Geschnitzte Tierzähne mit Fäden oder Drähten im Mund befestigt – so hat man bereits lange vor unserer Zeitrechnung und noch bis ins 19. Jahrhundert hinein Lücken in den eigenen Zahnreihen gefüllt. Aus Stammzellen Zähne nachzüchten – das ist eine Zukunftsvision der zahnmedizinischen Forschung. Mit neuen Materialien und verbesserten Techniken kommt der moderne Zahnersatz dem Werk von Mutter Natur schon heute immer näher.
MEDIZIN populär gibt eine Übersicht über aktuelle Möglichkeiten.
Von Mag. Sabine Stehrer
Von Oma und Opa kennen wir es noch: Das künstliche Gebiss, das die verloren gegangenen Zähne ersetzt, zum Putzen herausgenommen wird und nachts im Wasserglas badet. Doch es spricht viel dafür, dass die Gebilde aus Kunststoff, Keramik und verschiedenen Metallen bald nur mehr in Zahnmuseen zu sehen sein werden. Denn die Österreicherinnen und Österreicher sind immer besser versorgt, wenn es um die Mundgesundheit geht. So haben nach aktuellen Erhebungen des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen ÖBIG fast zwei Drittel der heute 65- bis 74-Jährigen ein sogenanntes versorgtes Lückengebiss. Das bedeutet, dass sämtliche Zahnlücken mit einem festsitzenden Zahnersatz gefüllt sind, was eine ähnlich große Kaukraft gewährleistet wie das natürliche Gebiss und auch optisch dem Werk von Mutter Natur sehr nahe kommt.
Unter den heute 35- bis 44-Jährigen hat laut ÖBIG hierzulande jeder Zweite sogar noch ein vollständiges natürliches Gebiss – ein Indiz für gute Zahnpflege, regelmäßige, professionelle Mundhygiene und gute medizinische Versorgung. Und sollten jene, die noch alle ihre eigenen Zähne haben, doch einmal Zahnersatz benötigen, kennt die moderne Zahnmedizin immer perfektere Lösungen, um Lücken zu füllen. Fast permanent werden bei der Fertigung und dem Einsatz von Kronen, Brücken, Teilprothesen, Implantaten und auch der Produktion von Vollprothesen Fortschritte gemacht, weiß Univ. Prof. DDr. Georg Watzek, Vorstand der Bernhard-Gottlieb-Universitätszahnklinik Wien, eine der führenden zahnmedizinischen Einrichtungen Europas.
Die aktuellen Möglichkeiten im Überblick:
Krone
Ist ein Zahn durch Karies oder einen Unfall so beschädigt, dass eine Füllung nicht ausreicht, um ihn zu reparieren, empfiehlt sich das Setzen einer Krone. Watzek: „Die Krone gibt dem Zahn seine ursprüngliche Form, daher auch sein Aussehen und zum Großteil auch seine Kaukraft zurück.“ Bevor man die Krone setzen kann, wird der Restzahn beschliffen. Danach wird ein Abdruck vom Gebiss gemacht, der dem Zahntechniker dazu dient, die Krone zu formen. Anschließend wird der Restzahn mit einer provisorischen Füllung umhüllt, die ihn schützt, bis die Krone fertig ist und auf den Restzahn geklebt werden kann.
Moderne Kronen haben meistens eine lange Lebensdauer. „Heute gesetzte Kronen bleiben durchschnittlich sieben bis zehn Jahre erhalten, oft auch noch viel länger“, sagt Watzek. Das liegt nicht nur an der Präzision, mit der die Kronen an das Gebiss angepasst werden, und an der modernen Technik, mit der man sie einsetzt, sondern auch am Material. Watzek: „Für Kronen werden heute hochwertige Keramiksorten verwendet wie Zirkon.“ Zirkon ist besonders stabil, metallfrei und daher auch für Allergiker geeignet.
Werden mehrere Zähne im Ober- und Unterkiefer überkront, ist es manchmal nicht möglich, überall Keramik zu verwenden. „Um den Biss nicht zu hart zu machen, ist es dann vorteilhaft, an manchen Stellen Kunststoffkronen zu setzen“, sagt Watzek. Ist nicht mehr genug Zahnsubstanz vorhanden, um eine Krone daran zu befestigen, wird ein Metallstift in die Wurzel gegeben, auf den die Krone gesetzt wird.
Eine Sonderform der Kronen sind die sogenannten Veneers, dünne Kunststoff- oder Keramik-Schalen, die meist für Frontzähne verwendet werden, wenn diese durch Karies oder einen Unfall beschädigt bzw. wegen Flecken oder Verfärbungen unansehnlich sind.
Frühzeitig verloren gehen können sowohl Veneers als auch Kronen durch Pflegefehler. Watzek: „Hat jemand freiliegende Wurzeln, kann durch schlechte Pflege Wurzelkaries entstehen. Wird nichts dagegen unternommen, kann die Karies auf den Restzahn unter der Krone übergehen, was letztlich zum Verlust der Krone führt.“ Ebenfalls zum zu frühen Verlust von Restzahn und Krone kann Parodontitis führen, die Zahnfleischentzündung, die auch auf unzulängliche Pflege zurückgeht.
Brücke
Ist ein Zahn durch Krankheit oder einen Unfall verloren gegangen, und sind auch die nebenstehenden Zähne bereits beschädigt, „bietet sich eine Brücke an, um den fehlenden Zahn zu ersetzen“, sagt Watzek. „Dabei werden die Zähne neben der Lücke so überkront, dass sie sozusagen Brückenpfeiler bilden, und in die Mitte setzt man einen künstlichen Zahn.“ Der Vorgang des Einsetzens ist ähnlich wie beim Setzen von Kronen: Erst werden die Brückenpfeiler beschliffen, danach wird ein Abdruck gemacht. Dann werden die beschliffenen Zähne mit einem Provisorium geschützt, anschließend folgt die Fertigung des Zahnersatzes beim Zahntechniker. Schließlich wird die Brücke eingesetzt. „Mit ihr kann man heute nicht mehr nur einen Zahn ersetzen, sondern dank der ausgefeilten Fertigungstechnik auch mehrere fehlende Zähne“, sagt Watzek.
„Für Brücken wird heute ebenfalls Zirkon, also Keramik, verwendet und fallweise Kunststoff.“ Der Ersatz hält viele Jahre lang. Die Lebensdauer verkürzt sich, wenn unter der Brücke Wurzelkaries oder Parodontitis auftreten. „Beides kann aber durch eine sorgsame Pflege verhindert werden“, sagt Watzek.
Teilprothese
Herausnehmbare und fixe Teilprothesen erfüllen dieselbe Aufgabe wie Brücken. „Sie füllen eine Lücke oder mehrere nebeneinander liegende Zahnlücken“, sagt Watzek. Aufgrund des Fortschritts bei der Produktion von Teilprothesen hat man im Bereich der Prothese mehr Kaukraft als früher zur Verfügung: Fast so viel, wie sie auch Brücken, Kronen, Veneers und ein natürliches Gebiss bieten.
Außerdem ist die Zahnreihe, die mit einer Teilprothese saniert wurde, heute kaum vom Naturzustand zu unterscheiden, da auch für diesen Zahnersatz hochwertige Keramik- und Kunststoffsorten verwendet werden. Watzek: „Befestigt werden herausnehmbare und fixe Teilprothesen meist mit Metallklammern an den nebenstehenden Zähnen.“ Die Haltbarkeitsdauer von Teilprothesen liegt bei etwa zehn Jahren.
Vollprothese
Die herausnehmbare Vollprothese ersetzt, wie der Name schon sagt, alle Zähne, die aufgrund von Krankheiten der Zähne oder des Zahnhalteapparats bzw. anderer Erkrankungen oder eines Unfalls verloren gingen. Auch sie hat dank moderner Fertigung und modernen Materialien an Qualität gewonnen. „Die Vollprothese kann heute präziser denn je auf die Kieferform und andere individuelle Gegebenheiten wie Bisskräfte und Bissrichtungen abgestimmt werden“, sagt Watzek. Diese genaue Abstimmung und hochwertige Materialien aus Keramik und Kunststoff bieten hohen Tragekomfort.
Halt gibt den Totalprothesen die Saugwirkung, die über den Gaumen wirkt. Für die Reinigung muss sie allerdings – wie ihr Vorgängermodell von Oma und Opa – herausgenommen werden.
Implantat
Mit einem Implantat und einer darauf verankerten Krone kann eine Zahnlücke gefüllt werden, ohne die Nachbarzähne zu beschädigen. „Und man kann mit Implantaten auch das gesamte Gebiss ersetzen“, sagt Watzek. Ist der Zahnhalteapparat gesund, besteht also keine Zahnfleischentzündung und leidet der künftige Implantat-Träger nicht an Knochenschwund, werden die Implantate heutzutage gleich nach der Entfernung des natürlichen Zahns bzw. Restzahns eingesetzt. Müssen erst Entzündungen abheilen oder Knochen neu aufgebaut werden – was durch bestimmte Medikamente beschleunigt werden kann –, wartet man ein halbes bis zu einem Jahr mit dem Implantieren.
Das Prozedere der Herstellung ähnelt jenem der Produktion anderer Arten von Zahnersatz. Als Vorbild für Implantatkronen dienen die natürlichen Zähne bzw. Restzähne, von denen ein Abdruck gemacht wird. Die Implantatkronen werden vom Zahntechniker „aus immer besseren Materialien“ gefertigt: „Die Verbesserungen bestehen darin, dass die Materialien jener Substanz immer mehr ähneln, aus denen die eigenen Zähne bestehen, und weicher als früher, dabei aber auch stabiler sind“, sagt Watzek.
Die Implantatkronen, die auf dem Implantat im Kieferknochen befestigt werden, sehen aus wie eigene Zähne, leisten auch fast so viel wie diese, wenn es um die Kaukraft geht, und haben eine lange Lebensdauer. Watzek: „Die modernen Implantatkronen aus Keramik oder Kunststoff halten bei entsprechender Pflege viele Jahre.“
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Zahnersatz der Zukunft
- Zahnersatz der Zukunft will dem natürlichen Gebiss noch näher kommen. In diesem Sinne bereits Gegenwart ist die Entnahme von Weisheitszähnen oder auch anderen Zähnen zwecks Verpflanzung in Zahnlücken. Univ. Prof. DDr. Georg Watzek: „Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Wachstum der Wurzeln der Zähne noch nicht abgeschlossen ist, die Patientin bzw. der Patient also nicht älter als 20 Jahre ist.“ Der Grund: Noch nicht vollständig ausgebildete Wurzeln wachsen sehr oft im Knochen ein und sorgen dafür, dass der Zahn die Lücke stabil füllt.
- Als nicht zielführend erwiesen hat sich derselbe Versuch mit Milchzähnen. Für eine erfolgreiche Transplantation ist auch hier Voraussetzung, dass die Wurzel noch nicht ausgewachsen ist. Die Milchzähne so lange aufzubewahren, bis sie als Lückenbüßer gebraucht werden, ist aber sehr aufwendig. Darüber hinaus sind Milchzähne weniger stabil als Folgezähne. Die Gefahr, dass sie z. B. durch Karies rasch zum Problemfall werden – und ebenfalls wieder ersetzt werden müssen, ist groß.
- Die Züchtung von Zahnersatz aus Stammzellen wird bis auf Weiteres eine Zukunftsvision bleiben. Diesbezügliche, zuletzt großangelegte Versuche bezeichnet Watzek wegen des enormen Aufwands bei mäßigem Erfolg als gescheitert.
- In manchen Zahnkliniken bereits Gegenwart ist ein Ersatz des für viele Patienten unangenehmen Abdrucks, der für die Fertigung von Zahnersatz notwendig ist. „Man kann das vorhandene natürliche Gebiss auch scannen“, sagt Watzek. Dabei wird ein spezieller Scanner über die Zahnreihen geführt, der die Zähne abbildet. Für Patienten ist das so, als würden ihre Zähne fotografiert – also absolut beschwerde- und schmerzfrei.
- Ebenfalls für zukunftsträchtig hält Watzek die gegenwärtig bereits in Einzelfällen praktizierte Methode, die man bei Knochenschwund im Kieferknochen anwendet, damit Implantate gesetzt werden können. „Durch die Gabe bestimmter Hormone kann man das Wachstum des Kieferknochens gezielt dort beschleunigen, wo es gebraucht wird“, erklärt Watzek. Ist der Knochen dichter, ist auch die Gefahr geringer, dass gesetzte Implantate herausfallen.
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Die Dritten von anno dazumal
- Schon um 2500 vor unserer Zeitrechnung haben die Menschen in Ägypten sowie im griechischen, etruskischen und römischen Kulturraum versucht, Lücken in den Zahnreihen zu füllen. Die Dritten von anno dazumal bestanden aus Tierzähnen oder geschliffenen Knochen und wurden mit Fäden an den nebenstehenden Zähnen befestigt. Kauen konnte man damit freilich nicht, der Ersatz diente lediglich der Schönheit. Mit zurechtgeschnitzten Zähnen von Elefanten, Nilpferden und Walrössern, die mit Fäden oder Drähten an den noch vorhandenen Zähnen befestigt wurden, behalfen sich die Menschen im Mittelalter. Eine damals ebenfalls gängige Praxis war der Ersatz eigener Zähne durch die Zähne von Verstorbenen – nicht nur von Verwandten: Noch im Krimkrieg, der von 1853 bis 1856 andauerte, wurden die Zähne der Leichen entfernt und gesammelt, um sie später Lebenden einzusetzen. Wobei auch diese Art des Zahnersatzes mehr dem guten Aussehen diente – Biss- und Kaukraft ließen zu wünschen übrig.
- 1764 wurde die erste Goldkrone produziert und gesetzt. Damals kostete diese Methode sehr viel Geld und blieb daher nur sehr wenigen Begüterten vorbehalten. Wer es sich leisten konnte, ließ sich auch eine Vollprothese fertigen, die aus Gold- und Schildpattzähnen bestand. Die Zahnreihen versuchte man mit Drahtfedern und -gelenken möglichst gut im Ober- und Unterkiefer zu befestigen. Dennoch waren die Prothesen oft locker oder fielen heraus. Um 1820 wurden Prothesenbasen aus Zinn hergestellt. Diese waren preisgünstiger als die Basen in der Gold-Schildpatt-Variante. Weil sie aber zu schwer für den Einsatz am Oberkiefer waren, konnten die Zähne auf Zinnbasis nur im Unterkiefer verwendet werden. Deswegen kehrten die Produzenten wieder zum Ersatz durch Nilpferdzähne zurück, ehe Porzellan als Material für Zahnersatz entdeckt wurde. Doch konnten sich auch Porzellanzähne und -prothesen nur die wenigsten leisten.
- Ab 1855 wurde Zahnersatz auch aus einer Mischung aus Kautschuk und Schwefel hergestellt – damit wurden die Dritten auch für breitere Bevölkerungsschichten erschwinglich. Sie gelten daher als die ersten Sozialprothesen – die sich bis in die 1970-er Jahre hinein hielten.
- 1908 wurde nach vielen Experimenten der erste brauchbare Kunststoff erfunden, ein Material, das sich für vieles anbot, auch für die Herstellung von Prothesen. Wegen des Mangels an Naturkautschuk im Zweiten Weltkrieg wurde die Kautschuk- mehr und mehr von der Kunststoffprothese verdrängt. Sie war für sehr viele Zahnlose erschwinglich, leicht zu tragen und bequem zu handhaben.