Die Risikofaktoren und Anzeichen für den „Hirninfarkt“ sind, wie Experten beklagen, nach wie vor viel zu wenig bekannt. Auch dass ein Schlaganfall immer ein Notfall ist, der schnelles Handeln erfordert, wird oft zu wenig ernst genommen. Lesen Sie in MEDIZIN populär, wie ein Schlaganfall entsteht und was Sie tun können, damit es nicht soweit kommt.
Von Mag. Michael Krassnitzer
Denken, Fühlen, Erinnern: Mit diesen Aufgaben betraut, ist das Gehirn das wichtigste menschliche Organ – und zugleich das empfindlichste. Schon eine kurzfristige Störung der Blutzufuhr genügt, dann sterben Gehirnzellen ab und sind unwiderruflich verloren. Die medizinische Bezeichnung für eine solche Durchblutungsstörung ist wohl jedem bekannt: Schlaganfall.
Jährlich erleiden etwa 20.000 Österreicher erstmals einen Schlaganfall. Unter 1000 Einwohnern leben etwa acht Personen, die an den Folgen eines Schlaganfalls leiden. Die meisten Schlaganfälle treffen ältere Menschen über 70, sie können aber auch in jüngeren Jahren, ja sogar im Kindesalter vorkommen. Der Schlaganfall ist die häufigste Ursache für eine schwere Behinderung im Erwachsenenalter. Und er gilt nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs als die dritthäufigste Todesursache in den westlichen Industrienationen.
Ein Schlaganfall ist meist die Folge eines plötzlichen Verschlusses einer Hirnarterie, der zu einer regionalen Durchblutungsstörung führt. Zu den möglichen Ursachen zählen die Schädigung einer kleinen Ader innerhalb des Gehirns, die zum Verschluss des Blutgefäßes führt, oder ein Blutgerinnsel (Thrombus), das in das Gehirn eingespült wird und ein Blutgefäß verstopft. Man nennt den Schlaganfall daher auch manchmal „Hirninfarkt“. Seltener entsteht ein Schlaganfall durch eine Blutung, nachdem eine Arterie im Gehirn geplatzt ist.
„Ein Schlaganfall ist immer ein Notfall“, bekräftigt Prim. Univ. Prof. Dr. Wilfried Lang, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Schlaganfall-Forschung (ÖGSF): „Wenn jemand die typischen Symptome aufweist: Sofort die Rettung oder eine Notruf-Nummer anrufen!“ Ein Schlaganfall ist lebensbedrohlich, auch wenn er meist ohne jegliche Schmerzen verläuft (lediglich eine Gehirnblutung kann von Kopfschmerzen begleitet werden).
„Ein Schlaganfall trifft uns immer aus heiterem Himmel“, erklärt der Experte. Mit einer gewissen Häufigkeit treten Schlaganfälle morgens beim Erwachen auf, weiß Lang, doch Vorwarnung gibt es keine.
Risikofaktor Bluthochdruck
Allerdings gibt es eindeutige Risikofaktoren: Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht, erhöhte Blutfette, Diabetes. Der bedeutendste Faktor allerdings ist erhöhter Blutdruck. „Mit einer Optimierung des Blutdrucks sinkt das Schlaganfallrisiko um 30 bis 40 Prozent“, weiß Lang. Daher gilt: Regelmäßig den Blutdruck überprüfen! Abnehmen, Bewegung und Rauchstopp sind in jeder Hinsicht ein gesundheitlicher Gewinn.
Auch das Alter ist ein Risikofaktor, wenngleich ein nicht vermeidbarer und behandelbarer. Jeder Zehnte über 75 hat schon einmal einen Schlaganfall erlitten. Nicht Ursache, aber Auslöser eines Schlaganfalls kann ein Infekt sein oder Flüssigkeitsmangel. Gerade bei älteren Menschen macht sich dies bemerkbar: Viele vergessen im Alter zunehmend aufs Trinken.
Es gibt kein „Schlagerl“
Im Volksmund gibt es den Begriff „Schlagerl“, gerne auch eingebaut in die Wendung „Jemanden hat das Schlagerl gestreift“. Gemeint ist eine flüchtige Attacke, bei der die Störungen nach kurzer Zeit, meist etwa zehn Minuten, wieder von selbst verschwinden. „Von einem ,Schlagerl‘ zu reden, ist eine gefährliche Verharmlosung“, warnt Schlaganfallexperte Lang: „Auch ein flüchtiges Ereignis, bei dem die Symptome bald wieder vergehen, ist ein Schlaganfall und somit ein Notfall!“ Nach einem solchen Anfall besteht höchste Gefahr, dass es in den nächsten 24 bis 48 Stunden zu einem weiteren Schlaganfall kommt. Leider aber gehen viele Menschen nach einem vermeintlich harmlosen „Schlagerl“ nicht oder zu spät ins Krankenhaus.
Dabei ist die Schnelligkeit der Akutbehandlung nach einem Schlaganfall das Um und Auf. Zwar sterben die Gehirnzellen im Kerngebiet der Durchblutungsstörung binnen Minuten ab, doch in der Umgebung des Kerngebietes können die Neuronen einige Stunden überleben.
„Wenn der Betroffene innerhalb der ersten 90 Minuten behandelt wird, hat er die größte Chance, das Ereignis ohne Behinderung zu überstehen“ erklärt Lang. Bei der Akuttherapie wird der Gefäßverschluss mit entsprechenden Medikamenten aufgelöst. Das Zeitfenster, in dem die Beseitigung der Gefäßverstopfung Sinn macht, schließt sich jedoch viereinhalb Stunden nach dem Schlaganfall. Dann ist das betroffene Hirnareal irreparabel geschädigt. „Zeit ist Hirn“ lautet das Motto der Schlaganfallexperten.
Spezialstationen retten Leben
Dem medizinischen Fortschritt ist es zu verdanken, dass die Sterblichkeit durch Schlaganfall in den letzten 30 Jahren drastisch abgenommen hat: Dies hängt zum einen mit der Entwicklung jener Medikamente zusammen, mit denen sich Gefäßverschlüsse öffnen lassen. „Die strukturierte Versorgung aber hat wahrscheinlich viel mehr gebracht“, ist der von MEDIZIN populär befragte Experte überzeugt. Gemeint ist die flächendeckende Einrichtung von speziell auf Schlaganfälle spezialisierten Stationen („Stroke Units“). Rund 40 davon gibt es in Österreich. Zirka zwei Drittel aller Schlaganfallpatienten landen mittlerweile in einem „Stroke Unit“ – Tendenz steigend. Allerdings gibt es laut Lang zwei „Problemregionen“: Das Nordburgenland soll erst im Jahr 2011 eine Neurologie mit „Stroke Unit“ erhalten. Und in Vorarlberg gibt es keine Neurologische Abteilung in einem Akutspital und keine spezielle Schlaganfallstation.
„Vorarlberg stellt somit das größte Versorgungsproblem dar“, kritisiert Lang.
Die Neurologische Abteilung im Krankenhaus Barmherzige Brüder in Wien, die von Wilfried Lang geleitet wird, ist eine solche spezialisierte Station: Noch vor Einlieferung des Patienten wird die Schlaganfall-Station von der Rettung informiert. Kommt er ins Spital, werden alle notwendigen Untersuchungen (Computertomographie, Magnetresonanztomographie, Labor) innerhalb einer halben Stunde abgeschlossen, und anschließend wird sofort die Therapie eingeleitet – ganz nach dem Motto: „Zeit ist Hirn“.
Wie erkennt man einen Schlaganfall?
Es gibt vier untrügliche Zeichen:
* Plötzliche Schwäche oder Lähmung einer Körperseite: Ein Bein oder ein Arm – oder beides – gehorcht nicht mehr oder ist kraftlos. Betroffen kann auch das Gesicht sein: Manchmal bemerkt jemand anderer, dass ein Mundwinkel unnatürlich herabhängt, ohne dass dem Betroffenen selbst zuvor etwas aufgefallen wäre.
* Sprachstörung: Die Sprache des Betroffenen ist schwer verständlich oder unverständlich. Es werden falsche Wörter und sinnlose Sätze gebildet. Auch das Sprachverständnis kann in Mitleidenschaft gezogen sein: Der Betroffene kann einfachste Anweisungen („Heben Sie den Arm“) nicht mehr befolgen.
* Sehstörungen: Eine Raumhälfte wird nicht mehr oder nur unzureichend wahrgenommen. Beim Lesen oder Fernsehen ist plötzlich eine Hälfte des Buches bzw. des Bildes verschwunden, man stößt immer wieder auf Hindernisse, die man nicht sieht.
* Taubheitsgefühl einer Körperhälfte.
Schlaganfall: Was tun?
1. Sofort den Notarzt oder die Rettung (144) rufen!
2. Fenster öffnen, beengende Kleidungsstücke lockern.
3. Betroffenen mit dem Oberkörper 30 Grad hochlagern.
Bei Übelkeit oder Erbrechen in Seitenlage bringen.
4. Eventuell vorhandene Zahnprothesen entfernen.
5. Puls- und Herzschlag kontrollieren.
6. Atemwege freihalten.
7. Für Ruhe des Betroffenen sorgen.
Halten Sie nach Möglichkeit den Zeitpunkt des Ereignisses fest und teilen Sie diesen dem Rettungspersonal bzw. dem Notarzt mit. Geben Sie – sofern ohne Zeitverlust möglich – dem Rettungspersonal Unterlagen über die Krankengeschichte des Betroffenen und über die Medikamente, die er zur Zeit einnimmt, mit.