Nicht zuletzt deshalb, weil beim Sex alle fünf Sinne auf ihre Kosten kommen, ist er so lustvoll. Der Orgasmus gilt gemeinhin sogar als Höhepunkt des Genusses. Warum das so ist, entschlüsselt die Wissenschaft allerdings erst nach
und nach.
Von Mag. Sabine Stehrer & Mag. Karin Kirschbichler
Er hat zwar schon den Neandertalern Lust auf Fortpflanzung gemacht, seinen Namen erhielt er aber erst von den alten Griechen: Orgasmus bedeutet übersetzt so viel wie heftige Erregung. Was dabei passiert, hört sich nach medizinischer Definition zunächst nicht ganz so prickelnd an: „Während des Orgasmus ist bei Männern und bei Frauen der gesamte Genitalbereich maximal durchblutet. Das sorgt für sexuelle Spannung“, erklärt die Wiener Sexualmedizinerin Dr. Elia Bragagna die körperliche Ausgangslage für den sinnlichen Höhenflug. „Durch einen Vorgang im Gehirn, der einem neuronalen Feuerwerk gleicht und von unwillkürlichen, rhythmischen Muskelkontraktionen begleitet wird, entlädt sich diese Spannung“, beschreibt die Medizinerin die Kaskade der Lust. Währenddessen hat der Mann eine Ejakulation, den Samenerguss, und aus Drüsen rechts und links der Harnröhre, der sogenannten weiblichen Prostata, kommt es auch bei manchen Frauen zum Erguss eines Sekrets.
Gehirn als Sexualorgan Nummer 1
Was den sexuellen Höhepunkt zum Höhepunkt des Genusses macht, entschlüsselt die Wissenschaft nach und nach. So kennt man inzwischen die neurochemischen Prozesse im Gehirn immer besser, die daran beteiligt sind, dass die Vorgänge an tiefer liegenden Körperstellen als lustvoll empfunden werden. Nicht umsonst wird das Gehirn auch als wichtigstes Sexualorgan des Menschen bezeichnet. Denn just im Augenblick des Orgasmus setzt diese Schaltzentrale eine Extraportion Dopamin frei. Das ist ein Nervenbotenstoff, der uns ein wohliges Gefühl der Belohnung vermittelt. Zugleich wird auf Kommando des Gehirns eine große Ration Oxytocin ausgeschüttet. Das wiederum ist ein Botenstoff, der den Wunsch nach Kuscheln weckt und die Bindung zum Partner stärkt.
Mit fünf Sinnen beim Liebesakt
„Diese wohltuenden Substanzen werden aber nicht nur beim sexuellen Höhepunkt in unser Blut geschleust, sondern auch schon beim Sex davor“, lüftet Bragagna weitere Details. In welcher Menge diese körpereigenen Drogen unseren Organismus durchfluten, hängt wiederum davon ab, wie positiv unsere fünf Sinne beim Sex gereizt werden. Je angenehmer es empfunden wird, den Partner anzuschauen, seinen Atem und seine Stimme zu hören, ihn zu riechen, zu schmecken, zu fühlen, und je eher man dazu in der Lage ist, sich der Macht aller Sinne hinzugeben, desto großzügiger ist Mutter Natur bei der Verteilung der Goodies für unser Wohlbefinden. Kurz: Je mehr alle Sinne auf ihre Kosten kommen, desto lustvoller ist der Sex.
Prinzipiell funktioniert das bei jedem von uns gleich. Nur wann das Dopamin bzw. Oxytocin ausgeschüttet wird, ob z. B. eher beim Streicheln oder beim Küssen, das sei von Mensch zu Mensch unterschiedlich. „Es gibt aber geschlechtsspezifische Häufungen“, weiß Bragagna. So genießen Männer den Erfahrungen der Sexualmedizinerin nach beim Sex eher den Anblick und den Geruch der Partnerin, besonders aber auch das Spüren ihres Körpers und das Gefühl beim Ejakulieren. „Frauen hingegen empfinden den Sex oft deswegen als genussvoll, weil sie dabei gestreichelt werden. Und weil ihnen dabei gesagt wird, dass sie geliebt werden“, so Bragagna. „Das ist Frauen oft sogar wichtiger, als zum Höhepunkt zu kommen.“
Weibliche Spezialitäten
Wie stark der Genuss beim Sex ist, hängt bei Frauen überdies von ihrem Zyklus ab. Wenn kurz vor dem Eisprung die Chance, schwanger zu werden, am größten ist, steigt der Spiegel an Östrogenen im weiblichen Blut an. Diese Extraportion an weiblichen Sexualhormonen wiederum bewirkt, dass Frauen den Geruch der Sexualbotenstoffe des Mannes, der Pheromone, als angenehm empfinden und dass der Oxytocinpiegel steigt. Beides führt dazu, dass sich Frauen in dieser Zyklusphase stärker zum Partner hingezogen fühlen.
Und noch eine Spezialität hat sich Mutter Natur für die Damen ausgedacht: „Das weibliche Gehirn lässt beim Sex und Orgasmus umso mehr Oxytocin produzieren, je länger die Beziehung zum Partner dauert“, berichtet Bragagna aus der Forschung. Das erkläre, warum die Frau durch Sex neben Lust auf mehr Sex auch rascher als der Mann den Wunsch nach einem lustvollen gemeinsamen Leben entwickelt.
Cocktail für gute Stimmung
Häufiger Sex bringt nicht nur laufend Nachschub an Oxytocin und Dopamin. Vielmehr mixen verschiedenste Drüsen beim Liebesakt einen Cocktail aus weiteren Substanzen, die Lust aufs Leben machen, wenn auch in jeweils geringen Mengen. Dazu zählen das Glückshormon Serotonin sowie die anregenden Botenstoffe Adrenalin und Noradrenalin. Das Sexualhormon Testosteron erhöht bei Männern und Frauen die Leistungsfähigkeit, das Östrogen wiederum sorgt bei Frauen dafür, dass die Antennen ihrer Sinne noch empfänglicher werden. Das Sättigungshormon Prolaktin hilft mit, dass wir uns nach dem Sex satt vor Glück fühlen. Und das unaussprechliche Phenylethylamin schließlich, eine Substanz, die z. B. auch in Schokolade steckt, macht die gute Stimmung im Bett perfekt.
Wie lange die Wirkung dieses Cocktails anhält, weiß man bislang nicht so genau. Sicher ist lediglich, dass bei Frauen durch die Erhöhung des Testosteronpegels beim Sex die körperliche Leistungsfähigkeit noch bis zum Tag danach größer ist. Zumindest schneiden sie dann bei sportlichen Wettkämpfen besser ab. Bei Männern ist das zwar nicht der Fall. Bei ihnen bewirkt dafür die Extraportion Testosteron, Oxytocin und Dopamin zumindest eine Zeit lang wohlige Entspannung.
Foto: iStock, PeopleImages