Medizin & Trends

Leben mit Depressionen

„Ich konnte nicht einmal mehr zusammenräumen“
 
Vor elf Jahren wurden bei Gerti Kossek Depressionen diagnostiziert. Im Interview mit MEDIZIN populär erzählt die heute 61-Jährige Wienerin, wie sich seither ihr Leben verändert hat.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

MEDIZIN populär
Frau Kossek, Sie waren 50 Jahre alt, als bei Ihnen Depressionen diagnostiziert wurden. Wie hat sich die Krankheit geäußert?

Gerti Kossek
Auf verschiedene Art und Weise. In der Zeit kurz vor der Diagnose konnte ich daheim nicht einmal mehr zusammenräumen. Aber ich habe mir gedacht, ich bin halt faul, und war der Meinung, dass dieser Zustand schon wieder vergehen wird. Ich habe mir aber auch beim Lesen oder Rätsellösen schwer getan, weil meine Gedanken dabei immer abgeschweift sind und sich andauernd um alles Negative gedreht haben, was ich in meinem Leben erlebt habe. Aber sogar das habe ich für normal gehalten, weil ich zwei Scheidungen, eine schwere Krankheit und eine Vergewaltigung hinter mir hatte.
Ich war in meinem damaligen Beruf als Postbeamtin wegen dieser „Ich-kann-nicht-mehr-Zustände“, Kopfschmerzen, Magenschmerzen oder Muskel- und Gelenksschmerzen oft im Krankenstand. Das Schlimmste waren aber die Panikattacken in der Nacht. Da bin ich aufgewacht, und mir war komisch zumute, und ich habe gedacht, ich bekomme gleich einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt und muss sterben. Manchmal hatte ich richtige Todesangst.

Und deswegen sind Sie dann zum Arzt?
Ich war davor schon zur Untersuchung und Beobachtung im Spital. Dort ist mir gesagt worden, dass ich nicht gefährdet bin, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen, dass alle meine Symptome auf Ängste zurückzuführen sind und ich mich daher einer Psychotherapie unterziehen soll. Dann hat mich eine Bekannte in eine Selbsthilfegruppe für Depressive zu „pro mente“ mitgenommen. Dort haben die Leute erzählt, wie sich die Depressionen bei ihnen äußern, und als ich das alles gehört habe, musste ich ziemlich oft denken: Das habe ich ja auch! Ich wollte aber zuerst nicht daran glauben und bin erst einige Zeit später zu einem Arzt gegangen. Der hat dann die Depressionen diagnostiziert. Er hat mir außerdem gesagt, dass meine sonstigen Beschwerden auf die Depressionen zurückzuführen sind und mir eine Psychotherapie verordnet, die ich auch gemacht habe.

Hat Ihnen die Psychotherapie geholfen?
Ja, sehr – so sehr, dass ich keine Angst mehr vor den Panikattacken hatte, wodurch die Attacken schließlich weniger geworden sind. Außerdem war ich durch die Psychotherapie wieder im Stande, zu lesen, mich mehr um meine Bedürfnisse zu kümmern und nicht mehr wie vorher nur wie ein Roboter die Rollen als Mutter, Ehefrau, Haushälterin und Postbeamtin auszufüllen.  

Wurden Ihnen auch Medikamente verschrieben?
Im Jahr 2005 hat mir mein Arzt dazu geraten, zusätzlich zur Psychotherapie ein Antidepressivum zu nehmen. Seit ich das mache, geht es mir noch besser. Das Medikament hat mich dazu gebracht, dass ich wieder öfter zusammenräumen kann, und auch meine psychosomatisch bedingten Schmerzen sind weg. Ich blicke sogar optimistisch in die Zukunft und freue mich auf das Schöne, das ich erleben werde. Und ich habe Seminare für Leiter von Selbsthilfegruppen besucht, um andere Betroffene unterstützen zu können.  

Meinen Sie, dass Ihre negativen Erlebnisse die Krankheit ausgelöst haben?
Die haben dabei sicher die größte Rolle gespielt. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass die Neigung zu Depressionen bei uns in der Familie liegt. Denn auch meine Mutter war psychisch krank.

Glauben Sie, dass Sie die Depressionen irgendwann auch ohne Medikamente und Psychotherapie im Griff haben werden?
Das glaube ich nicht. Aber ich werde weiterhin versuchen, mein Leben so schön zu gestalten wie möglich. Denn ich habe nur dieses eine Leben, und ich liebe es. Und das Medikament wird mir dabei helfen.

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