Wie Zähne, Kiefer und die richtige Atmung zusammenhängen,erklärt Dr. Andrea Hofbauer, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Anästhesie, Intensivmedizin und Mentorin für Myosophie in Muckendorf bei Tulln.
Fachärztin für Allgemeinmedizin, Anästhesie, Intensivmedizin und Mentorin für Myosophie in Muckendorf bei Tulln
In einigen (Zahn-)Arztpraxen wird Dentosophie angeboten. Was versteht man darunter?
Dentosophie wurde vor rund 30 Jahren in Frankreich entwickelt und ist vor allem in Spanien und Italien stark verbreitet, inzwischen auch in Deutschland und vereinzelt in Österreich. Darunter versteht man eine ganzheitliche Methode in der Zahnmedizin, die den gesamten Körper miteinbezieht. Da ich die Methode um wichtige medizinische und funktionelle Elemente erweitert habe, nenne ich meine Herangehensweise Myosophie – die Weisheit des muskulären Zusammenspiels. Im Mittelpunkt steht ein Trainingsgerät namens „Balancer“, das täglich nur wenige Minuten aktiv getragen wird, aber auch unbewusst wirken kann. Damit lassen sich der Lippenschluss, die Nasenatmung, beidseitiges Kauen und die Zungenfunktion effektiv trainieren.
Die einfache Anwendung sorgt für hohe Compliance – ideal auch in Kombination mit Logopädie oder Kieferorthopädie. In manchen Fällen ist eine Zusammenarbeit mit Logopädinnen und Logopäden oder auch eine Frenulotomie (Lösen des Zungenbändchens) sinnvoll – eine Maßnahme, die zuvor oft übersehen wurde.
Was sind myofunktionelle Störungen?
Myofunktionelle Störungen bezeichnen ein unphysiologisches Atmungs-, Kau- und Schluckmuster. Typisch ist etwa die Mundatmung, eine fehlerhafte Zungenfunktion oder einseitiges Kauen. Zwar spreche ich als Allgemeinmedizinerin nicht vorrangig über Zähne – doch durch Mundatmung verändert sich der Speichel, das Mikrobiom im Mundraum verschiebt sich, was wiederum Karies und Zahnstein begünstigt. Auch die Zunge spielt eine zentrale Rolle: Sie ist gewissermaßen der Motor des Kieferwachstums. Ist ihre Funktion gestört, etwa durch ein falsches Schluckmuster oder eine verkürzte Zungenbändchenstruktur, entwickeln sich Kiefer oft zu eng. Die Folgen reichen von Zahnfehlstellungen bis zu asymmetrischen Gesichtsformen. Wenig Kauen schwächt die Kiefermuskulatur, verringert die Ausprägung der Kinnlinie („Jawline“) und fördert Faltenbildung – auch das eine Folge mangelnder myofunktioneller Aktivität.
Warum ist die Nasenatmung so wichtig?
Die Nasenatmung ist zentral für unsere Gesundheit. Sie filtert, erwärmt und befeuchtet die Luft, steuert die Ausschüttung von Stickstoffmonoxid (NO) – das 1998 sogar den Nobelpreis für seine gefäßschützende Wirkung brachte – und beeinflusst die Belüftung der Nebenhöhlen. Mundatmung hingegen fördert eine übermäßige Aktivierung des Sympathikus, steigert die Anfälligkeit für Allergien und Infektionen, reduziert die NO-Produktion, führt zu chronisch verstopften Nebenhöhlen, verändert das Mikrobiom im Mund und fördert Entzündungen. Auch die Gehirntemperatur wird beeinflusst – mit Folgen für Konzentration und Schlafqualität.
Welche Warnzeichen deuten bei Kindern oder Erwachsenen auf eine gestörte Mundfunktion hin?
Da gibt es eine Vielzahl: Morgens ein trockener Mund, unruhiger oder nicht erholsamer Schlaf, Tagesmüdigkeit, häufige Infekte, Nebenhöhlenentzündungen oder Allergien sind oft typische Hinweise. Auch Nackenverspannungen, Migräne, Konzentrations-probleme oder Sprachstörungen können ihren Ursprung in einer gestörten Mundfunktion haben.
Besonders auffällig ist das bei Kindern: Schnuller- oder Daumenlutschen, Kau-unlust, Gedeihstörungen oder wiederkehrende Mandelentzündungen deuten ebenso auf eine Fehlfunktion hin wie psychosomatische Beschwerden – etwa wenn ein Kind sehr gehemmt ist, nicht gut sprechen kann oder sich sozial zurückzieht. Beobachten Sie bei sich oder Ihrem Kind Anzeichen einer gestörten Mundfunktion, lohnt sich eine interdisziplinäre Abklärung. Denn oft beginnt nachhaltige Gesundheit genau dort – im Mund.
Wie können myofunktionelle Therapien kieferorthopädische Maßnahmen unterstützen?
Zahnfehlstellungen resultieren oft aus einer gestörten Zungen- und Mundfunktion. Wird also nur kieferorthopädisch behandelt – etwa mit einer Zahnspange –, bleibt die Ursache oft bestehen. Ich selbst verschiebe keine Zähne. Stattdessen trainiere ich mit meinen Patientinnen und Patienten die physiologische Funktion der Muskulatur im Mund- und Gesichtsbereich – durch gezielte Übungen und Alltagsveränderungen. Je jünger die Betroffenen, desto größer der Effekt – aber auch Erwachsene profitieren, wenn sie diszipliniert mitarbeiten.
Fotos: Justin Bockey, istockphoto: iconic bestiary