Medizin & Trends

Zelltherapien heute und morgen

Mit Zellen heilen
 
Zellen sind die Bausteine des Lebens, die Zelltherapie gilt als Schlüssel zum medizinischen Fortschritt des 21. Jahrhunderts, mit ihr will man auch bislang unheilbaren Krankheiten zu Leibe rücken. Drei Formen der Zelltherapie sind bereits jetzt im Einsatz, in anderen Bereichen forscht und erprobt man noch.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Zelltherapien heute – eine kleine Auswahl

1. Blutstammzellen
Bis zu 400 Transplantationen pro Jahr

Die Diagnose traf sie wie ein Blitz: Leukämie, Blutkrebs, das hieß, dass ihr Knochenmark nur noch unreife weiße Blutkörperchen bildete, die ihr Blut überschwemmten. „Das war vor neun Jahren“, erzählt Veronika M. Die heute 42-Jährige ist geheilt und steht wieder mitten im Leben. Ihr hat die am längsten etablierte Form der Zelltherapie geholfen: die Knochenmarktransplantation. Knochenmarktransplantationen werden in Österreich seit 30 Jahren und mittlerweile bis zu 400 Mal im Jahr durchgeführt. 2007 zählte das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen 360 solcher Eingriffe.

Behandelt werden damit aber nicht nur Leukämie-Patienten, sondern auch „Menschen, bei denen das blutbildende System durch eine andere Erkrankung oder durch die Behandlung einer Erkrankung nicht mehr so funktioniert, wie es funktionieren sollte“, sagt Univ. Doz. Dr. Martin Imhof, Obmann des Vereins zur Förderung der Zelltherapie und Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe am Landesklinikum Weinviertel in Korneuburg. „Patienten, die früher als unheilbar krank galten, können durch die Knochenmarktransplantation geheilt werden.“

Die Therapie

Zunächst werden die kranken Blutzellen des Patienten medikamentös oder durch eine Strahlentherapie vernichtet. Im nächsten Schritt werden gesunde Blutstammzellen transplantiert. Diese stammen aus dem Knochenmark eines Spenders, dem sie bei Vollnarkose und durch eine Operation im Beckenbereich entnommen wurden. Sie können aber auch aus dem Blut kommen, woraus sie wie beim Blutspenden über die Vene entnommen werden. Dafür braucht der Spender nur einige Tage lang ein Medikament zu nehmen, damit sich die Blutstammzellen in höherer Konzentration als sonst im Blut befinden.

Anschließend werden die Blutstammzellen isoliert und eingefroren. Vor der Spende taut man sie wieder auf und injiziert sie dem Patienten in die Vene. Befinden sie sich einmal im Blutkreislauf, bewegen sich die Blutstammzellen von allein ins Knochenmark und beginnen dort mit der Bildung von gesundem Blut. Krebskranken, bei denen absehbar ist, dass das blutbildende System durch die Behandlung erkranken wird, werden vor der Chemo- und Strahlentherapie Blutstammzellen entnommen, um diese nach der Behandlung als Eigenspende einsetzen zu können.

Die Probleme

*   Die gespendeten Blutstammzellen können sich gegen den Körper des Empfängers richten und beginnen, Organe wie Haut, Leber oder Milz zu schädigen.

*   Mit den gespendeten Blutzellen können Krankheiten übertragen werden.

*   Bei Eigenspenden besteht das Risiko, dass sich der Tumor neu bildet.

Die Zukunft

Falls es möglich wird, Blutstammzellen aus eigenem Nabelschnurblut oder aus dem Nabelschnurblut der eigenen Kinder oder Geschwister zu verwenden, wird es kaum Unverträglichkeitsreaktionen mehr geben“, sagt Dr. Imhof. Außerdem falle auch das Risiko der Krankheitsübertragung weg, „denn Blutstammzellen aus Nabelschnurblut sind völlig frei von Krankheitserregern“.

2. Knorpelzellen
Machen Kniegelenke wieder fit

„Ich bin damals gestolpert und habe mir dabei das Bein so verdreht, dass es mir im Knie einen richtigen Stich gegeben hat“, erzählt Hubert L., 32 Jahre alt, was ihm beim Fußballspielen mit Freunden im Frühling vor zwei Jahren passierte. Erst als der Schmerz auch noch Monate später immer wieder auftrat und fast nicht mehr auszuhalten war, ging er zum Arzt. Defekter Knorpel lautete die Diagnose.
Er kam ans Zentrum für regenerative Medizin der Donau-Universität Krems, wo seit mittlerweile zehn Jahren eine weitere Methode der Zelltherapie angewandt wird: die Transplantation von Knorpelzellen in das Kniegelenk, um den defekten Knorpel zu heilen. Imhof schätzt, dass diese Behandlung weltweit bereits Tausende Male durchgeführt wurde. In Österreich kam sie so wie bei Hubert L., der inzwischen wieder schmerzfrei Fußballspielen kann, nach Angaben des Experten für Knorpelzelltransplantation Univ. Prof. Dr. Stefan Nehrer von der Donau-Universität Krems „an die 2000 Mal“ zum Einsatz.

Die Therapie

Dem Patienten werden kleine Knorpelstücke mit Knorpelzellen aus Bereichen des Kniegelenks entnommen, die nicht defekt sind. Diese Stücke werden im Labor aufbereitet, sodass sich die Knorpelzellen vermehren. Anschließend werden die Stücke wieder in das Kniegelenk implantiert, wo sich die Zellen weiter vermehren und der Knorpel nach und nach so groß wird, dass er seine Funktion wieder erfüllen kann.
Der Vorteil gegenüber den üblichen Behandlungen bei Knorpelverletzungen, die darin bestehen, den Knorpel abzuschleifen oder defekte Bereiche wegzuschneiden: Der Knorpel mit den neuen Knorpelzellen schützt die Knochen im Gelenk vor der Abnützung durch das ständige Aufeinanderreiben. Gegen die so entstehende schmerzhafte Arthrose hilft nur noch die Installierung eines künstlichen Kniegelenks.

Die Probleme

Die Methode kann derzeit nur bei Patienten unter 35 Jahren angewendet werden, da die Knorpelzellen Älterer nicht mehr in der Lage sind, sich zu vermehren.

Die Zukunft

In Tierversuchen mit Schafen zeigte sich, dass man aus Stammzellen, die dem Blut oder dem Knochenmark auch älterer Tiere entnommen werden, im Labor Knorpelzellen züchten kann, die sich noch vermehren und den Knorpeldefekt ausgleichen. Diesbezügliche Versuche mit Menschen stehen noch aus. Man befürchtet, dass sich die Stammzellen nicht in jedem Fall zu Knorpeln entwickeln, sondern manchmal zu Knochen. „Aber auch eine mögliche Entartung dieser hoch gezüchteten Zellen muss in Studien erst ausgeschlossen werden“, sagt Imhof.

3. Eizellen
Für schwerkranke Frauen mit Kinderwunsch

Monika T. war 28 Jahre alt, als bei einer Routineuntersuchung ein Knoten in ihrer Brust ertastet wurde. Wenig später erfuhr die junge Frau, dass sie an Brustkrebs erkrankt war und sich am besten sofort einer Operation mit anschließender Chemo- und Strahlentherapie unterziehen sollte. Da die Behandlung in den meisten Fällen mit dem Verlust der Fruchtbarkeit einhergeht, Frau T. aber einen Kinderwunsch hat, wurde ihr empfohlen, eine besondere Art der Zelltherapie durchführen zu lassen, die erst seit wenigen Jahren angeboten wird: Frauen, die Kinder möchten, aber vor einer Tumorbehandlung stehen, können sich Eierstockgewebe mit Eizellen entnehmen lassen. Nach der Heilung haben sie die Möglichkeit, sich Gewebe samt Zellen wieder einpflanzen zu lassen und schwanger zu werden. Der Spezialist für diese Technik Imhof:

„Weltweit haben sich bereits Zigtausende Frauen Eierstockgewebe entnehmen lassen, bei 25 Frauen wurde das Gewebe auch wieder erfolgreich eingesetzt, und ein Drittel davon ist schwanger geworden oder hat schon ein Kind geboren.“ In Österreich wurde wie bei Monika T. zwar auch schon Eierstockgewebe entnommen und eingefroren, die erste Re-Implantierung von Eierstockgewebe steht noch aus, werde aber in absehbarer Zeit stattfinden, sagt Imhof.

Die Therapie

Technisch ist diese jüngste der drei beschriebenen Zelltherapien einfach: Mit einer Bauchspiegelung wird Eierstockgewebe mit Eizellen entnommen, in Stücken tief gefroren und der Patientin später – nach dem Auftauen – in den Unterarm oder in den Unterbauch eingesetzt. Die Zellen beginnen schnell von selbst wieder mit der Produktion von Eizellen und Hormonen.

Das Problem

Bei bisher zehn Prozent der behandelten Frauen führte das Implantat im Körper nicht zur gewünschten Hormonproduktion.

Die Zukunft

Ich kann mir vorstellen, dass sich in einiger Zeit auch gesunde Frauen in jungen Jahren Eierstockgewebe entnehmen lassen, um sich bei später eventuell auftretenden Problemen ihren Kinderwunsch erfüllen zu können“, sagt Imhof. Ebenfalls denkbar: Das Eierstockgewebe, das in jungen Jahren entnommen und eingefroren wurde, wird Frauen in späteren Jahren eingepflanzt, um die Hormonsituation zu beeinflussen. „Dadurch könnten Frauen die Wechseljahre ohne Beschwerden erleben.“

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Böse“ Zelle im Fokus:
Neue Krebstherapie in Sicht?

Nicht auf die gesunden, „guten“ Zellen wie die Zelltherapeuten, sondern auf die „bösen“ Zellen richtet ein Forscherteam um Univ. Prof. Dr. Christoph Zielinski von der Medizinischen Universität Wien seit geraumer Zeit sein Augenmerk, um eine neue Möglichkeit der Krebstherapie zu erschaffen. Konkret bemüht man sich darum, jene so genannten Tumorstammzellen zu identifizieren, die für das Wachstum eines Tumors sorgen, und sie medikamentös zu vernichten. Die größte Schwierigkeit, das Übel Krebs auf diese Art und Weise an der Wurzel zu packen, bestehe darin, abgesehen von den Tumorstammzellen, die sich im Blut bewegen, auch die ruhenden Tumorstammzellen zu erwischen und zu vernichten – mit einem Durchbruch sei, so Zielinski, aber in absehbarer Zeit zu rechnen.

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Zelltherapien morgen – eine kleine Auswahl

Bei Harn- und Stuhlinkontinenz:

An der Medizinischen Universität Innsbruck wurde ein Verfahren probeweise angewandt, bei dem durch die Implantierung entsprechender Zellen die Schließmuskeln bei inkontinenten Patienten gekräftigt werden. Der klinische Beweis dafür, dass die Zelltherapie gegen Inkontinenz wirkt, steht allerdings noch aus.

Bei Diabetes:

Im Tierversuch wurde bereits erreicht, dass durch die Zelltherapie körpereigene Zellen wieder Insulin produzieren. Experten meinen, dass die Therapie in fünf bis zehn Jahren am Menschen erprobt werden kann.

Bei HIV:

Mit einer Transplantation von bestimmten Stammzellen wurde erreicht, dass bei einem Aids-Kranken, der zusätzlich an Leukämie erkrankt war, nicht nur die Leukämie zurückging, sondern auch die HIV-Infektion. Noch sei aus diesem Fall aber keine Therapie für alle HIV-Kranken abzuleiten, sagen die behandelnden Mediziner.

Bei Tuberkulose:

Mit einer neuartigen Technik rettete ein internationales Team von Ärzten das Leben einer Frau aus Barcelona. Sie war an Tuberkulose erkrankt, was ihre Luftröhre und Lunge in Mitleidenschaft gezogen hatte. Aus der Luftröhre eines Fremdspenders und mit Stammzellen, die sie dem Knochenmark der Frau entnommen hatten, züchteten sie ein Luftröhren-Implantat und setzten es ihr ein. Die Frau gilt heute als geheilt.

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