Streit in der Familie und Stress in der Schule machen Kinder ebenso anfällig für Krankheiten wie Schlafmangel und einseitige Ernährung. MEDIZIN POPULÄR zeigt auf, wie sich das Immunsystem von klein auf stärken lässt.
von Mag. Alexandra Wimmer
Ruhe und Schlaf
Regelmäßige Ruhephasen und ein erholsamer Schlaf sind im fordernden Alltag von Schulkindern unverzichtbare Kraftquellen: „Neuere Studien belegen, dass der Schlaf nicht nur für das Gedächtnis allgemein, sondern auch für das immunologische Langzeitgedächtnis eine wichtige Rolle spielt“, sagt Dr. Harald Geiger, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde in Dornbirn. „Vermutet wird, dass dies mit den im Tiefschlaf freigesetzten Hormonen zusammenhängt, die einen besonderen, stimulierenden Einfluss auf Teile des Immunsystems haben.“ Dies hat nachhaltige Folgen für die Gesundheit: „So gesehen kann man sagen, dass Schlafmangel Krankheiten fördert“, erklärt der Arzt.
Wie viele Stunden Schlaf ein Schulkind benötigt, ist individuell verschieden. „Generell schlafen Kinder unterschiedlich lang, wobei sich der kindliche Schlafbedarf mit dem zunehmenden Alter verringert“, sagt Harald Geiger und ergänzt: „Ruhepausen tagsüber, auch auf die Gefahr hin, dass ein bisschen Langeweile aufkommt, sind ebenfalls wichtig.“
Bunter Speisezettel
Ein bunter Speisezettel im Rahmen einer ausgewogenen, abwechslungsreichen Mischkost – auch davon profitiert das kindliche Immunsystem. „Frisches Obst und Gemüse enthalten viele Stoffe, die sich günstig auf die Abwehr auswirken“, erklärt Facharzt Geiger. Wenn es um Nährstoffe geht, so werde die Bedeutung von Vitamin D, für dessen Bildung der Körper Sonnenlicht benötigt und das in Maßen z. B. in bestimmten Fischsorten enthalten ist, nach wie vor unterschätzt. „Weil Vitamin D im Winter vermindert gebildet wird, empfiehlt man vielfach, nicht nur im ersten Lebensjahr, sondern auch älteren Kindern, zumindest in den kälteren Monaten zusätzlich Vitamin D zu verabreichen“, so der Mediziner.
Auch die Flüssigkeitszufuhr darf nicht zu kurz kommen. „Gerade in den Wintermonaten sollte auf ausreichendes Trinken geachtet werden, da die Raumluft durch das Heizen trockener ist“, erklärt Geiger. Mit dem Trinken von Wasser, Tee und stark verdünnten Säften werden die Schleimhäute befeuchtet. „Damit kann ein lästiger Reizhusten bekämpft werden.“
Entscheidend ist aber nicht nur, was die Sprösslinge essen und trinken, sondern auch, in welcher Atmosphäre sie das tun. „Gemeinsame, möglichst stressfreie Mahlzeiten sind ein wichtiges soziales Ritual“, betont der Arzt. „Weil die Lebenssituation vieler Familien dies immer weniger erlaubt, wäre es umso wichtiger, zum Beispiel gemeinsame Mahlzeiten in der Schule zu ermöglichen.“
Toben an der frischen Luft
Nachhaltig stärkenden Einfluss hat regelmäßige Bewegung – einmal mehr, wenn die Kinder im Freien aktiv sind: Mit Laufen, Toben, Spielen oder Wandern an der frischen Luft, zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter, kommt der kindliche Organismus in Schwung. „Alle Maßnahmen, die den Aufenthalt von Kindern im Freien fördern, tragen auf natürliche Weise zur Stärkung des Immunsystems bei“, bestätigt Harald Geiger und nennt einige positive Effekte: „Die natürliche Umgebung in Wald und Wiesen bewirkt eine Entspannung und somit Stressreduktion, außerdem wird dabei die Vitamin D-Produktion gesteigert.“ Daneben profitieren bewegte Kinder von den vielfältigen Wirkungen des „Medikaments Sport“.
Reinlichkeit in Maßen
Ob im Freien oder in den vier Wänden: In Zusammenhang mit der kindlichen Immunabwehr wird immer wieder auch das richtige Maß an Reinlichkeit diskutiert. „Es gibt Hinweise darauf, dass zu wenig Kontakt mit bestimmten Bakterien und sogenanntem Dreck in der Kindheit das Immunsystem unterfordert und so die Entstehung von Allergien gefördert wird“, erläutert Facharzt Geiger aktuelle Studienergebnisse. „Unter österreichischer Beteiligung wurde das tatsächlich für Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, bewiesen: Kinder, die noch im ersten Lebensjahr mit Stallumgebung und Rohmilch in Kontakt kamen, haben später deutlich weniger Asthma und Heuschnupfen.“ Schlüsse, die man aus diesen Ergebnissen ziehen könnte: „Vielleicht lässt sich die Vorstellung relativieren, dass ein Haushalt klinisch rein sein und jede Verunreinigung mit chemischen Mitteln bekämpft werden muss“, regt Harald Geiger an.
Wechselduschen
Was für den erwachsenen Organismus gilt, gilt – mit Einschränkungen – auch für den kindlichen: Wechselduschen mit warmem und kaltem Wasser helfen dem Immunsystem auf die Sprünge, indem sie u. a. die Durchblutung anregen. „Kältereize sind grundsätzlich schon ab dem Babyalter möglich, dabei müssen aber einige Regeln beachtet werden“, betont Kinder- und Jugendfacharzt Geiger. Zu den Kneipp’schen Grundregeln zählt: Die Phasen mit kaltem Wasser dürfen nur Sekunden, die „Warmphasen“ hingegen Minuten andauern. „Je jünger das Kind, desto behutsamer sollte man vorgehen, die Anwendung darf nicht unangenehm sein“, ergänzt der Mediziner. Außerdem zu berücksichtigen ist: „Aufgrund der relativ größeren Körperoberfläche im Vergleich zum Gewicht kühlen Kinder schneller aus.“
Liebevolles Umfeld
Als besonders stärkend werden liebevolle Beziehungen und ein gesundes soziales Umfeld eingeschätzt. Umgekehrt kosten Konflikte, Stress und Streit nicht nur Nerven, sondern setzen auch der Abwehr zu: „Nervensystem und Immunsystem stehen über Botenstoffe in Kontakt und beeinflussen sich gegenseitig“, erklärt Harald Geiger den Hintergrund. „Gerade Stress, wie er durch Probleme in der Familie oder in der Schule auftreten kann, hat einen starken Einfluss auf Immunfaktoren.“ Chronische Belastungen haben beispielsweise ein Absinken von Abwehrzellen im Speichel zur Folge. „Außerdem kommt es zur vermehrten Ausschüttung bestimmter Hormone der Nebenniere, etwa von Cortisol, welche die Immunabwehr herabsetzen“, erläutert der Mediziner. Chronischer (Beziehungs-)Stress führe deshalb „zu erhöhter Infektanfälligkeit oder zur Verschlechterung von bereits bestehenden Krankheiten.“
Wie man ein derart belastetes Kind unterstützen und stärken kann? „Es kommt sehr darauf an, dem Kind zu vermitteln, dass es nicht allein mit seinen Sorgen ist“, betont Geiger. „Aufgabe der Erwachsenen ist es auch, die notwendigen Veränderungen im Umfeld des Kindes herbeizuführen.“
„Vorwarnung“ per Nadelstich
Ein besonders einfaches und probates Mittel zur Stärkung der Abwehrkräfte: die Impfung. „Mit Hilfe von Impfungen wird das Immunsystem auf einen möglichen Kontakt mit gefährlichen Erregern vorbereitet und sozusagen vorgewarnt“, erklärt Harald Geiger das Wirkprinzip. „Auf diese Weise kann es Vorbereitungen in Form von abrufbereiten Abwehrkörpern treffen, um im Ernstfall rascher reagieren zu können. Impfungen stärken also die Immunabwehr gegen die Infektionserreger, gegen die geimpft wurde.“
Welche Impfungen im Schulalter empfohlen werden? „Laut Impfplan 2013 sind Auffrischungsimpfungen gegen Diphtherie, Tetanus, also Wundstarrkrampf, Kinderlähmung und Keuchhusten sowie Hepatitis B vorgesehen“, erklärt Geiger. „Hinzu kommt eine Impfung gegen Meningokokken, bakterielle Hirnhautentzündung.“ Neu ist, dass man Mädchen und Buben im Alter von zehn Jahren demnächst kostenlos gegen HPV-Viren impfen lassen kann: „Ab Februar 2014 wird der Schutz gegen HPV, also gegen die Erreger von Gebärmutterhalskrebs und Genitalwarzen, in das Programm aufgenommen“, betont der Kinderarzt. Die Grippeimpfung wird allen, insbesondere jedoch Kindern im Vorschulalter empfohlen; dies gilt ganz besonders, wenn die Kinder an Asthma, Diabetes oder neurologischen Erkrankungen leiden.
Verstärkt wird die Wirksamkeit von Impfungen übrigens – und hier schließt sich der Kreis – durch gesunden Schlaf: „Untersuchungen nach Impfungen an Erwachsenen zeigten, dass die Antikörperbildung bei jenen Menschen höher war, die nach einer Impfung tief schlafen konnten“, erläutert Harald Geiger.
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