„Ich hatte große Angst vor der Angst“
Von Mag. Sabine Stehrer
Gemeinsam mit seinem Bruder Thomas hat sich der Physiker einen Namen als Extremsportler gemacht: Die „Huberbuam“ zählen zu den weltbesten Kletterern. Alexander erkletterte beispielsweise als Erster völlig ungesichert die Wände des Grand Capucin im Montblanc, der als schwierigster Berg der Alpen gilt. Das kann nur jemand schaffen, der komplett angstfrei ist, möchte man meinen. Aber selbst er, der inzwischen auch als Dokumentarfilmer und Buchautor erfolgreich ist, kennt Ängste, sogar krankhafte.
Im Gespräch mit MEDIZIN POPULÄR erzählt der 47-Jährige von seiner Angststörung und wie er diese durch verordnete Naturerlebnisse bewältigt hat.
MEDIZIN POPULÄR: Herr Huber, von jemandem wie Ihnen, der so mutig ist, ohne jegliche technischen Hilfsmittel und Sicherungen die steilsten Bergwände der Welt zu erklettern, kann man sich kaum vorstellen, dass er eine Angsterkrankung entwickelt. Was war die Ursache dafür?
Alexander Huber: Bei Angsterkrankungen ist die Ursache immer multifaktoriell, und so war es auch bei mir. Es ist einfach einiges zusammengekommen. Unbegründete Ängste um meine Gesundheit, die Angst, dass ich bald nicht mehr vom Profibergsteigen leben kann oder den Spaß am Bergsteigen verliere, Existenzängste. Die Ängste haben immer mehr zugenommen und mir viel Energie geraubt. Irgendwann ist das Ganze eskaliert, und ich bin in eine Abwärtsspirale geraten. Mir war es nicht mehr möglich, zu trainieren oder mich mit Freunden zu treffen, nicht einmal mehr, die Wohnung zu verlassen. Von da an habe ich große Angst nur vor der Angst gehabt.
Wie haben Sie es geschafft, aus dieser Spirale wieder herauszukommen?
Als mir bewusst geworden ist, dass ich an einer schweren Angsterkrankung leide und professionelle Hilfe brauche, habe ich mir diese Hilfe geholt.
Was hat Ihnen geholfen?
Eine Gesprächstherapie. Einerseits ist es dabei um frühere, verdrängte Belastungen und Probleme gegangen. Andererseits hat mir der Therapeut den Auftrag gegeben, statt jeden Tag nur von früh bis spät in der Wohnung herumzusitzen, gleich nach dem Aufstehen und dem Frühstück hinauszugehen, in die Natur zu gehen, in den Wald und auf den Berg, und das für mindestens drei Stunden. Am Anfang der Therapie hat das noch nicht funktioniert, dann aber doch. Die Touren durch die Natur, die ich wieder gemacht habe, haben meinen Alltag strukturiert, meinen Körper und meinen Geist beschäftigt, die Erlebnisse haben mich zufrieden gemacht und endlich wieder gut schlafen lassen. Letztendlich haben sie mich auf den Weg zurück zu mir geführt.
Viele andere von Angststörungen Betroffene haben eine Scheu, eventuell sogar Angst davor, sich von einem Therapeuten helfen zu lassen.
Wenn das bei jemandem so ist, soll er den Therapeuten halt anders nennen, Coach oder Mentaltrainer. Sich einen solchen zu nehmen, ist zum Beispiel unter Profisportlern ganz normal, also kann das auch jeder andere machen.
Warum trägt Ihr jüngstes Buch trotz Ihrer schlechten Erfahrung mit der Angst den Titel „Die Angst, dein bester Freund“?
Ich glaube, dass ich erfahren habe, wie sich krankhafte Angst anfühlt, hat auch sein Gutes. Aufgrund dieser Erfahrung kenne ich mich heute besser als vor der Krise. Ich bin daher mental stärker, und mein Leben ist durch die Krise reicher geworden. Das Buch trägt aber auch diesen Titel, weil für mich als Profibergsteiger die Angst immer schon mein bester Freund gewesen ist, und sie ist es auch heute noch. Denn beim Bergsteigen brauche ich die Angst, da ist sie gesund. Sie warnt mich und hat mir schon oft dabei geholfen, mich auf meinen Abenteuern dazu zu bringen, mich besser zu konzentrieren und die richtigen Schritte zu setzen, um zu überleben.
Das heißt, hochriskante Touren gehören nach wie vor zu Ihrem Programm?
Free-Solo-Touren nicht mehr, denn da kann ich meine früheren Leistungen nicht mehr übertreffen. Aber die Sportkletterei gehört für mich freilich nach wie vor dazu. Ich gehe auch gern Höhenbergsteigen und mache ganz normale Bergtouren.
Wo sind Sie am liebsten unterwegs?
Da könnte ich jetzt gar kein Ranking machen. Wenn ich zuhause bin, bin ich oft in den Berchtesgadener Alpen oder im Salzburgischen unterwegs, zum Beispiel auf dem Dachstein. Aber auch auf dem Wilden Kaiser in Tirol, in den Dolomiten oder in der Mont Blanc-Gruppe. Zuletzt war ich für ein Filmprojekt sechs Wochen in Grönland unterwegs, auch das war faszinierend.
Was ist für Sie das schönste am Bergsteigen, der Weg oder der Gipfelsieg?
Weder das eine noch das andere, sondern ganz eindeutig die Summe der Erlebnisse in der Natur.
Foto: Alpenverein