Medizin & Trends

Verdauungsprobleme durch Stress & Co

Wenn seelische Probleme auf den Magen schlagen
 
Durchfall vom Stress, Bauchweh vom Ärger, Verstopfung vom Kummer? Kein anderes Organ reagiert so rasch und heftig auf psychische Belastungen wie Magen und Darm. Woran das liegt und wie man die Verdauung auch in schwierigen Zeiten in Schuss halten kann.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Ein Problem am Arbeitsplatz liegt Ihnen im Magen? Vor Liebeskummer bringt man nichts mehr hinunter? Ein schlimmes Erlebnis muss erst verdaut werden? Mit Ausdrücken wie diesen beschreibt der Volksmund, was jetzt immer weitere Studien untermauern: Emotionen und Verdauungsorgane, Bauch und Gehirn, sind eng miteinander verbunden. Man weiß mittlerweile sogar, dass der Bauch ebenfalls ein „Gehirn“ hat. Ähnlich dem Gehirn im Kopf handelt es sich beim Bauchhirn um ein komplexes Nervensystem, das den Magen-Darm-Trakt und damit auch die Verdauung steuert – und über die Hirn-Bauch-Achse (brain-gut-axis) in regem Austausch mit dem Kopfhirn steht.  

Kopf regiert Bauch

„Bauchhirn und Gehirn stehen hauptsächlich über den Nervus vagus miteinander in Verbindung“, präzisiert Univ. Prof. Dr. Gabriele Moser, Internistin, Psychotherapeutin und Leiterin der Gastroenterologischen Psychosomatik-Ambulanz an der Universitätsklinik für Innere Medizin III am Wiener AKH. Als größter Nerv des Parasympathikus ist er mitverantwortlich für die Tätigkeit von fast allen inneren Organen. Bauch und Gehirn sind aber nicht nur über Nerven, sondern auch über Hormone sowie das Konvolut an Darmbakterien (intestinales Mikrobiom) miteinander verbunden. Entsprechend groß ist der Einfluss des Gehirns auf die Verdauungsorgane. „Die verschiedenen Eindrücke – ob es sich um schöne, positive Emotionen wie Freude oder Verliebtheit handelt oder um entsetzliche, traumatische Ereignisse – werden erst im Zentralhirn verarbeitet und gelangen dann über Signale sehr rasch in das Bauchhirn“, veranschaulicht die Internistin.

Stress und Depression verändern Verdauung  

Dass die Verdauungsorgane auf Gefühle wie Angst, Stress oder Ärger reagieren, ist keineswegs ungewöhnlich, sondern im Gegenteil sogar im „Urprogramm“ des Menschen festgelegt. „Bei Stress, Druck oder Angst versucht der gesamte Verdauungstrakt den Verdauungsvorgang zu vermeiden“, beschreibt Gabriele Moser die natürlichen Abläufe. „Indem einem schlecht wird oder man sich voll fühlt, sorgt der Körper dafür, dass man keine Nahrung zuführt. Und um aufgenommene Nahrung rasch loszuwerden, entwickelt er Krämpfe und Durchfall.“ Sinn und Zweck dieser „Rebellion“ in Magen und Darm: „Es muss Energie für die Fluchtreaktion frei werden“, erklärt die Fachärztin. Hintergrund für die Reaktionen ist u.a., dass bei Stress verstärkt das Corticotropin-releasing Hormon (CRH) aus der Hirnanhangdrüse ausgeschüttet wird. „Das Hormon dockt direkt über die Blutbahn an Rezeptoren im Magen-Darm-Trakt an und kann auf diesem Weg zu den erwähnten Reaktionen führen“, so Moser.
Während also der Darm bei Stress in Bewegung kommt, wird der Magen gleichsam lahmgelegt. So will der Körper verhindern, dass neue Nahrung aufgenommen wird. „Die Fähigkeit des Magens, sich auszudehnen und Speisebrei aufzunehmen, nimmt bei Stress oder Angst ab“, betont die Internistin. Deshalb sei es auch nicht ratsam, unter Druck zu essen. Wie Studien zeigen, kann Nahrung dann nicht richtig weiter transportiert werden und bleibt im Magen liegen.
Kummer und depressive Verstimmungen wiederum führen eher dazu, „dass im Darmbereich alles verlangsamt abläuft“, erläutert Gabriele Moser. „Bei Depressionen etwa wird ganz besonders der Dickdarm extrem langsam. Depressive Menschen leiden entsprechend häufig unter Verstopfungen.“

Infekte, Antibiotika, Unverträglichkeit

So unangenehm die verschiedenen Stressreaktionen sind – wenn die Belastung abflaut, normalisiert sich üblicherweise die Verdauung wieder. Anders, wenn Stress oder Anspannung über lange Zeit andauern. Kommt dann noch ein weiteres Problem hinzu, steigt das Risiko für eine funktionelle Störung, z. B. für einen Reizdarm oder Reizmagen. 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung – davon doppelt so viele Frauen wie Männer – sind in unseren Breiten von einer funktionellen Verdauungsstörung betroffen. „Nerven in Magen und Darm sind dann aus verschiedenen Gründen sensibilisiert und reagieren übersensibel, selbst auf physiologische Reize“, erklärt Gabriele Moser. „Die Dehnung von Magen oder Darm durch Speisebrei oder Stuhl wird dann bereits als Alarmsignal empfunden – als unangenehm, krampfmachend, sattmachend, Übelkeit verursachend.“
Zu den möglichen Mitverursachern zählt etwa die Einnahme von Antibiotika. „Diese können das Konvolut an gesunden Darmkeimen verändern und den natürlichen Ablauf im Magen-Darm-Trakt beeinträchtigen“, beschreibt Gabriele Moser den Hintergrund. Auch eine Magen-Darm-Infektion kann das Risiko für eine funktionelle Störung erhöhen. „Wenn jemand, etwa nach einer Salmonelleninfektion, über mehrere Tage unter massiven Bauchkrämpfen und Übelkeit leidet und Fieber bekommt, ist der Magen-Darmtrakt sensibilisiert“, so Moser. „Weiters kann eine Nahrungsmittelunverträglichkeit, von der heute immer mehr Menschen betroffen sind, die Symptome einer funktionellen Störung verstärken.“
Wie die Expertin berichtet, zeigen andererseits viele Studien, dass man ein Stress-Reaktions-Verhalten regelrecht erlernen kann. „Wenn man den Stuhldrang immer wieder unterdrückt, etwa weil man unter Stress steht oder auf Reisen nicht auf eine fremde Toilette gehen möchte, kann man eine Verstopfung quasi erlernen.“ Der Darm gewöhnt sich daran, langsamer zu werden. Die Umerziehung kann mühsam werden: Das Bauchhirn ist nämlich sehr lernfähig und merkt sich angewöhnte Verhaltensweisen.
Funktionelle Störungen können außerdem psychosomatisch (mit)verursacht sein. „Das ist dann der Fall, wenn man schweren psychischen Belastungen ausgesetzt war – wenn man geschlagen, psychisch oder sexuell missbraucht wurde“, sagt Moser. „Studien zufolge kommt es bei jenen, die täglich Angst haben müssen, bedroht zu werden, auch zu Reaktionen im Magen-Darm-Trakt.“

Bewegung und nährende Beziehungen

Auch wenn sich zumindest die natürlichen körperlichen Reaktionen auf Stress oder Ärger nicht verhindern lassen, kann man dem Magen-Darm-Trakt vorbeugend viel Gutes tun – und ihn für herausfordernde Zeiten stärken. „Man weiß, dass er sehr gut auf Bewegung reagiert, weshalb man regelmäßig körperlich aktiv sein sollte“, betont Gabriele Moser.
Von einer (darm-)gesunden Ernährung profitiert nicht nur das Mikrobiom, sondern auch die Psyche. Und man weiß, dass sich psychische Ausgeglichenheit wohltuend auf den Organismus und das Immunsystem auswirkt. Dazu bedarf es auch guter Beziehungen – zu sich selbst und anderen. „Sich um zwischenmenschliche Beziehungen zu kümmern und Freundschaften zu pflegen, ist wichtig für den Verdauungstrakt“, betont die Medizinerin. „Kommunikation, Nähe, Sicherheit und Vertrauen – all das hat sehr viel mit dem limbischen System, dem Gefühlszentrum, zu tun und sollte gepflegt werden. Das Gefühl, in Sicherheit miteinander zu leben, stärkt den Magen-Darm-Trakt.“

Probiotika und Bauchhypnose

Und wie den Darm unterstützen, wenn man Antibiotika einnehmen muss? „Einzelne Studien zeigen, dass sich Probiotika oder Joghurt, also Produkte mit Bifido- und Laktobazillen, auf das Mikrobiom sehr günstig auswirken können“, weiß die Internistin.
Leidet man bereits unter einer funktionellen Störung gilt die Bauchhypnose als besonders wirksame Behandlungsform. Sie beruhigt den Magen-Darm-Trakt und macht ihn wieder kontrollierbar. „Die Betroffenen stellen sich bildhaft vor, wie sich die Darmtätigkeit normalisiert und der Darm ruhig wird“, sagt Gabriele Moser, die die Bauchhypnose in Gruppen anbietet und zu deren Langzeitwirkung eine vielbeachtete wissenschaftliche Studie publiziert hat.

*********************************

Intensive Wechselwirkung:
Psyche und Darm

Experten gehen heute davon aus, dass nicht nur die Psyche Einfluss auf den Magen-Darm-Trakt hat, sondern umgekehrt der Darm bzw. eine gestörte Darmflora psychische Probleme wie Angst, Stress oder depressive Stimmung mitverursachen kann. Grund dafür ist eine Besonderheit in der Bauch-Hirn-Achse: „Während nur 10 Prozent der Nervenverbindungen vom Hirn in den Bauch führen, gehen 90 Prozent vom Bauch in das Gefühlszentrum des Gehirns“, betont die Wiener Internistin Univ. Prof. Dr. Gabriele Moser.
So oder so sind Beschwerden in der Leibesmitte – Völlegefühl, Bauchkrämpfe und Schmerzen – ganz besonders belastend.
Der Grund liegt wieder in der „Bauch-Hirn-Achse“: Anders als etwa die Skelettmuskulatur oder die Haut ist der Darm über den Hirnnerv Nervus vagus sehr eng mit dem limbischen System und damit den Emotionen verbunden. „Deshalb geht es bei Verdauungsbeschwerden buchstäblich ans Eingemachte“, weiß Moser.

Stand 06/2015

Share

Das könnte Sie auch interessieren:

Logo medizinpopulär