bypass legen, das ist ein Kunststoffschlauch, der das Blut um die Verschlüsse herum leitet.“ Bypass, Stent und Blutverdünnungsmittel sind auch in den fortgeschrittenen Stadien der Krankheit Mittel der Wahl, zusätzlich lindern spezielle Medikamente die Schmerzen.
Diagnose tut nicht weh
Die Diagnose der PAVK tut hingegen nicht weh: „Sie besteht in einem ausführlichen Gespräch, bei dem der Arzt aufgrund der Schilderungen des Patienten schon zu 80 Prozent abklären kann, ob PAVK hinter den Beschwerden steckt“, sagt Girardi. Anschließend wird das Bein abgetastet, und die Arterien werden mit dem Stethoskop abgehört, denn auch anhand von Geräuschen lässt sich erkennen, ob irgendwo der Blutfluss gestört ist. Meist schließt eine Ultraschallaufnahme die Prozedur ab. Und stellt sich dann heraus, dass hinter den Beschwerden doch nicht die periphere arterielle Verschlusskrankheit steckt, dann besteht in vielen Fällen ein orthopädisches Problem. Aber auch der umgekehrte Fall ist möglich: Manches orthopädische Problem kann sich als PAVK entpuppen.
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Ursachen der Schaufensterkrankheit
- Übergewicht
- Bluthochdruck
- hohe Blutfettwerte
- Diabetes mellitus
- Rauchen
- Bewegungsmangel
- Erblich bedingte Veranlagung