Schlanker Oberkörper, schmale Taille, dicke Beine: Etwa jede 20. Frau mit so einer Figur leidet an einer angeborenen Fettverteilungsstörung, der Krankheit der dicken Beine, Lipödem genannt, der mit Diäten und Sport nicht beizukommen ist. Woran das liegt und was gegen die verkannte Frauenkrankheit hilft.
Von Mag. Sabine Stehrer
Bei den meisten beginnt es in der Pubertät, bei anderen in der Schwangerschaft, bei wieder anderen in den Wechseljahren: Der Körper von der Hüfte abwärts wird auf einmal dick. Fettgewebe sammelt sich an den Oberschenkeln. Sogenannte Reiterhosen können entstehen, die Unterschenkel werden stämmig. Und bei manchen setzt sich der Prozess der Fettentwicklung obendrein noch an den Armen fort. Schätzungsweise jede 20. Frau mit so einer Figur leidet an einer Fettverteilungsstörung, der Krankheit der dicken Beine, die Mediziner Lipödem nennen. „Der Leidensdruck der Betroffenen ist groß“, wissen Dr. Matthias Sandhofer, ästhetischer Dermatologe in Linz und Prim. Dr. Christian Ure, Vorstand der Lymphklinik am LKH Wolfsberg, die sich auf die Behandlung von Lipödem spezialisiert haben. „Manchmal sogar so groß, dass sie sich zurückziehen, psychische Störungen entwickeln, depressiv werden.“ Dafür gibt es neben der Unzufriedenheit mit der Entwicklung der eigenen Figur und der Scham für das Aussehen noch einen weiteren Grund: Die Tatsache, dass die Krankheit, von der fast ausschließlich Frauen betroffen sind, so verkannt ist. „Lipödem-Patientinnen wird vielfach unterstellt, dass sie undiszipliniert sind, zu viel essen und sich nicht bewegen, oft werden sie gemobbt“, erklärt Sandhofer und ergänzt: „Dabei betreiben die meisten sogar viel Sport und schränken sich beim Essen ein, um die Fettansammlungen wieder loszuwerden.“
Lymphdrainagen, Strümpfe und OP helfen
Doch mit Diäten und Sport ist dem Lipödem nicht beizukommen. Was kann man gegen die Krankheit tun? Ure: „Zunächst empfiehlt sich eine Therapie zur Entstauung.“ Dafür eignen sich manuelle Lymphdrainagen und das Tragen von Kompressionsstrümpfen. So kann vielfach das Fortschreiten der Krankheit verhindert werden, manchmal lässt sich sogar der Umfang der Extremitäten etwas mindern. Nützt die Kombination aus Strümpfen und Lymphdrainagen auch nach ein, zwei Jahren nichts, raten die Mediziner Betroffenen zu einer speziellen Operation. „Mit einer lymphschonenden Fettabsaugung ist den Frauen rasch geholfen“, weiß Sandhofer. Der Eingriff wird ambulant unter Dämmerschlaf durchgeführt und ist schmerzfrei – die Kosten müssen allerdings meist selbst getragen werden. Doch nach der OP bilden sich keine neuen Fettzellen mehr. Und dann hat der Leidensweg der Lipödem-Patientinnen ein Ende – zumindest wenn noch keine Begleiterkrankungen aufgetreten sind. Häufig entwickeln sich bei Lipödem zusätzlich noch Krampfadern. Oft erkranken Lipödem-Patientinnen auch an Hashimoto-Thyreopathie, einer Entzündung der Schilddrüse, die zur Schilddrüsenunterfunktion führt. Diese bringt wiederum mit sich, dass der Grundumsatz bzw. Bedarf an Kilokalorien zurückgeht und die Frauen selbst dann, wenn sie weniger essen, zunehmen. Mit den Jahren entwickeln sich aufgrund der Fettansammlungen oft auch noch orthopädische Probleme, Fußfehlstellungen, Knieschäden. Im Alter sind viele Lipödem-Patientinnen gehbehindert, werden frühzeitig pflegebedürftig.
Von der Oma oder Mutter geerbt
Verursacht wird die Krankheit durch einen autonomen Prozess: Der Körper produziert zu viel Lymphe, und in der Lymphe bilden sich fortlaufend neue Fettzellen. Zum einen wird dies wohl durch Gene in Gang gesetzt: Oft wird das Lipödem von der Oma oder der Mutter geerbt. Zum anderen spielen die weiblichen Sexualhormone Östrogene und Gestagene eine Rolle bei der Entwicklung der Fettansammlungen, weshalb die Fettverteilungsstörung in Zeiten hormoneller Veränderungen, wie eben der Pubertät, der Einnahme der Pille, einer Schwangerschaft oder der Wechseljahre zutage tritt und sich verstärkt.
Webtipp:
Selbsthilfegruppe Lipödem
https://chronischkrank.at/verein/unsere-selbsthilfegruppen/lipoedem/
Stand 06/2016