Antibiotika sorgen in jüngster Zeit für Verunsicherung: Immer wieder wird vor der Zunahme von widerstandsfähigen Keimen gegen Antibiotika gewarnt. Sollen wir nun deswegen darauf verzichten? Und: Weshalb bekommt man oftmals Durchfall, wenn man sie nimmt? Wieso darf man die Einnahme nicht abbrechen, wenn man sich wieder gesund fühlt? Für MEDIZIN populär gibt eine Expertin zehn kompetente Antworten auf zehn häufige Fragen zu dem Mittel, dessen „Mutter“ Penicillin heuer 85. Geburtstag feiert.
Von Mag. Sabine Stehrer
1. Jüngst häufen sich die Warnungen, dass es immer mehr Keime gibt, die widerstandsfähig gegenüber Antibiotika sind. Wird es bald keine wirksamen Antibiotika mehr geben?
„Darüber, dass es einmal keine wirksamen Antibiotika mehr geben wird, braucht sich aktuell wirklich niemand Sorgen zu machen“, beruhigt Prim. Univ. Doz. Dr. Petra Apfalter, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für nosokomiale Infektionen und Antibiotikaresistenz am Krankenhaus der Elisabethinen in Linz. Das Repertoire, das den Herstellern zur Verfügung steht, sei groß. Und: „Einige alte Antibiotika, die vor vielen Jahren nicht mehr gewirkt haben, wirken heute wieder“, so die Expertin. „Außerdem werden auch immer wieder neue Mittel in anderen Zusammensetzungen entwickelt.“
2. Nehmen die Resistenzen unter anderem auch deswegen zu, weil wir unfreiwillig Antibiotika essen, etwa über Tiere, denen diese Mittel verabreicht werden?
„Antibiotika zur Vorbeugung von Krankheiten ins Tierfutter zu mischen, ist in Österreich verboten“, weiß Apfalter. „Tiere bekommen bei uns dann Antibiotika, wenn sie die Mittel dringend brauchen, weil sie selbst schwer krank sind. Und dann gibt man ihnen andere Präparate als jene, die in der Humanmedizin in Verwendung sind.“ Ob anderswo auf der Welt die Antibiotika-Gabe an Tiere dazu geführt hat, dass Antibiotika-Resistenzen häufiger werden, oder welche Faktoren sonst noch die Resistenzen zunehmen ließen, ist noch Gegenstand von Forschungen, so die Expertin.
3. Bei welchen Krankheiten sollte man unbedingt Antibiotika nehmen?
Apfalter: „Antibiotika sollten bei bakteriellen Infektionen genommen werden.“ Zum Beispiel bei Hautverletzungen, bei denen Eiter ein untrügliches Zeichen für eine bakterielle Infektion ist. „Auch Blasenentzündungen und andere Entzündungen der Harnwege gehen fast immer auf eine bakterielle Infektion zurück, gegen die Antibiotika sehr gut helfen“, erklärt Apfalter. „Bei Lungenentzündungen, bei Superinfektionen und bei der Sepsis sind Antibiotika unerlässliche, lebensrettende Mittel.“
4. Warum verschreibt mir mein Arzt keine Antibiotika, wenn ich eine starke Erkältung oder Grippe habe?
„Erkältungen werden nicht durch Bakterien, sondern durch Viren hervorgerufen“, erklärt Apfalter. „Und gegen Viren helfen Antibiotika nicht. Sie wirken nur gegen Bakterien, und zwar indem sie diese entweder töten oder daran hindern, sich zu vermehren.“ Auch gegen Grippe kann man nichts ausrichten, wenn man Antibiotika nimmt, da die Grippeerkrankung ebenfalls nicht auf eine Attacke von Bakterien, sondern auf den Angriff von Viren zurückgeht. Aus demselben Grund sind Antibiotika auch bei einer Entzündung der Bronchien nutzlos, einer Bronchitis, die manchmal in Folge einer Grippe oder Erkältung auftritt. Apfalter: „Wer bei diesen Erkrankungen trotzdem Antibiotika nimmt, trägt nur dazu bei, dass Antibiotika-Resistenzen häufiger werden und Antibiotika nicht mehr wirken, wenn wir sie wirklich brauchen, nämlich bei bakteriellen Infektionen.“
5. Warum bekommt man oftmals Durchfall, wenn man Antibiotika nimmt?
„Antibiotika wirken gegen alle Bakterien, gegen die, die uns krank machen, aber auch gegen die, die förderlich für unsere Gesundheit sind“, so Apfalter. Wenn die Darmbakterien durch die Antibiotika außer Gefecht gesetzt sind, ist die Darmflora gestört und man kann leicht Durchfall bekommen, der aber aufhört, sobald die Antibiotika abgesetzt werden.“
6. Stimmt es, dass es wegen Antibiotika auch zu einer Scheidenpilzinfektion kommen kann?
„Scheidenpilzinfektionen sind so wie der Durchfall leider ebenfalls eine häufige Nebenwirkung, wenn man Antibiotika einnimmt“, sagt Apfalter. Der Grund: So wie die Darmflora ist auch die Scheidenflora von Bakterien und Pilzen besiedelt, die sie gesund halten. „Haben die Antibiotika die Zusammensetzung der Scheidenflora durcheinandergebracht, also die Bakterien im Verhältnis zu den Pilzen reduziert, nehmen die Pilze überhand“, erklärt Apfalter. Mit Antimykotika ist eine Scheidenpilzinfektion aber gut behandelbar und heilt schnell ab.
7. Kann ich mich vor Nebenwirkungen der Antibiotika schützen, indem ich viel Milch trinke und Joghurt esse?
Apfalter: „Das meinen leider viele, aber man sollte das keinesfalls tun.“ Denn erstens können auch noch so viel Joghurt und Milch nicht vor Durchfall oder einer Scheidenpilzinfektion schützen, die durch Antibiotika verursacht werden können, so die Expertin. Und zweitens könne das Kalzium in Joghurt und Milch manche Antibiotika binden und auf diese Art und Weise unwirksam machen.
8. Kann man allergisch gegen Antibiotika sein?
„Viele meinen, sie hätten eine Antibiotika-Allergie, weil sie während der Einnahme Durchfall haben“, sagt Apfalter. Das ist aber eine falsche Annahme. „Wenn man allergisch gegen Antibiotika ist, äußert sich das Problem vielmehr in Atemnot oder Hauterscheinungen wie einem Ausschlag.“ Ob man tatsächlich an einer Antibiotika-Allergie leidet, kann man durch einen Allergietest feststellen lassen.
9. Können Antibiotika die Wirkung anderer Medikamente beeinflussen?
„Es gibt Wechselwirkungen zwischen einigen Medikamenten und Antibiotika“, weiß Apfalter. „Deswegen sollte man, wenn man Antibiotika zugleich mit anderen Medikamenten nehmen muss, den behandelnden Arzt darauf hinweisen und ihn fragen, ob die Gefahr von Wechselwirkungen besteht.“
10. Warum darf man die Einnahme nicht einfach abbrechen, wenn man sich wieder gesund fühlt?
„Die Tabletten in der Packung, die der Arzt verschreibt, sollte man unbedingt zu Ende nehmen“, sagt Apfalter. Denn auch wenn man sich schon wieder gesund fühlt, heißt das noch nicht, dass die Bakterien, die die Infektion ausgelöst haben, zur Gänze von den Antibiotika besiegt sind. Apfalter: „Wer die Einnahme frühzeitig abbricht, riskiert, neuerlich von Bakterien infiziert und krank zu werden.“
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Penicillin: Medizinische Revolution vor 85 Jahren
Penicillin, die „Mutter“ der heutigen Antibiotika, feiert heuer 85. Geburtstag. 1928 wurde das Mittel von Alexander Fleming, einem Bakteriologen aus Schottland, an einem Spital in London entdeckt. Er stellte fest, dass sich in der Nähe eines schimmelnden Pilzes der Gattung Penicillium bestimmte krankheitserregende Bakterien nicht mehr vermehrten. Daraufhin wurde Penicillin gegen bakterielle Infektionen eingesetzt. In großen Mengen produziert wurde das neue Mittel aber erst ab 1942. Damals wurde Penicillin vorrangig dafür verwendet, Soldaten zu helfen, die bei Kämpfen im Zweiten Weltkrieg verwundet wurden, und rettete unzählige Menschenleben. In der Folge hat Penicillin sogar in der Filmkultur Niederschlag gefunden: Gestohlenes Penicillin, das gestreckt wurde, um beim Weiterverkauf mehr daran zu verdienen, ist das zentrale Thema des legendären Agentenkrimis „Der dritte Mann“, der in Wien spielt.
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Antibiotikaresistenzen: Europaweite Kontrolle
Wie viele Antibiotika genommen werden und gegen welche Antibiotika welche Art von krankheitserregenden Bakterien bereits Resistenzen entwickelt hat, das wird von einem europaweiten Überwachungsnetzwerk kontrolliert, dem European Antimicrobial Resistance Surveillance System EARS-Net. Auch Österreich ist in diesem Netzwerk vertreten. Die Kontrollergebnisse laufen im Nationalen Referenzzentrum für nosokomiale Infektionen und Antibiotikaresistenz zusammen. Durch die Kontrolle können Resistenzen früh erkannt werden. Darüber hinaus kann so Problemen, die sich daraus ergeben, vorgebeugt werden – indem man auf Antibiotika anderer Machart umsteigt.