Im Mai fand in Wien die EuroPerio11 statt – der weltweit größte Fachkongress für Parodontologie und Implantologie. Univ.-Prof. Dr. med. dent. James Deschner, Direktor der Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung der Universitätsmedizin Mainz, fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
Wie verändert Künstliche Intelligenz die Zahnmedizin?
KI ist längst auch in der Zahnmedizin angekommen – ob als App, die an die Mundhygiene erinnert, Videos bereitstellt oder sogar das Zahnfleisch scannt, oder als Software, die Röntgenbilder analysiert und sofort den Knochenverlust in Prozent berechnet. Für die Forschung bietet das enorme Vorteile, etwa beim Auswerten von Therapieverläufen. Sogar die Analyse von Hunderttausenden Bakterienarten im Mund ist durch KI schneller und präziser geworden. Das eröffnet neue Möglichkeiten in Prävention, Diagnostik und Therapie.
Welche Rolle spielt die Ernährung?
Eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, Obst, Nüssen, Omega-3-Fettsäuren und wenig Zucker ist unbestritten gut für Zähne und Zahnfleisch. Die mediterrane Küche gilt als besonders zahnschonend, extrem einseitige Diäten bergen dagegen Risiken für Mangelerscheinungen. Auch der populäre Trend des Intervallfastens hat bislang wenig wissenschaftliche Evidenz für die Mundgesundheit. Zwar könnte es indirekt Vorteile bringen, wenn dadurch Gewicht und Entzündungswerte sinken. Doch lange Essenspausen reduzieren den Speichelfluss, was zu Mundtrockenheit, Mundgeruch und damit auch zu einem höheren Kariesrisiko führen kann.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Parodontitis und neurodegenerativen Erkrankungen?
Ja – und er ist komplex. Menschen mit Alzheimer oder Parkinson haben oft eine schlechtere Mundhygiene, weil motorische Einschränkungen oder Gedächtnisprobleme das Zähneputzen erschweren. Gleichzeitig können Bakterien und Entzündungsstoffe aus dem Mund über Blut oder Nervenbahnen ins Gehirn gelangen und dort Prozesse fördern, die Nervenzellen schädigen. So entsteht ein Teufelskreis aus schlechter Mundgesundheit und Fortschreiten der Erkrankung. Erste Studien deuten an, dass eine konsequente Parodontitistherapie den Verlauf solcher Erkrankungen positiv beeinflussen könnte.
Sollte man vor Operationen immer auch die Zähne untersuchen lassen?
Vor Krebsbehandlungen wie Chemotherapie oder Bestrahlung ist ein zahnärztlicher Check Standard – um Entzündungsherde zu beseitigen, bevor die Immunabwehr geschwächt wird. Für andere Operationen gilt: Wer schon lange nicht bei der Zahnärztin oder beim Zahnarzt war, sollte spätestens vor einem größeren Eingriff sicherstellen, dass keine versteckten Infektionen bestehen. Schlechte Mundhygiene kann die Wundheilung beeinträchtigen.
Lohnt sich der Erhalt „hoffnungsloser“ Zähne?
In vielen Fällen ja. Selbst stark gelockerte Zähne mit erheblichem Knochenabbau können oft über Jahre stabilisiert werden, wenn die Entzündung gestoppt wird. Der Erhalt hat klare Vorteile: Er vermeidet chirurgische Eingriffe und erhält das natürliche Gefühl beim Kauen. Nur wenn eine erfolgreiche Behandlung nicht mehr möglich ist oder der Zahn zur dauerhaften Infektionsquelle wird, ist eine Entfernung sinnvoll.
Welche Risiken bestehen in der Schwangerschaft?
Parodontitis kann das Risiko für Frühgeburten und untergewichtige Neugeborene erhöhen. Eine Behandlung im zweiten Trimester ist sicher und ratsam, wenn akuter Handlungsbedarf besteht. Die Studienlage zeigt jedoch: Eine Therapie während der Schwangerschaft senkt das Risiko nicht eindeutig. Deshalb gilt – am besten schon vor einer Schwangerschaft regelmäßig zur Kontrolle gehen und mögliche Entzündungen behandeln lassen.
Was bedeutet Osteoporose für den Kieferknochen?
Osteoporose betrifft auch den Kieferknochen und kann so das Risiko für Zahnlockerungen und Parodontitis erhöhen. Bestimmte Medikamente, etwa Bisphosphonate, können bei Infektionen in der Mundhöhle das Risiko für Kieferknochennekrosen steigern. Deshalb ist vor Beginn einer Osteoporose-Therapie eine zahnärztliche Untersuchung unverzichtbar.
Warum sollte der Zahnhalteapparat mehr Aufmerksamkeit bekommen?
Karies ist dank Fluoridierung stark zurückgegangen – Parodontitis dagegen bleibt die Hauptursache für Zahnverlust im Erwachsenenalter. Der Zahnhalteapparat ist wie das Fundament eines Hauses: Wenn er bröckelt, nützt das schönste Dach nichts. Regelmäßige Vorsorge, frühe Diagnose und konsequente Therapie sind daher ausschlaggebend, um Zähne möglichst ein Leben lang zu erhalten.
European Federation of Periodontology
Die Bedeutung von gesundem Zahnfleisch für die Mundgesundheit wurde in der Vergangenheit stets unterschätzt. Daher wurde 1991 die European Federation of Periodontology (EFP) gegründet, die sich diesem Thema besonders annimmt. Heute sind 18.000 Parodontologinnen und Parodontologen Mitglieder der EFP und forschen nach neuen Erkenntnissen, wie man Wechselwirkungen besser unter Kontrolle bekommt und wie Vorsorge am besten greift.
Fotos: Pulkowski/Unversitätsmedizin Mainz, istockphoto/invincible bulldog