Jedes Jahr erkranken mindestens 50.000 Österreicher an Borreliose, einer Infektionskrankheit, deren Erreger durch Zecken übertragen werden. Eine Impfung liegt noch in weiter Ferne, dafür ist die Erkrankung gut heilbar. In MEDIZIN populär räumt ein Borreliose-Experte mit den fünf großen Irrtümern auf, die über die Krankheit kursieren.
Von Mag. Michael Krassnitzer
Die Schildzecke Ixodes ricinus ist ein heimtückisches und zugleich faszinierendes Lebewesen: Mit ihren skalpellartigen Mundwerkzeugen ritzt sie die menschliche Haut an, um dann mit ihrem gezahnten Rüssel in die entstandene Wunde einzudringen. Ihr Speichel enthält einen zementartigen Klebstoff, mit dem die Mundwerkzeuge der Zecke fest in der Haut verankert werden, eine Substanz, mit der die Blutgerinnung verhindert wird, ein Betäubungsmittel, das die Einstichstelle unempfindlich für Schmerzen macht, und einen entzündungshemmenden Wirkstoff, um Abwehrreaktionen des Immunsystems zu unterbinden. Ist all das geschehen, tut sich die Zecke am Blut ihres Opfers gütlich.
Dieses kleine Wunderwerk der Natur kann jedoch dem Menschen großen Schaden bringen: Denn während ihrer Blutmahlzeit sondert die Zecke Flüssigkeit ab, die gefährliche Erreger enthalten kann. Zecken gehören weltweit zu den wichtigsten Überträgern von menschlichen Krankheitserregern: zum Beispiel die der gefürchteten Frühsommer-Meningoenzephalitis (FMSE). Die häufigste von Zecken übertragene Krankheit aber ist die Borreliose.
In Österreich erkranken jährlich mindestens 50.000 Menschen an Schildzecken-Borreliose. Eine viel größere Zahl an Menschen wird mit Borrelien, den für die Erkrankung verantwortlichen Bakterien, infiziert. Doch nicht jeder Stich einer infizierten Zecke führt zu einer Ansteckung und bei weitem nicht jeder Infektion folgt der Ausbruch der Krankheit: Schließlich werden jährlich 16 Prozent der Österreicher von Zecken gebissen, wobei beinahe ein Viertel der heimischen Schildzecken den Erreger in sich trägt. Wenn die Krankheit allerdings ausbricht, reicht das Spektrum der Symptome von einer sich langsam ausbreitenden Rötung der Haut, Gesichtslähmungen, Gelenks- und Nervenentzündungen bis zur Gehirnhautentzündung. Borreliose wird ausschließlich von Zecken übertragen, eine Ansteckung von Mensch zu Mensch ist nicht möglich.
Trotz ihrer Häufigkeit ist die Schildzecken-Borreliose eine in der Bevölkerung wenig bekannte Krankheit. Dazu kommt, dass so manche Information, die über die Borreliose und ihre Übertragung kursiert, falsch ist. Borreliose-Experte Univ. Prof. Dr. Gerold Stanek, Leiter der Abteilung für Infektionsimmunologie des Klinischen Instituts für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Medizinischen Universität Wien, räumt mit fünf großen Irrtümern auf.
Irrtum Nr. 1
Zecken lassen sich von Bäumen fallen
„Dass Zecken auf Bäume klettern und sich von dort herabfallen lassen, ist ein Märchen“, sagt Univ. Prof. Dr. Gerold Stanek über eine Vorstellung, die sich hartnäckig in den Köpfen der Menschen zu halten scheint. Wahr ist vielmehr: Zecken sind sehr empfindlich gegenüber Austrocknung und halten sich daher stets in der bodennahen Vegetation auf. Weil es dort schön feucht ist, bevorzugen die heimischen Zecken Auen, Bachränder, Feuchtwiesen, Waldränder, Waldlichtungen sowie Laub- und Mischwälder mit grasigem oder krautigem Unterwuchs. In den trockenen und kalten Perioden des Jahres legen viele Zecken eine Ruhepause ein, so dass die meisten Bisse im Frühsommer und im Herbst zu verzeichnen sind.
Irrtum Nr. 2
Die Erkrankung verläuft in Stadien
Es klingt so einleuchtend: Im ersten Stadium der Erkrankung kommt es zu einer lokalen Infektion, im zweiten Stadium breitet sich der Erreger im gesamten Organismus aus, das dritte Stadium bedeutet eine chronische Infektion. Doch das ist falsch. „Es gibt keine unterschiedlichen Stadien“, stellt Borreliose-Experte Stanek klar: „Welche Symptome ein Infizierter bekommt, hängt hauptsächlich vom Erregerstamm ab.“ In Europa gibt es sechs verschiedene Arten des Erregers. Daher liegt eine Impfung, an deren Entwicklung natürlich gearbeitet wird, noch in weiter Ferne.
Die weitaus häufigste Manifestation der Borreliose ist eine Hautinfektion. Nach wenigen Tagen bis zu einem Monat nach dem Zeckenstich bildet sich um die Einstichstelle herum ein roter Fleck, der sich langsam ausbreitet. Mit der Zeit kann das Zentrum verblassen, so dass die Rötung die Form eines Ringes bekommt. Manchmal bilden sich zusätzlich weitere rote Flecken an anderen Körperstellen. Dazu können andere Symptome, aber nur sehr selten Fieber kommen. Bei über 85 Prozent der Erkrankten bleibt die „Wanderröte“ die einzige Erscheinung. In seltenen Fällen bilden sich schmerzlose blaurote Knoten, das Borrelien-Lymphozytom; bei Kindern gewöhnlich am Ohrläppchen, am Ohrrand oder am Hodensack, bei Erwachsenen an der Brustwarze.
Die zweithäufigste Manifestation der Infektionskrankheit ist die Neuroborreliose. Vier bis sieben Wochen nach dem Zeckenstich kommt es dabei zu unterschiedlichen neurologischen Symptomen, etwa Nervenwurzelentzündungen, Gesichtslähmungen, Empfindungsstörungen (Kribbeln) oder – bei Kindern häufiger – Hirnhautentzündung. Bei Nervenwurzelentzündungen, die überwiegend Erwachsene betreffen, treten zuerst brennende, bohrende oder beißende Schmerzen an unterschiedlichen Orten auf, die nachts stärker werden.
Oft erst Monate oder Jahre nach dem Zeckenstich kann es zu schweren Gelenksentzündungen kommen. Am häufigsten ist das Knie betroffen.
Irrtum Nr. 3
Borreliose wird zu einer chronischen Erkrankung
Eine über Jahre bestehende Borrelien-Infektion der Haut, die Akrodermatitis, führt in der Tat zu schweren Hautveränderungen: Meist sind die Streckseiten der Arme oder Beine betroffen, wo sich die Haut verfärbt, später wird die Haut zart und durchscheinend wie Zigarettenpapier, die Blutgefäße treten hervor. Doch das kommt heute viel seltener vor, weil die von der Borreliose zumeist ausgelöste Wanderröte zuvor behandelt wird. „Mit geeigneten Antibiotika kann jede Borreliose-Erkrankung, auch eine lang bestehende Akrodermatitis, zumindest zum Stillstand gebracht werden“, betont Stanek. Entstandene Schäden können allerdings nicht rückgängig gemacht werden.
Die Krankheitsbilder waren in Europa schon seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannt, der Erreger wurde allerdings erst 1981 entdeckt. Daher hatten Ärzte früher oft mit Borreliose-Kranken zu tun, die jene schweren Hautveränderungen aufwiesen. „Heute sehe ich solche Patienten kaum noch“, erzählt Stanek aus seiner Praxis.
Irrtum Nr. 4
Man kann sich vor Zeckenstichen schützen
Lange Ärmel und lange Hosen tragen, die Socken über die Hose ziehen – all das wird immer wieder als Schutzmaßnahme vor Zeckenstichen empfohlen. Auch, dass man es vermeiden solle, sich ins Gras zu setzen. Prof. Stanek hält von solchen Maßnahmen nichts: „Es ist völlig irreal, Kinder im Sommer derart zu kleiden oder ihnen das Spielen im Gras zu verbieten“, sagt er und setzt fort: „Man soll sich das Vergnügen, in der Natur zu sein, nicht nehmen lassen.“ Auch Repellentien bieten laut Stanek nur einen begrenzten Schutz, da die Wirkzeit der die Parasiten abhaltenden Substanzen nur auf wenige Stunden beschränkt ist.
Gegen die Zeckenstiche selbst könne man sich also nur schwer schützen, gegen die Folgen aber schon: Vor der Frühsommer-Meningoenzephalitis schützen FSME-Imfpungen, und das Risiko einer Borreliose-Infektion kann man laut Stanek durch ein rechtzeitiges Entfernen der Zecken deutlich senken. Je länger die Zecke „Blut leckt“, desto größer die Wahrscheinlichkeit einer Infektion. Wird die Zecke in den ersten sechs Stunden entfernt, besteht kaum Gefahr, an Borreliose zu erkranken. Die Übertragung des Erregers findet meistens 24 bis 48 Stunden nach dem Zeckenstich statt. Außerdem wandern Zecken auf der Suche nach einem geeigneten Ort oft mehrere Stunden auf dem Körper umher. Daher ist die wichtigste Maßnahme: Suchen Sie nach einem Aufenthalt in der Natur den gesamten Körper inklusive der Kopfhaut nach Zecken ab! Bei Erwachsenen setzen sich die Zecken gerne an den unteren Extremitäten fest, bei Kindern am behaarten Teil des Kopfes. Beliebt sind auch Kniekehlen, Achselhöhlen und der Genitalbereich.
Vorhandene Zecken müssen vorsichtig entfernt werden. Die Einstichstelle sollte desinfiziert und über längere Zeit beobachtet werden. Sobald eine verdächtige Rötung auftritt: Umgehend den Arzt aufsuchen!
Irrtum Nr. 5
Unsachgemässe Entfernung der Zecke erhöht das Infektionsrisiko
Wird die Zecke beim Entfernen zusammengequetscht, dann erhöht sich das Infektionsrisiko, heißt es. Dasselbe gelte für das Entfernen der Zecke mit Klebstoff, Alkohol oder Öl, weil sich die Zecke angeblich im Todeskampf in den Wirt „erbricht“. „Die Art und Weise, wie eine Zecke entfernt wird, hat keinen Einfluss auf das Infektionsrisiko“, weiß Stanek. Am besten freilich sei eine Pinzette geeignet, rät der Infektionsexperte: „Nahe an der Haut packen und herausziehen.“