Fibromyalgie ist eine ebenso qualvolle wie rätselhafte Krankheit, an der mehr als 200.000 Österreicher leiden. Was steckt dahinter, wie kann den Betroffenen geholfen werden?
Von Mag. Michael Krassnitzer
Fibromyalgie gilt als schwer zu diagnostizierendes „Chamäleon unter den Krankheiten“, da sie Symptome und Warnzeichen von vielen anderen Gesundheitsstörungen nachahmen kann. Typisch jedoch ist der dauerhafte, ausgeprägte Ganzkörperschmerz, der den Betroffenen das Leben zur Qual macht.
Im Volksmund wird die Fibromyalgie auch als Weichteilrheuma bezeichnet – was allerdings irreführend ist. Denn die auch FMS (Fibromyalgie-Syndrom) genannte chronische Erkrankung ist nicht entzündlich und hinterlässt – im Gegensatz zu entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparates – keine körperlichen Schäden.
FMS betrifft acht- bis neunmal mehr Frauen als Männer, vor allem im Alter zwischen 35 und 60 Jahren. Zunehmend werden aber auch Kinder und Jugendliche Opfer der Fibromyalgie. Auf der Liste der häufigsten Schmerzkrankheiten steht diese tückische und qualvolle Erkrankung bereits auf Platz drei.
„Alles tut weh“ – so beschreiben Betroffene die Krankheit. Sie leiden an diffusen und wandernden Schmerzen der Muskeln und Sehnen, die sich über den ganzen Körper ausbreiten. Sie fühlen sich krank, müde und ausgelaugt. Dazu kommen häufig Erschöpfung, Morgensteifigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Gefühlsstörungen, Verdauungsprobleme, Kopf- schmerzen, Schwindel und oft auch Depressionen.
Im Labor und beim Röntgen findet sich kein Befund, der die Beschwerden erklärt. Viele Patienten fühlen sich in ihrem Leid nicht ernst genommen und werden oft zu Unrecht als Hypochonder abgestempelt, denen der Gang zum Psychiater nahegelegt wird. Nicht wenige lassen eine beträchtliche Anzahl von unnötigen Therapien über sich ergehen. „Die Betroffenen irren von Behandlungsstelle zu Behandlungsstelle“, weiß Univ. Prof. Dr. Winfried Graninger, Leiter der klinischen Abteilung für Rheumatologie an der Medizinischen Universität Graz. „Die Patienten machen leider häufig die Erfahrung, dass ihnen nicht geholfen wird, und suchen dann Hilfe außerhalb der Schulmedizin. Dabei geraten viele an Abzockspezialisten“, bedauert der Fibromyalgie-Experte und warnt: „Man darf nicht jeden Unsinn glauben, der im Internet angeboten wird!“
Behandlungs-Odyssee
Fibromyalgie ist auch vielen Medizinern noch kein Begriff, denn es handelt sich um eine relativ junge Krankheit, die erst 1990 von der Weltgesundheitsorganisation WHO als eigenständige Erkrankung anerkannt wurde. Dass FMS erst oft nach einer jahrelangen Odyssee erkannt wird, liegt auch daran, dass die Krankheit selbst für Spezialisten schwer zu diagnostizieren ist. Denn zuerst einmal müssen durch gründliche Untersuchungen andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. Fibromyalgie kann leicht mit anderen Leiden verwechselt werden.
Erfahrene Rheumatologen kennen jedoch eine Methode, die ihnen gute Dienste leistet: Es gibt am menschlichen Körper insgesamt 18 Punkte („Tender Points“), die bei FMS-erkrankten Menschen besonders druckempfindlich sind. Wenn der Druck auf elf dieser Punkte weh tut und die beschriebenen Schmerzen bereits seit mindestens drei Monaten vorhanden sind, so gilt dies als Hinweis auf Fibromyalgie.
Ursache unbekannt
Die genaue Ursache für FMS ist aber nach wie vor unbekannt. Eine gewisse familiäre Häufung lässt auf eine ererbte Veranlagung schließen. Als möglicher Mitauslöser gelten hormonelle Schwankungen, etwa im Zuge des Klimakteriums („Wechseljahre“) oder einer Erkrankung der Schilddrüse. Auch Infekte und Nahrungsmittelunverträglichkeiten werden verdächtigt, für das qualvolle Leiden mitverantwortlich zu sein. Bei vielen Fibromyalgiepatienten ist der Serotoninstoffwechsel gestört (Serotonin gilt als das „Glückshormon“), auch kann eine ungewöhnlich hohe Produktion eines bestimmten Schmerzbotenstoffes („Substanz P“) festgestellt werden.
Keine Psycho-Diagnose
Oft ist die Kombination von körperlicher und seelischer Überbelastung Auslöser der Krankheit. Dauerstress, verbunden mit perfektionistischem Leistungswillen oder ungelösten psychischen Spannungen, aber auch traumatische Kindheitserlebnisse wie Gewalt oder Missbrauch können Mitursachen für die Erkrankung sein. „FMS ist jedoch keine Psycho-Diagnose“, betont Rheumatologe Graninger: „Es handelt sich weder um eine eingebildete noch um eine psychosomatische Krankheit – aber sie kann nur aktiv bewältigt werden.“
Es gibt viele Arten der Linderung, aber es müssen immer mehrere Methoden eingesetzt werden. Laut aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen muss die Behandlung sowohl körperliche als auch psychologische Aspekte berücksichtigen. Schmerzmittel haben eine beschränkte Wirksamkeit. Auch Antidepressiva sind hilfreich – nicht nur, weil sie die Laune der Betroffenen verbessern, sondern weil sie die Schmerzschwelle heben. Wärmebäder, Kneippkuren, Heilmassagen sorgen für Erleichterungen, Bewegungstherapien im Wasser beziehungsweise im Thermalbad empfinden viele Betroffene als wohltuend. Stress- und Konfliktmanagement, Entspannungstraining oder Psychotherapie sollen über den Kopf zur Linderung der Schmerzen führen.
„Ganz wichtig ist es, die Patienten aus der Isolation zu holen“ sagt FMS-Experte Graninger abschließend: „Patientenschulungsprogramme und Selbsthilfegruppen sind eine wesentliche Unterstützung für die aktive Krankheitsbewältigung.“
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INTERVIEW
Karin Dirschmied leidet seit acht Jahren an Fibromyalgie. Sie schildert ihr Leben mit FMS.
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Wie äußert sich FMS bei Ihnen?
Karin Dirschmied
Schmerzen, als hätte mich eine Straßenwalze überrollt, Schweißausbrüche, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen. Ich litt unter starken Depressionen, weil ich mich verbraucht und unnütz fühlte. Das schlimmste war, als sich die Morgensteifigkeit auf den ganzen Tag zu erstrecken begann.
Wie hat die Krankheit begonnen?
Mit Schmerzen, die von der Lendenwirbelsäule auszugehen schienen und die immer stärker wurden. Ein, zwei Jahre später begannen meine Fingergelenke dermaßen weh zu tun, dass ich nicht mehr in der Lage war, einen Teller oder eine Tasse zu tragen. Diese Schübe kamen jedoch immer nur für etwa drei Tage, danach war wieder einige Wochen Ruhe. Später dehnten sich die Schmerzen auf den ganzen Körper aus.
Wie haben Sie die Krankheit bekämpft?
Nachdem mein Rheumatologe vor zwei Jahren zu dem Schluss kam, dass es sich vermutlich um FMS handle, habe ich nichts unversucht gelassen und auf die verschiedensten Methoden gehofft. Das erleichterte zwar mein Portemonnaie beträchtlich, jedoch nicht mich von meinen Schmerzen.
Sie wirken jetzt aber gesund und vergnügt. Wie das?
Nun, das scheint nur so, denn FMS ist nach derzeitigem Stand der Forschung nicht heilbar. Aber eine Kur im Heilstollen brachte schließlich eine deutliche Besserung meiner Leiden. Danach konnte ich mich nach Jahren auf einmal wieder normal und vollkommen schmerzfrei bewegen – ohne eine einzige Schmerztablette! Die Beschwerdefreiheit hielt allerdings nur vier Monate an. Danach kehrten wieder alle Symptome zurück. Jetzt nehme ich wieder Schmerztabletten – aber ich habe schon meine nächste Stollenkur gebucht.