Neue Erkenntnisse zeigen, wie sehr ein Kind leidet, wenn Eltern rauchen: Durch das Passivrauchen ist der Nachwuchs nicht nur deutlich anfälliger für Atemwegserkrankungen und Allergien, sondern etwa auch für Verhaltensauffälligkeiten, geistige Entwicklungsstörungen – und verschiedene Krankheiten im Erwachsenenalter.
Von Mag. Sabine Stehrer
So steht es im Österreichischen Jugendschutzgesetz geschrieben: Bis zum vollendeten 16. Lebensjahr darf hierzulande kein Tabak gekauft – und auch nicht in der Öffentlichkeit geraucht werden. Vor Passivrauchen zuhause schützt aber kein Gesetz: Bis sie sechzehn sind, haben bereits sehr viele Jugendliche von Beginn ihrer Existenz an, also mehr als eineinhalb Jahrzehnte, mit Mutter, Vater oder beiden Eltern mitgeraucht. Wie sich das Rauchen der Eltern auf den Nachwuchs auswirkt, zeigen jetzt neue Erkenntnisse. „Die traurige Tatsache ist, dass Kinder, die von Beginn ihrer Existenz an Tabakschadstoffen ausgesetzt sind, eine schlechtere Chance auf ein gesundes Leben haben“, sagt dazu Priv. Doz. Dr. Angela Zacharasiewicz von der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Wiener Wilhelminenspital und ergänzt: „Durch elterlichen Tabakkonsum, vor allem durch Rauchen der Mutter, kann bereits das Ungeborene geschädigt werden.“ Und was dem Kind im Mutterleib schadet, hat weitreichende Folgen. Zacharasiewicz: „Auch später, im Babyalter, im Kindesalter sowie im Jugend- und Erwachsenenalter, kommt es häufiger zu Beeinträchtigungen der Gesundheit, die auf Rauchen der Eltern zurückzuführen sind.“
Fehlbildungen im Gesicht
Raucht die werdende Mutter oder ist sie häufig Passivrauch ausgesetzt, etwa weil der werdende Vater raucht, sollte sie bereits im Frühstadium der Schwangerschaft die Finger vom Glimmstängel lassen und Qualm möglichst aus dem Weg gehen. Denn schon dann sind die giftigen Rauchinhaltsstoffe, die über den gemeinsamen Blutkreislauf zum Embryo gelangen, gefährlich. „Im embryonalen Stadium, also bis zur neunten Schwangerschaftswoche, entwickelt sich unter anderem das Gesicht des Kindes“, informiert Zacharasiewicz. „Bei Rauchen oder Rauchexposition in dieser Phase besteht daher ein deutlich erhöhtes Risiko für Fehlbildungen im Gesicht.“ Vor allem für Spaltbildungen, allen voran Lippen- und Gaumenspaltungen: Was der Volksmund Hasenscharte und Wolfsrachen nennt, ist später nur durch teils aufwendige Operationen behebbar.
Anfällig für Atemwegserkrankungen
Rauchen und Mitrauchen der Schwangeren führt laut Zacharasiewicz dazu, dass die Plazenta bzw. der Mutterkuchen von Anfang an weniger gut durchblutet wird, was das Ungeborene gleich mehrfach gefährdet. So droht die vorzeitige Ablösung der Plazenta, wodurch es zu einer Totgeburt kommen kann – oder zu einer Frühgeburt, die nicht alle Frühchen überleben. Auch drohen bei Frühgeburten verschiedene körperliche und geistige Behinderungen bzw. Beeinträchtigungen. Fix ist obendrein eines, so Zacharasiewicz: „Bei Frühgeborenen sind die Bronchien und die Lunge noch nicht ausgereift, das macht das Neugeborene besonders anfällig für Erkrankungen der Atemwege.“
Zu geringes Geburtsgewicht
Ist der Mutterkuchen schlecht durchblutet, schränkt das außerdem die Versorgung des Ungeborenen mit Sauerstoff und Nährstoffen ein, die für das Wachstum des Embryos bzw. Fötus, wie das Ungeborene nach der neunten Schwangerschaftswoche genannt wird, wichtig sind. Zacharasiewicz: „Durch den Einfluss von Tabak in der Schwangerschaft, das fetale Tabaksyndrom, haben die Kinder oft ein zu geringes Geburtsgewicht.“ Dadurch sind sie empfindlicher, werden das gesamte Babyalter hindurch öfter krank. Aber nicht nur das: Kinder, die in den ersten Lebensmonaten zunehmen mussten, um auf ein normales Gewicht zu kommen, sind außerdem gefährdeter, später übergewichtig zu werden – mit allen damit verbundenen gesundheitlichen Folgen.
Gefährdet für Allergien
Führt sich die werdende Mutter Nikotin zu, gelangt das Gift über den Organismus des Embryos bzw. des Fötus in das Fruchtwasser, das dadurch toxisch, also giftig, wird. Schwimmt der Fötus in giftigem Fruchtwasser, und ist das Baby auch nach der Geburt weiter Qualm ausgesetzt, kann es, so Zacharasiewicz, „zu bestimmten epigenetischen Veränderungen kommen“. „Unter Epigenetik versteht man den Steuerungsmechanismus für die Aktivierung oder Deaktivierung von Genen, um auf Umwelteinflüsse zu reagieren.“ Die entdeckten epigenetischen Veränderungen schwächen das Immunsystem einerseits, andererseits verleiten sie es zu Fehlreaktionen. Das ist laut Zacharasiewicz eine weitere Erklärung dafür, warum Kinder von Rauchern häufiger an Atemwegsinfekten, an Bronchial-Asthma, Lungenerkrankungen und verschiedenen Allergien leiden.
Risiko für Verhaltensauffälligkeiten
Ist ein Baby vom Anfang seiner Existenz an dem Giftcocktail ausgesetzt, der sich in Tabakrauch befindet, und atmet es nach der Geburt weiter Nikotin ein, bedeutet dies erneut eine erhöhte Gefahr für sein Leben: Statistiken zeigen laut Zacharasiewicz, dass der plötzliche Kindstod in Raucherhaushalten häufiger auftritt, als in Nichtraucherhaushalten – ein Risiko, das in etwa bis zum Ende des ersten Lebensjahrs besteht.
Babys, Kleinkinder, Kinder: Sie alle atmen wesentlich öfter ein als Erwachsene, bis zu dreimal so oft, weshalb sie beim Passivrauchen besonders viele der giftigen Rauchinhaltsstoffe aufnehmen. Studien zeigen, „dass Kinder, die ständig Rauch ausgesetzt sind, häufiger Verhaltensauffälligkeiten aufweisen, beispielsweise öfter hyperaktiv sind“, so Zacharasiewicz. Auch in ihrer mentalen, also geistigen, Entwicklung sind Raucherkinder häufiger gestört. Dies äußert sich zum Beispiel darin, dass sie öfter Schwierigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen oder beim Lernen haben, als Kinder, die nicht „beraucht” werden.
Später häufiger krank
Ist das Jugendalter erreicht, werden Kinder von Rauchern früher und häufiger zu Rauchern als Kinder von Nichtrauchern. Das liegt laut Zachrasiewicz zum einen am schlechten Beispiel der Eltern, zum anderen aber auch an der Aufnahme von Nikotin vom Anfang ihrer Existenz an, die sie anfälliger für den Einstieg ins Raucherleben macht.
Dass aus dem tabakkranken Kind nicht nur eher ein rauchender Jugendlicher, sondern oft auch ein sozusagen tabakkranker Erwachsener wird, beweist wiederum eine umfassende Langzeitstudie, in die 17.000 Frauen und ihre Kinder einbezogen waren. Heraus kam, dass der Nachwuchs von Frauen, die rauchten, später, als Erwachsene, viel früher und deutlich häufiger an Diabetes mellitus Typ 2 sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen litt als der Nachwuchs von Nichtraucherinnen.
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Fakten: Raucher in Österreich
Zwar ging die Zahl der Raucher in Österreich zuletzt etwas zurück, doch immer noch raucht laut Statistik Austria in der Altersgruppe der 15- bis 60-Jährigen etwa jeder Dritte. Unter den über 60-Jährigen rauchen wesentlich weniger, was den Raucheranteil in der Gesamtbevölkerung senkt: Insgesamt raucht jeder Vierte.
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Kinderwunsch:
Rauchen verringert Fruchtbarkeit
Rauchen steht dem Wunsch, ein Kind zu bekommen, oft entgegen. „Die Fruchtbarkeitsrate ist bei Frauen, die rauchen, niedriger als bei Nichtraucherinnen“, weiß Priv. Doz. Dr. Angela Zacharasiewicz. Dies vor allem, da bei Raucherinnen die Einnistung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter häufiger fehlschlägt als bei Nichtraucherinnen.
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Wie gelingt der Rauchstopp?
Interview mit Univ. Prof. Dr. Manfred Neuberger von der „Initiative Ärzte gegen Raucherschäden“.
MEDIZIN POPULÄR: Herr Neuberger, wie gelingt es werdenden Eltern, die rauchen, am besten, mit dem Rauchen aufzuhören?
Manfred Neuberger: Erfahrungsgemäß ist es am besten, sich von einem Psychotherapeuten helfen zu lassen, der auf Suchttherapien spezialisiert ist. Dort kann man eine Einzeltherapie oder auch eine Gruppentherapie machen, wobei eine Gruppentherapie oft eher zum Erfolg führt. Denn in der Gruppe haben alle das gleiche Problem, was zu einer gewissen Dynamik führt, die stärker zum Rauchstopp motiviert. Solche Gruppentherapien oder Gruppentrainings bieten auch Lungenfachärzte an. Wenn die werdende Mutter und der werdende Vater rauchen, sollten übrigens beide mit dem Rauchen aufhören, denn das Aufhören fällt wesentlich leichter, wenn der Partner mitmacht. Außerdem schädigt auch der Rauch des Vaters das Kind.
Sind Medikamente empfehlenswert?
Medikamente, die das Rauchverlangen dämpfen, eignen sich nicht für Schwangere, da sie das Ungeborene gefährden. Auch Nikotinersatzmittel sind nichts für werdende Mütter, da sie mit diesen Mitteln ja Nikotin aufnehmen, das über den Blutkreislauf zum Kind gelangt und es schädigt. Der werdende Vater kann solche Mittel schon nehmen, aber sie wirken nur dann, wenn sie begleitend zu einem Training oder einer Therapie eingenommen werden.
Kann es gelingen, den Rauchstopp ohne professionelle Hilfe zu schaffen?
Mit einem starken Willen durchaus. Wer dies vorhat, dem rate ich zu einem Rauchstopp in drei Schritten. Schritt eins besteht darin, dass nicht mehr nebenbei geraucht wird, also etwa beim Lesen, Fernsehen oder Autofahren, sondern nur noch bewusst. Schritt zwei sieht vor, dass nur noch im Freien geraucht wird. In einem dritten Schritt wird ein Aufhörtag festgelegt, und am Tag davor wird alles weggeworfen, was mit dem Rauchen zu tun hat, also die Zigaretten, Zünder, Aschenbecher.
Was halten Sie von Methoden wie der Akupunktur oder der Hypnose?
Ich befürworte alle Methoden, die zum Erfolg führen. So auch die Akupunktur oder die Hypnose, die unter der Voraussetzung, dass man an ihre Wirkung glaubt, sehr wirksam sein können. Auch eine meiner früheren Kolleginnen hat es mit der Akupunktur geschafft, zur Nichtraucherin zu werden und Nichtraucherin zu bleiben, weil derjenige, der sie akupunktiert hat, sie sehr gut davon überzeugen konnte, dass die Akupunktur ihr Verlangen nach Zigaretten stoppt.
Wie viele Mütter und Väter schaffen es Ihrer Meinung nach, mit dem Rauchen aufzuhören?
Wenn sie schwanger sind, schaffen das doch viele Frauen, und wohl auch etliche werdende Väter hören auf. Nach der Geburt fangen aber viele Eltern wieder mit dem Rauchen an, was sehr schade ist. Denn, wenn man aufgehört hat, sind die ersten Monate die schwierigsten. In dieser Zeit ist das Risiko für einen Rückfall am größten. Und diese ersten Monate haben die Mütter und Väter dann ja schon hinter sich gebracht, könnten leichter gänzlich aufhören und Nichtraucher bleiben.
Wenn die jungen Eltern nach der Geburt wieder rauchen: Gibt es Möglichkeiten, das Risiko für ihr Kind zu reduzieren?
Sie sollten nicht in der Wohnung rauchen, mit dem Kind möglichst nirgends hingehen, wo geraucht wird, auch immer Nichtraucherlokale aufsuchen und nicht rauchen, wenn sie mit dem Kind zusammen sind.
Foto: iStock, Jikaboom