Mund & Zähne

An der Wurzel gepackt

Behandlungen des Wurzelkanals und der Zahnwurzelspitze beseitigen schmerzhafte Entzündungen und tragen wesentlich zur Zahnerhaltung bei.

von Mag. Wolfgang Bauer

Wer seine Zähne im Spiegel betrachtet, sieht sprichwörtlich nur die Spitze eines Eisberges. Ein Eisberg zeigt ja dem Betrachter nur einen kleinen Teil seiner Eismassen. Der größere Teil befindet sich unter Wasser, bleibt somit verborgen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Aufbau unserer Zähne. Das, was wir sehen oder mit der Zunge berühren können, die so genannte Zahnkrone, ist etwa halb so groß wie der unsichtbare Teil, die Zahnwurzel. Sie verläuft vom Zahnfleisch bis zum Kieferknochen, in dem ein Zahn verankert ist. Gerade dieser verborgene Bereich eines Zahns stellt in vielen Fällen eine schmerzhafte Problemzone dar, mit Folgen, die über den Mund hinausreichen und den gesamten Organismus betreffen können.

Harte Schale – sensibler Kern

Während die äußere Schicht der Zahnkrone, der Zahnschmelz, zu den härtesten Materialien des menschlichen Körpers zählt, bildet das Innere eines Zahns eine überaus sensible Zone. Dort befindet sich der Wurzelkanal, durch den der Zahnnerv sowie feinste Blut- und Lymphgefäße verlaufen. „Sie können sich den Aufbau eines Zahns wie einen Kugelschreiber vorstellen. Dieser besteht aus einer äußeren Hülle. Im Inneren befindet sich ein Hohlraum, das ist in unserem Fall der Wurzelkanal, durch den wiederum eine Mine führt – der Zahnnerv“, schildert der Wiener Zahnarzt Dr. Peter Brandstätter.

Ein Zahn besitzt je nach Art und Lage eine bis drei Zahnwurzeln ­– ein Schneidezahn verfügt über eine Wurzel, ein Mahlzahn über bis zu drei Wurzeln. Über die feinen Blutgefäße im Inneren erhalten die Zähne Nährstoffe, die zum Beispiel für ein funktionierendes Abwehrsystem von Bedeutung sind. „Wenn zum Beispiel bei Karies Bakterien in den Wurzelkanal vordringen, dann können diese Keime abgewehrt werden. Wenn jedoch zu viele Keime vorhanden sind, dann ist der Zahnnerv überfordert. Dann kann es zu Entzündungen oder zum Absterben des Zahnnervs kommen“, sagt Peter Brandtstätter.

Eindringende Bakterien

Damit ist bereits eine wesentliche Ursache einer Entzündung im Wurzelkanal genannt: Karies. Bakterien, die den Zahnnerv zerstört haben, können sich bis zur Spitze der Zahnwurzel ausbreiten. Etwa, weil sich die Keime über Risse und Fissuren an der Kauoberfläche Zugang in den Wurzelkanal verschafft haben. Auch Zahntraumata wie ein Sportunfall oder Füllungen, die undicht geworden sind, können eine Einlasspforte für Problemkeime darstellen.

Es kann vorkommen, dass die Betroffenen den Entzündungsprozess eine Zeit lang nicht wahrnehmen. Meistens verspürt man jedoch starke Schmerzen und ein unangenehmes Druckgefühl, wenn der Zahnnerv durch Bakterien geschädigt wird.

Peter Brandstätter: „Die Schmerzen treten häufig spontan auf, zum Beispiel während des Schlafs, wenn man mit der betroffenen Seite auf dem Kopfpolster liegt. Auch warme Getränke und Speisen verursachen Schmerzen. Wärme kann nämlich die Entzündung befeuern.“ Eine genaue Abklärung des Problems kann nur durch eine zahnärztliche Untersuchung erfolgen.

Spezielle Tests am betroffenen Zahn, etwa mit Kälte, Wärme oder feinem elektrischem Strom, liefern wichtige Hinweise, Röntgenbilder machen das Ausmaß der Entzündung sichtbar.

Die Wurzelkanalbehandlung

Abhilfe schafft eine so genannte Wurzelkanalbehandlung. Sie beseitigt die bakterielle Entzündung und die damit einhergehenden Schmerzen. Doch nicht nur das: Es profitiert der gesamte Organismus, wenn das entzündete Gewebe aus dem Wurzelkanal entfernt wird. „Unbehandelt können sich die Keime in das umgebende Gewebe gelangen, sich im Körper ausbreiten und sogar die Herzklappen, Gelenke und andere Organe schädigen“, sagt Zahnarzt Brandstätter.

Nicht zuletzt dient eine Wurzelkanalbehandlung dazu, einen Zahn zu erhalten. Mit diesem kann man wieder schmerzfrei kauen, auf diesen kann man bei Bedarf eine Krone aufsetzen. Ein wurzelbehandelter eigener Zahn wird darüber hinaus vom Körper bestens vertragen, was bei körperfremdem Gewebe wie einem Implantat nicht immer der Fall ist.

Der Ablauf: Nach einer örtlichen Betäubung verschafft sich der Zahnarzt Zugang zum Wurzelkanal, indem er ein Loch durch den Zahnschmelz und das Zahnbein bohrt. Mit feinen, dünnen Instrumenten und häufig unter mikroskopischer Sicht entfernt er das entzündete Gewebe, das Zahnmark, aus dem Wurzelkanal. Nach einer gründlichen Reinigung und Desinfektion erfolgt die Füllung des Hohlraums mit einem bestimmten Material – einer Art Kautschukmasse.

Dann wird die Kaufläche wieder dicht verschlossen, eventuell der Zahn mit einer Krone versorgt, sodass keine Bakterien mehr eindringen können. Dies kann bei einer ersten Sitzung provisorisch erfolgen, die definitive Füllung und Verschließung bei einer weiteren Sitzung. Die gesamte Wurzelkanalbehandlung kann auch nach einer einzigen Sitzung abgeschlossen sein – je nach Art und Schwere des Problems.

Die Wurzelspitzenresektion

Anders verhält es sich bei einer Wurzelspitzenresektion. Resektion bedeutet wegschneiden. Das heißt, dass das erkrankte, spitze Ende des Wurzelkanals – sozusagen die Spitze der Mine des Kugelschreibers – zusammen mit dem entzündeten Umfeld entfernt wird. Was einen operativen Eingriff darstellt, im Gegensatz zur konservativen Behandlung des Wurzelkanals. Die Resektion kann erforderlich sein, weil die Wurzelkanalbehandlung nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat.

Der Ablauf: Nach der Betäubung des Areals erfolgt der Zugang zur entzündeten Wurzelspitze von der Seite, also durch Wegklappen des Zahnfleisches und über eine Öffnung des Kieferknochens und des Zahnbeins. Nach der Entfernung – der Resektion – der Wurzelspitze und des entzündeten Gewebes wird der Hohlraum gereinigt und desinfiziert und mit einem bestimmten Material gefüllt. Dann wird die Wunde vernäht.

Nach den Eingriffen

Nach einer Wurzelkanalbehandlung darf man nach etwa ein bis zwei Stunden – wenn die Betäubung abgeklungen und das Füllmaterial gehärtet ist – wieder vorsichtig etwas essen, trinken ist sofort möglich. Noch am gleichen Tag kann der Patient seine Zähne wie gewohnt reinigen. Treten starke Schmerzen oder Fieber auf, sollte man den Zahnarzt kontaktieren. Bei Bedarf werden Medikamente verordnet.

Nach einer operativen Wurzelspitzenentfernung sollte man den behandelten Bereich einige Tage lang sehr vorsichtig putzen. An den Tagen nach dem Eingriff ist Schonung angesagt, um ein Nachbluten zu verhindern. Man isst in dieser Zeit am besten Suppen oder weiche Speisen. Gegen Schwellungen helfen Eisbeutel, die man auf die Wange legt. Wärme sollte man vermeiden, so ist es zum Beispiel ungünstig, mit der wunden Seite auf dem Kopfpolster zu liegen. Treten starke Schmerzen oder Fieber auf, sollte der Weg ebenfalls zum Zahnarzt führen.

Verkürzte Wurzelspitze

Ein bis zwei Wochen nach dem Eingriff werden die Nähte entfernt. „An der verkürzten Wurzelspitze bildet sich im Laufe der folgenden Wochen und Monate von selbst wieder Knochengewebe“, sagt Zahnarzt Brandstätter. Vorteil dieses Verfahrens ist, dass eine bestehende künst­liche Krone nach der Entfernung der Wurzelspitze auf dem Zahn verbleiben kann. Sowohl die Wurzelkanalbehandlung als auch die Wurzelspitzenresektion stellen Routineeingriffe dar, die in jeder Zahnarztpraxis durchgeführt werden.

Die Entfernung eines Zahns

Letzteres gilt auch für eine Zahnextraktion. So ausgefeilt und effektiv die konservativen und operativen Behandlungsmöglichkeiten an der Zahnwurzel auch sind – in manchen Fällen können sie nicht mehr dazu beitragen, einen Zahn zu erhalten. Nach Ansicht von Dr. Walter Keidel, Zahnarzt in Grödig bei Salzburg, sprechen mehrere Gründe für eine Zahnentfernung:

  • der Zahn bzw. seine Wurzel sind durch Karies so angegriffen, dass eine Wurzelbehandlung nicht mehr möglich ist oder keinen Nutzen bringt
  • eine massive Parodontitis (Entzündung des Zahnhalteapparates) hat den Knochen gravierend geschädigt, ein Zahn oder mehrere Zähne sind stark gelockert
  • die Zahnkrone oder die Zahnwurzel sind aufgrund eines Zahnunfalls gebrochen (Längs- oder Querfraktur)
  • es gibt nicht genügend Platz für alle Zähne

„Um Fehlstellungen vorzubeugen oder zu beheben, kann es in manchen Fällen Sinn machen, selbst gesunde Zähne zu entfernen, etwa einen querliegenden Weisheitszahn“, so Walter Keidel.

Nach der Extraktion

Nach der Entfernung des Zahns zieht sich das Gewebe zusammen, es bildet sich automatisch ein Gerinnsel, ein Blutpfropfen, der in der Medizin Blutkoagel genannt wird. Dieser ist für die Wundheilung ganz entscheidend, er wandelt sich nämlich in Bindegewebe und schließlich in Knochengewebe um, das den entstandenen Hohlraum verschließt. Walter Keidel: „Man sollte nach einer Extraktion einen Tag lang nicht Zähneputzen und auch nicht spülen oder gurgeln, damit der Blutpfropfen nicht weggeputzt oder weggespült wird. Vielmehr sollte man der Natur ihren Lauf lassen.“

Wird der Blutpfropfen weggespült, liegt die Knochenfläche frei, was sehr schmerzhaft ist, zu Entzündungen führen kann und weitere Behandlungen erforderlich macht.

Gegen auftretende Schmerzen in den Tagen nach der Extraktion helfen Schmerzmittel. Allerdings sollten diese keine Acetylsalicylsäure enthalten, da dieser Wirkstoff blutverdünnend wirkt, was die erwünschte Bildung des Blutkoagels behindert. Um schmerzhafte Kontakte mit der Wunde zu vermeiden, sollte man an den Tagen nach einer Extraktion nur weiche oder pürierte Nahrung zu sich nehmen. Von Alkohol, Koffein und Nikotin rät Zahnarzt Keidel für den Tag der Extraktion sowie für den Tag danach ab, da diese Substanzen die Gefahr einer Nachblutung erhöhen. Aus demselben Grund sollte man auch Sport und körperliche Anstrengungen vermeiden.

Foto: iStock, Ilya Rumyantsev

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