Kranke Zähne, kranker Mensch

Oktober 2010 | Medizin & Trends

Achtung: Parodontitis kann schwerwiegende Folgen haben
 
80 Prozent aller Menschen über 40 Jahren haben nach Schätzungen irgendwann in ihrem Leben einen entzündeten Zahnhalteapparat. Umso alarmierender sind aktuelle medizinische Erkenntnisse, die zeigen: Nicht nur die Mundgesundheit ist durch Parodontitis gefährdet, sondern die Gesundheit des Menschen insgesamt. So kann die Erkrankung nachweislich Diabetes Typ-II begünstigen, das Risiko für Schlaganfall oder Herzinfarkt erhöhen und zu Frühgeburten führen. MEDIZIN populär über die unterschätzte Gefahr, wie man sie erkennt und bannt.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Das Zahnfleisch ist geschwollen, dunkelrot verfärbt und blutet immer wieder? Der Mundgeruch lässt nicht mehr nach? Die Zähne fühlen sich irgendwie locker an? „Bei diesen Beschwerden sollte man keinesfalls abwarten und darauf hoffen, dass sie wieder verschwinden, sondern sich von einem Zahnarzt untersuchen lassen“, sagt Univ. Prof. DDr. Peter Solar, Facharzt für Mund- und Kieferheilkunde in Wien, der sich auf Parodontologie, die Lehre vom Zahnhalteapparat, spezialisiert hat. Denn, so Solar weiter: „Die genannten Symptome deuten darauf hin, dass eine Parodontitis besteht. Das heißt, dass nicht nur das Zahnfleisch entzündet ist, sondern der gesamte Zahnhalteapparat, also auch das nicht sichtbare Gewebe, das den Zahn direkt umgibt, und der zahntragende Kieferknochen.“
Wie es so weit kommen kann? „Die Ursache für die Entstehung von Parodontitis ist in den allermeisten Fällen ein Hygiene-Problem“, sagt Solar. „Die Betroffenen putzen die Zähne zu selten, zu kurz oder ihre Putztechnik ist zu schlecht, um eine gute Reinigung zu erzielen, und sie gehen auch selten oder nie zu einer Mundhygiene-Behandlung.“ Ein bis zwei Prozent der Parodontitis-Patienten hätten zusätzlich Pech: „Es gibt Menschen, die minimale genetische Variationen haben, die die Entstehung von Entzündungsreaktionen im Allgemeinen und so auch im Mundraum stark begünstigen, sie sind also besonders anfällig für Parodontitis“, sagt Solar.

Über die Zähne in den Blutkreislauf

Von der Entzündung des Zahnhalteapparats sind nach Schätzungen weltweit und auch in Österreich 80 Prozent aller Menschen über 40 Jahren irgendwann einmal in ihrem Leben betroffen. Parodontitis ist damit nach der Karies, die nahezu jeder einmal hatte oder hat, die zweithäufigste Zahnerkrankung – bei Menschen im Erwachsenenalter ist sie sogar die häufigste. Während die Karies meist schmerzhaft wird, deswegen auch meistens rasch diagnostiziert und entsprechend therapiert wird, ohne dass es zum Zahnverlust und anderen schlimmen Folgen kommt, verläuft die Parodontitis nahezu schmerzfrei. Die ersten Anzeichen wie Zahnfleischbluten oder Anschwellen des Zahnfleisches werden oft nicht ernst genug genommen, um sich in Behandlung zu begeben. Dabei kann die Volkskrankheit Parodontitis nicht nur wie die Volkskrankheit Karies schlimmstenfalls zum Zahnverlust führen, sondern birgt abgesehen davon noch weitere Gefahren in sich. Und zwar nicht nur für die Mundgesundheit, sondern für die Gesundheit des Menschen insgesamt – und mitunter für sein Leben.
Denn, wie Solar erklärt: „Wenn der gesamte Zahnhalteapparat entzündet ist, bedeutet das, dass aggressive Bakterien, Pilze und Viren im Spiel sind, die über den Zahnhalteapparat in den Blutkreislauf gelangen und in anderen Bereichen des Körpers Entzündungen und Schwellungen der Blutgefäße auslösen.“

Diabetes, Schlaganfall, Herzinfarkt

Dies kann fatale Folgen haben: Durch die Entzündungsvorgänge in den Blutgefäßen kann der Zucker aus der Nahrung nicht so wie vorgesehen vom Blut aufgenommen und verarbeitet werden. So besteht die Gefahr, dass eine mehr oder weniger ausgeprägte Insulinresistenz entsteht und die Erkrankten zu Typ-II-Diabetikern werden. „Wenn diese erworbene Zuckerkrankheit bereits besteht, verschlimmert Parodontitis erwiesenermaßen die Erkrankung“, sagt Solar.
Weil die Bakterien, Viren und Pilze, die ausgehend vom Mund durch den Körper wandern, in den Blutgefäßen auch zu Schwellungen und damit Verengungen der Blutgefäße führen, kann der Blutfluss zum Stocken kommen. Passiert das in den Herzkranzgefäßen und im Gehirn, kann es zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall kommen. So wird Parodontitis zur Lebensgefahr.

Frühgeburt, Lungenentzündung, Osteoporose

Die Mechanismen, die durch die Parodontitis in Gang gesetzt werden, bringen aber auch Prozesse im Blut durcheinander, die den Hormonhaushalt beeinflussen. Solar: „Wir wissen, dass bei betroffenen Frauen die Produktion des weiblichen Geschlechtshormons Östrogen behindert und verringert wird, was bei schwangeren Frauen das Risiko  für Frühgeburten bis zum  Achtfachen erhöht.“
Experten haben schließlich noch einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Lungenentzündungen und Osteoporose festgestellt. „Die neuen Erkenntnisse unterstreichen die Wichtigkeit einer Parodontitis-Therapie“, sagt Solar.

Bündel an Maßnahmen

Die Parodontitis-Therapie besteht aus einem ganzen Bündel an Maßnahmen. „Bei einer Parodontitis-Behandlung wird der Biofilm aus Bakterien, Pilzen und Viren aus der Tasche zwischen dem Zahnfleisch und dem Zahn mit einer Kürette, einem sehr feinen Metallstab, herausgekratzt“, erklärt Solar. Nächste Schritte sind die Desinfektion des entzündeten Areals per Laser oder mit Ozongas und die Untersuchung der Erreger im Labor. So soll festgestellt werden, ob die Bakterien im Biofilm so aggressiv sind, dass eine nachfolgende Behandlung mit Antibiotika notwendig ist. „Was jedenfalls notwendig ist, ist die nachfolgende Mitarbeit der Betroffenen“, sagt Solar. Um ein Wiederaufflammen der Parodontitis zu verhindern, müssen sie sich um eine optimale Mundhygiene kümmern. Solar: „Das heißt, täglich mindestens einmal sechs Minuten lang die Zähne und Zahnzwischenräume putzen bzw. mit Zahnseide reinigen und alle drei bis vier Monate zur Mundhygiene gehen.“
Bei einer Nachuntersuchung nach zwei bis drei Wochen wird ein Marker in Form eines Papierstreifens in den Zwischenraum zwischen Zahnfleisch und Zahn eingeführt. So lässt sich feststellen, wie viele Erreger sich dort noch befinden. Gegebenenfalls wird das Herauskratzen und Desinfizieren wiederholt – ein Prozedere, das laut Solar schmerzfrei ist.  
Tritt die Entzündung des Zahnhalteapparats trotz der geschilderten Maßnahmen erneut auf, dann ist das wieder auf mangelnde Mundhygiene zurückzuführen. Solar: „Bei einer Wiederkehr der Parodontitis sollte man sich wie auch schon beim ersten Auftreten ebenfalls so rasch wie möglich behandeln lassen.“ Tut man das nicht, so droht der Zahnverlust, weil die Erreger irgendwann nur noch zu entfernen sind, wenn zuvor der befallene Zahn entfernt wird.

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Parodontale Grunduntersuchung

Bei der Parodontalen Grunduntersuchung wird mit einer Kürette, einem feinen Metallstab geprüft, wie tief der Spalt zwischen Zahnfleisch und Zahn ist. Kann man mit der Kürette vier und mehr Millimeter in den Spalt eindringen, besteht der Verdacht auf Parodontitis.

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