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Schmerz, lass nach!

Erste Hilfe bei häufigen Schmerzen
 
Kopfweh, Rückenschmerzen, Bauchweh, Gelenkschmerzen: Daran leidet jeder im Lauf seines Lebens irgendwann einmal. Welche Ursachen die Qualen haben können, wie die beste erste Hilfe aussieht – und wann es Zeit ist, einen Arzt aufzusuchen: Darüber informiert Prim. Univ. Prof. DDr. Mag. Anton Wicker, Vorstand der Universitätsklinik für physikalische Medizin und Rehabilitation der Salzburger Landeskliniken.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Der Kopf tut weh?
Es zieht, sticht, spannt, pocht, brummt im Kopf? Als Ursachen für die verschiedenen Kopfschmerzarten kommen viele in Frage, weiß Prim. Univ. Prof. DDr. Mag. Anton Wicker. „Auslöser können zum Beispiel Flüssigkeitsmangel oder Schlafmangel sein, auch das Wetter, übermäßiger Alkoholkonsum, längere Aufenthalte in schlechter Luft oder Stress.“ Auf derlei gehen 90 Prozent aller Kopfschmerzen zurück – sie werden primäre Kopfschmerzen genannt. Die übrigen Kopfschmerzen, sogenannte sekundäre Kopfschmerzen, treten als Begleiterscheinung einer anderen Erkrankung auf.

die beste erste Hilfe
Wicker: „Wenn man ein- bis zweimal im Monat vorübergehend Kopfschmerzen hat, nimmt man am besten eine Kopfschmerztablette.“ Da oft Flüssigkeitsmangel hinter den Beschwerden steht oder diese mitverursacht, hilft es auch, viel Wasser zu trinken.

dann zum Arzt
Treten die Schmerzen drei-, vier-, fünfmal im Monat oder noch öfter auf, ist die Selbstbehandlung mit Kopfschmerztabletten keine gute Idee: So häufig eingenommen können die Tabletten selbst Kopfschmerzen verursachen. Dann ist es Zeit, einen Arzt aufzusuchen und sich untersuchen zu lassen, rät Wicker. „Häufige Kopfschmerzen können ein Hinweis auf eine beginnende Erkrankung an Migräne oder auf eine Entzündung sein, schlimmstenfalls auf einen Tumor.“
Treten Kopfschmerzen plötzlich und sehr heftig auf und hat man gleichzeitig andere Beschwerden wie Lähmungserscheinungen oder Sehstörungen, heißt es, den Notarzt rufen: Ein Riss von Gefäßen im Gehirn oder ein Schlaganfall könnte die Ursache sein.

Der Rücken schmerzt?
Es zwickt, zieht, spannt im Rücken? Laut Wicker der dafür häufigste Grund: Muskelschwäche, die zu Fehlhaltungen und in der Folge zu schmerzhaften Muskelverspannungen führt.

die beste erste Hilfe

„Die beste erste Hilfe gegen Rückenschmerzen, die auf Muskelverspannungen zurückgehen, ist Bewegung“, so Wicker. „Oft reicht schon ein Spaziergang aus, um die Schmerzen los zu werden.“ Auch gut: Wärmeanwendungen, zum Beispiel in Form von wärmenden Umschlägen oder einem Saunabesuch. Des Weiteren hilfreich: Lockere Massagen oder Einreibungen mit schmerzstillenden Gelen oder Salben, auch kortisonfreien, entzündungshemmenden Produkten. Letztere sind allerdings nichts für den Dauergebrauch, warnt Wicker: Ständig über einen langen Zeitraum angewendet, können sie zu Magenproblemen und Nierenerkrankungen führen. Mittel- und langfristig wird man die Verspannungen im Rücken nur mit regelmäßiger Rückengymnastik oder einem Krafttraining los. Beides dient dazu, die Rückenmuskulatur zu bewegen und aufzubauen: Eine stärkere Rückenmuskulatur hilft dabei, Fehlhaltungen und schmerzhafte Verspannungen zu vermeiden.

dann zum Arzt

Wenn Rückenschmerzen tagelang anhalten und stärker werden, heißt es auf zur Untersuchung und Behandlung durch den Arzt. Wirbeleinbrüche, Entzündungen von Gewebe oder Gewebeveränderungen wie die Bildung von Zysten oder Tumoren können diesfalls die Ursache sein.  
Sofort zum Arzt sollte man, wenn Rückenschmerzen plötzlich heftig einschießen, mit Taubheitsgefühlen oder Lähmungserscheinungen in den Beinen verbunden sind. Dann steckt möglicherweise ein Hexenschuss oder ein Bandscheibenvorfall dahinter.

Die Gelenke schmerzen?
Es zieht, sticht, brennt im Knie, in der Hüfte, der Schulter? Der weitaus häufigste Grund für Gelenkschmerzen sind Arthrosen, Gelenkabnutzungen bedingt durch Knorpelschäden, so Wicker.

die beste erste Hilfe
Kühlende Auflagen oder schmerzstillende Gele oder Salben, auch entzündungshemmende, kortisonfreie Produkte, die aber nicht dauerhaft verwendet werden sollten. Mittel- und langfristig hilft gegen Gelenkschmerzen nur ein Training, mit dem Muskeln aufgebaut werden, die das Gelenk stützen, und das zusätzlich das betroffene Gelenk bewegt: Durch die Bewegung werden Knochen und Knorpel mit Gelenkflüssigkeit umspült, was eine weitere Abnützung verzögert und vor Schmerzen schützt.

dann zum Arzt
Sind die Schmerzen sehr stark, treten sie häufig auf und schränken sie die Bewegungsmöglichkeiten ein, heißt es auf zum Arzt. Dann kann zum Beispiel eine Gelenkentzündung bedingt durch eine entzündliche rheumatische Erkrankung hinter den Beschwerden stecken.

Der Bauch tut weh?
Es drückt, sticht, zieht im Bauch? „Bauchweh ist sehr oft darauf zurückzuführen, dass zu viel oder etwas Falsches gegessen wurde“, so Wicker. Eine schmerzhafte Verstopfung, Durchfall oder Erbrechen  ist häufig die Folge. Auch vor oder während der Regelblutung treten oft Bauchschmerzen auf.

die beste erste Hilfe
Liegen Bauchschmerzen an falschem oder zu vielem Essen, hilft es, länger nichts zu essen und viel Wasser zu trinken. Außerdem gut: Eine Wärmflasche auflegen. Letzteres ist auch ein ideales Mittel gegen Regelschmerzen.    

dann zum Arzt
Halten Bauchschmerzen länger als ein bis zwei Tage an oder werden sie durch die Wärmeanwendung stärker, sollte man zum Arzt, um sich untersuchen zu lassen. In dem Fall könnten laut Wicker eine Blaseninfektion, eine Blinddarmentzündung oder eine Magen- oder Nierenerkrankung hinter den Schmerzen stecken. Schnell zum Arzt heißt es, wenn die Schmerzen plötzlich auftreten und stark sind: Nieren-, Magenerkrankungen oder eine Gallenblasenentzündung können dann die Ursache sein. Ging den Schmerzen ein Unfall voran, und ist man dabei mit dem Bauch auf etwas geprallt, auch ein Milzriss.

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INTERVIEW

MEDIZIN populär
Wie wird ein akuter Schmerz zu einem chronischen Schmerz?

Prim. Dr. Rudolf Hanslik
Schmerz empfinden wir, wenn Schmerzreize über die Schmerzsensoren, die Nerven und das Rückenmark in das Gehirn weitergeleitet werden, um uns zu warnen, beispielsweise auf eine Verletzung aufmerksam zu machen. Werden ständig Schmerzreize an das Gehirn weitergeleitet, kann es dazu kommen, dass die Gehirnzellen, die für die Schmerzwahrnehmung da sind, auch dann noch ein Schmerzempfinden auslösen, wenn die Ursache für den primären, akuten Schmerz beseitigt ist. So bleibt der Schmerz eigenständig bestehen.

Ab wann werden Schmerzen als chronisch bezeichnet?
Wenn sie länger als sechs Monate anhalten oder länger anhalten, als es dem ursprünglichen Schmerz zusteht.

Wie viele Österreicher leiden an chronischen Schmerzen?
Nach Angaben der Österreichischen Schmerzgesellschaft rund 1,5 Millionen.   

Welche Schmerzen machen den meisten Menschen zu schaffen?
Um das 25. Lebensjahr ist unter den chronischen Schmerzarten der Spannungskopfschmerz der häufigste, um das 35. Lebensjahr sind es die Migräneschmerzen. In der Altersgruppe der 45- bis 55-Jährigen sind chronische Rückenschmerzen nach Bandscheiben-Operationen am meisten verbreitet, in jener der 65- bis 75-Jährigen Tumorschmerzen. Über 75-Jährige leiden häufig an dauerhaften Schmerzen, die durch Arthrose, also Gelenkverschleiß, durch Osteoporose, den Knochenschwund, und neuropathische Schmerzen, Nervenschmerzen, bedingt sind. In allen Altersgruppen häufig sind Rücken- und Nackenschmerzen.

Wie viel Zeit vergeht, bis sich Schmerzpatienten an einen Schmerzspezialisten wie Sie wenden?
80 bis 90 Prozent aller Schmerzpatienten wenden sich nie an einen Schmerzspezialisten, da es in ihrer Nähe keinen gibt. In Österreich sind Schmerzambulanzen oder Schmerzzentren vergleichsweise sehr dünn gesät. Auch sind viele Betroffene der Meinung, dass sie mit dem Schmerz leben müssten. Doch das stimmt nicht: Mit Schmerzen muss man nicht leben, man kann sie gut behandeln.

Wie werden Schmerzpatienten behandelt?

Wir Schmerzspezialisten betrachten und behandeln unsere Patienten ganzheitlich, also nach dem biopsychosozialen Modell. Daher ist die Therapie meist multimodal, besteht also in einem Therapiebündel aus drei bis vier Therapien, aus welchen, richtet sich nach der jeweiligen Problemlage. Anfangs sind aber immer Medikamente Bestandteil der Behandlung, manchmal Opioide als stärkste Schmerzmittel, und fast immer Psychopharmaka, da nahezu alle Patienten mit chronischen Schmerzen an Depressionen leiden und diese Medikamente auch Schmerzen hemmen können. Parallel nützen wir Schmerzspezialisten die breite Palette der physikalischen und manuellen Therapien, setzen also je nach Bedarf etwa eine Physiotherapie, eine Sporttherapie oder eine Ergotherapie ein, eine Elektrotherapie, Wärme- oder Kältetherapien, Massagen. Wenn nötig, werden zudem invasive Verfahren angewendet, wie Nervenblockaden durch Infiltrationen. Fast immer Bestandteil der Behandlung ist eine Psychotherapie, bei der Methoden erlernt werden, besser mit dem Schmerz umzugehen, und auch nach möglichen psychischen Ursachen für den Schmerz gesucht wird. Stellt sich dabei heraus, dass soziale Veränderungen, wie ein Berufswechsel oder ein Pensionsantritt zur Schmerzreduktion beitragen könnten, hilft, sofern das nötig ist, außerdem ein Sozialarbeiter.

Werden auch komplementärmedizinische Methoden wie die Akupunktur oder Homöopathie angewendet?
Komplementärmedizinische Methoden haben bei der Behandlung eine geringe Wertigkeit. Als Ergänzung zur schulmedizinischen, multimodalen Therapie helfen sie aber vielleicht dem einen oder anderen.

Kann mit der multimodalen Therapie Schmerzfreiheit erreicht werden?
Es wird versucht, binnen drei bis vier Wochen der Therapie eine Schmerzreduktion um 50 Prozent zu erreichen. Das bedeutet für die Patienten bereits eine große Erleichterung. Grundsätzlich gilt: Der Therapieerfolg ist umso größer, je früher nach dem Auftreten und je stärker die Schmerzen anfangs behandelt wurden. 

Welche Nebenwirkungen sind zu erwarten?
Oft nehmen die Patienten aufgrund weiterer Erkrankungen mehrere Medikamente ein. Aufgabe des Schmerzarztes ist es, Nebenwirkungen aufgrund von Wechselwirkungen zu vermeiden.

Können chronische Schmerzen von selbst vergehen?
Dass es dazu schon einmal gekommen wäre, habe ich noch nicht gehört.

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Was ist Schmerz?

Schmerz ist, so Prim. Univ. Prof. DDr. Mag. Anton Wicker, „ein Bewusstseinszustand“. Schmerz muss im Bewusstsein verankert werden, um seine Funktion, die Schutzfunktion, erfüllen zu können. Dies funktioniert, indem über die Schmerzsensoren, die der Mensch fast überall hat, der Schmerzreiz über die Nerven zum Hirn und dort durch den Thalamus, das Tor des Bewusstseins, geleitet sowie gespeichert wird.

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Welche sind die häufigsten chronischen Schmerzen?

  • Rücken- und Nackenschmerzen
  • Kopfschmerzen
  • Gelenkschmerzen
  • Nervenschmerzen
  • Schmerzen nach Bandscheiben-OP’s
  • Tumorschmerzen

Buchtipp:

Graninger, Hofmann, Kress,
Lampl, Likar, Ogris, Bauer

Schluss mit Schmerzen.
Strategien gegen Ihr Leiden
ISBN 978-3-901488-91-7
96 Seiten, € 12,90
Verlagshaus der Ärzte

Stand 05/2017

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