Was Paare heute zusammenhält
Die Schnelllebigkeit der modernen Zeit hat längst auch die Liebe erfasst. Und so dauert der Bund fürs Leben meist nur einen Lebensabschnitt lang. Trotz oder wegen der vorherrschenden Unbeständigkeit ist die Sehnsucht nach dauerhafter Zweisamkeit groß. Drei Viertel der heimischen Singles möchten nichts lieber als das Wagnis Liebe (erneut) einzugehen, die Mehrheit von ihnen träumt von einer langfristigen Beziehung. Was Paare heute zusammenhalten kann, zeigen Experten für MEDIZIN POPULÄR auf.
Von Mag. Alexandra Wimmer & Mag. Karin Kirschbichler
„Für immer Liebe“, „Das Leben gehört uns“, „Die Kunst zu lieben“, „The Lucky One – Für immer der Deine“: Allein die Kinofeger der jüngsten Zeit zeigen, wie gut es die Filmindustrie versteht, unseren Wunsch nach trauter Zweisamkeit und Happyend in Sachen Liebe publikumswirksam auszuschlachten. „Die Sehnsucht nach einer Beziehung ist ein ganz fundamentales Bedürfnis des Menschen“, sagt der Sozialpsychologe Prof. Dr. Manfred Hassebrauck von der Bergischen Universität Wuppertal. Er ist Deutschlands führender Experte auf den Gebieten Liebe und Partnerwahl, die er seit 30 Jahren erforscht.
Ganz unwissenschaftlich spielt das Fernsehen mit unserem „fundamentalen Bedürfnis“, und das oft gleich mehrmals täglich. Romanzen von Inga Lindström bis Rosamunde Pilcher boomen, ihr Erfolgsgeheimnis ist so märchenhaft wie simpel: Sind Irrungen und Wirrungen umschifft, laufen Frauen und Männer am Ende paarweise in den Hafen der Ehe ein – bis dass der Tod sie scheidet. Die Realität sieht freilich anders aus. Viele, und immer mehr Paare erleiden schon nach kurzer Zeit Schiffbruch. Die Kurz- und Schnelllebigkeit der modernen Gesellschaft hat eben längst auch die Liebe erfasst. Was bleibt, ist die Sehnsucht – und die Frage: Wie lässt sich allen stürmischen Widrigkeiten des modernen Lebens zum Trotz der Beziehungskahn auf Kurs halten? Für MEDIZIN POPULÄR nennen Experten die heute wichtigsten Anker für dauerhafte Zweisamkeit:
1. Emotionale Nähe:
Eintauchen unter die Oberfläche
In Zeiten, da man sehr viele, dafür oberflächliche (Facebook-)Beziehungen pflegt, den Partner in spe beim Speed-Dating oder im Internet sucht, ist emotionale Nähe alles andere als selbstverständlich. Wer gelernt hat, sich immer nur von der Schokoladenseite zu präsentieren, dem fällt es schwer, die vielleicht weniger attraktiven Wesenszüge zu zeigen. „Bei emotionaler Nähe geht es aber darum, Freude und Leid zu teilen, das Gefühl zu haben, sich auf jemanden verlassen, jemandem vertrauen zu können“, macht Manfred Hassebrauck Mut, unter die Oberfläche einzutauchen.
Der innige Ausdruck der Liebe, der dort gedeiht, ist nicht zu verwechseln mit den Gefühlen der ersten Verliebtheit, den Schmetterlingen im Bauch. „Diese physiologischen Begleiterscheinungen des Verliebtseins gehen in der Regel schnell, spätestens nach zwei Jahren, zurück“, zerstört auch Hassebrauck weit verbreitete Illusionen. Der Experte warnt davor, dies als Zeichen zu sehen, dass die Beziehung weniger gut als am Anfang ist: „Man muss akzeptieren, dass das aufregende Gefühl des romantischen Verliebtseins nicht ewig hält.“
„Verliebtheit ist ein Zustand, in den wir ohne unser Zutun geraten. Liebe hingegen ist die Entscheidung für eine Partnerschaft und bedeutet auch Arbeit“, ergänzt Dr. Lucia Monschein-Obwegeser, Allgemeinmedizinerin, Fachärztin für Innere und psychotherapeutische Medizin und Imago-Paartherapeutin im niederösterreichischen Scheibbs. Dabei ist ein inniges, liebevolles Miteinander nichts, das man von heute auf morgen „kann“. Viele sind geneigt, das Handtuch zu werfen, wenn es schwierig wird. „In der Regel haben wir nicht gelernt, mit Konflikten umzugehen“, sagt die Paartherapeutin. „Wenn man aber füreinander offen bleibt, das Interesse am anderen aufrechterhält und ihn im Anderssein wertschätzt, dann kann die Liebe immer tiefer werden“, ist die Expertin überzeugt. Wichtigstes Werkzeug, um einander auch in Krisenzeiten nah zu bleiben: Kommunikation. „Man sollte im Gespräch bleiben, reden, verhandeln, auch wenn quasi hoher Seegang herrscht“, formuliert es Monschein-Obwegeser.
2. Werte & Interessen:
Der Kick des gemeinsamen Nenners
Regelmäßige Grundsatzdiskussionen darüber, ob man in der Großstadt bleibt oder vielleicht doch einen Biobauernhof im Burgenland bewirtschaftet, ob man zusammen oder besser in zwei getrennten Wohnungen lebt, ob man eine Großfamilie oder überhaupt ein Kind will, nagen am Liebesglück. Die Partner sind – wie zahlreiche Untersuchungen zeigen – mit ihrer Beziehung zufriedener, wenn sie in wesentlichen Fragen übereinstimmen: bei Werten und Interessen, der Art, wie sie das Leben und die Beziehung führen wollen, wie nahe sie einander sein möchten.
Gerade in Zeiten von schier unbegrenzten Möglichkeiten entfaltet der gemeinsame Nenner seinen besonderen Kick. In dem Zusammenhang schätzt Psychologe Hassebrauck auch die Chance, den Partner fürs Leben im World Wide Web zu „treffen“: „Die Möglichkeiten, jemanden zu finden, der gut zu einem passt, werden dadurch erweitert“, sagt der Experte. Dies gelte insbesondere dann, wenn sich das Datingportal bei den Partnervorschlägen auf wissenschaftlich basierte Verfahren stützt.
Ob man seinen Partner in der realen oder der virtuellen Welt kennenlernt: Noch so viele Gemeinsamkeiten sollten nicht dazu verführen, dass man die Beziehung als selbstverständlich hinnimmt. „Wir müssen dem anderen unser Interesse und unsere Aufmerksamkeit zeigen, ihn zwischendurch auch einmal überraschen“, betont Manfred Hassebrauck. Dazu braucht es keine teuren Geschenke, was zählt ist die „Signalfunktion“: Ich habe an dich gedacht. Du bist mir wichtig. Schön, dass es dich gibt.
3. Sex:
Den nackten Tatsachen ins Auge sehen
Sex und Körperkontakt sind für eine Beziehung wichtig, aber sie sind nicht das Wichtigste, räumt der Sozialpsychologe Hassebrauck mit einem weiteren Liebesmythos auf: „Was zählt ist, dass die gewünschte Häufigkeit von Sex mit der tatsächlichen übereinstimmt“, so der Beziehungsexperte. „Wenn das der Fall ist, sind die Partner mit ihrem Sexleben zufrieden.“
Nicht selten führen unrealistische Erwartungen zur Unzufriedenheit mit dem Liebesleben. Und der Vergleich macht Paare erst recht unsicher: „Befragungen haben gezeigt, dass die meisten meinen, die anderen hätten erheblich mehr Sex als sie selbst.“ Die ständige Präsenz von Erotik und Sexualität nicht zuletzt in den Medien sei der Grund für diese falsche Überzeugung.
Ganz anders die nackten Tatsachen: Bei „alt gedienten Ehepaaren“ geht es in der Regel seltener zur Sache. „Studien zeigen, dass das abnehmende Interesse am Sex sowohl am biologischen Alter als auch am Alter der Beziehung liegt“, berichtet Manfred Hassebrauck. „Menschen, die mit über 50 oder 60 Jahren eine neue Beziehung beginnen, berichten anfangs zwar über eine erhöhte Häufigkeit. Doch schon nach relativ kurzer Zeit unterscheiden sie sich im Sexualleben nicht mehr von den Gleichaltrigen, die eine lange Beziehung haben.“
Ob frisch verliebt oder seit Jahren ein Paar: Dass sie ihren Partner, ihre Partnerin anziehend und „sexy“, finden, wussten die meisten allerdings auf den ersten Blick. „Untersuchungen zeigen, dass wir binnen 90 Sekunden entscheiden, ob wir jemanden als potenziellen Partner wahrnehmen oder nicht“, so Monschein-Obwegeser.
4. Unabhängigkeit:
Selbstverwirklichung im Doppelpack
Sie pilgert jedes Jahr mit der besten Freundin auf dem Jakobsweg, er lässt sich seine mehrwöchigen Segeltörns unter Männern nicht nehmen. Individualismus und Eigenständigkeit stehen hoch im Kurs, auch in der Liebe: „Sich ausschließlich durch den anderen zu definieren, ist auf Dauer für die meisten nicht zufriedenstellend“, weiß Hassebrauck. Symbiotische Beziehungen, in denen die Partner quasi miteinander verschmelzen, machen letztlich nicht glücklich.
„Zu einer guten Beziehung braucht es auch individuelle Rückzugsmöglichkeiten, Gelegenheiten, den eigenen Hobbys nachzugehen, einen eigenen Freundeskreis“, fasst Hassebrauck zusammen, was in modernen Partnerschaften ohnehin mehr und mehr zur Realität wird. Doch je mehr Selbstverwirklichung für den einzelnen zur Selbstverständlichkeit wird, desto mehr wird sie im Doppelpack zur Herausforderung. Wie viel Freiraum der jeweiligen Liebesbeziehung gut tut, muss jedes Paar für sich herausfinden. In diesem Punkt einen gemeinsamen Nenner zu finden (siehe Punkt 2), wird nicht selten erst recht zur Zerreißprobe für das Wagnis Liebe.
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Gesunder Kitt Körperkontakt:
„Halten, um zu behalten!“
Der Gute-Morgen-Kuss, eine innige Umarmung zwischendurch, das Kuscheln beim Einschlafen: Der Körperkontakt zwischen Liebenden gilt als besonderer Gesundheitsfaktor – insbesondere dann, wenn die Beziehung innig und vertraut ist. Während die Berührung durch Fremde sogar Stress erzeugt, leben wir beim Kuscheln mit dem Liebsten auf. Und die Streicheleinheiten gewinnen im Lauf der Zeit sogar noch an Bedeutung. „Gerade in einer langjährigen Beziehung sind Berührungen wichtig, um die Qualität der Partnerschaft aufrechtzuerhalten“, betont der Umweltphysiologe
Ao. Univ. Prof. Dr. Cem Ekmekcioglu, der sich seit langem mit den positiven Auswirkungen von Körperkontakt beschäftigt. „Es geht gleichsam auch darum, zu halten, um zu behalten.“
Daneben hat man in Studien herausgefunden, „dass angenehmer Körperkontakt zum einen Wohlbefinden hervorrufen und zum anderen Stress reduzieren kann“, berichtet der Facharzt. Das Wohlgefühl wird vor allem mit dem „Kuschelhormon“ Oxytocin in Verbindung gebracht. „Studien zufolge weisen Partner, die sich beispielsweise oft umarmen, höhere Oxytocinspiegel auf als jene, die das nicht tun“, erklärt der Mediziner.
Und auch die Psyche profitiert: Stress wird reduziert, indem durch angenehme Berührungen die Aktivität des Stressnervensystems gedämpft wird. Das hat auch günstige Auswirkungen auf den Blutdruck: „Untersuchungen zeigen, dass in einer Stresssituation der Blutdruck weniger ansteigt, wenn die betreffende Person davor angenehmen Körperkontakt mit einer nahe stehenden Person hatte“, berichtet Cem Ekmekcioglu. Dasselbe gilt für den (verminderten) Anstieg von Cortisol, dem Stresshormon schlechthin.
So wohltuend glückliche Beziehungen sind, so schädlich können schwierige Partnerschaften etwa für das Immunsystem sein. Ekmekcioglu ergänzt: „Eine schlechte Beziehung kann sich vor allem auch ungünstig auf das Herzkreislaufsystem auswirken.“
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„Man nähert sich an im Laufe der Jahre…“
Was das Ehepaar Steindl schon seit fast 50 Jahren zusammenhält
Nach dem „verflixten siebten Jahr“ ihrer Beziehung haben sie geheiratet, zwei Kinder bekommen und sind seit mittlerweile 41 Jahren ein Ehepaar: Dr. Gertraude (67) und
Dr. Clemens Steindl (68) beschäftigen sich jetzt im Ruhestand in gemeinsamen Büchern mit Fragen, die so viele Paare bewegen: Wie hält eine Ehe bis zur Pension? Wie wird eine Liebesbeziehung im Alter sogar noch schöner und inniger? Im Gespräch mit MEDIZIN POPULÄR verraten sie, was sie seit ihrer Studienzeit zusammenhält.
MEDIZIN POPULÄR:
Sie sind seit fast einem halben Jahrhundert ein Paar und zählen damit zu den wenigen, die tatsächlich einen „Bund fürs Leben“ eingegangen sind. Wie ist es dazu gekommen?
Gertraude Steindl: Wir waren von Anfang an viel zusammen, haben aber bis zur Heirat nicht zusammengelebt. Wir haben uns buchstäblich zusammengestritten und ausgelotet, was unsere Beziehung aushält. Da, wo heute die eine oder andere Ehe scheitert, da haben wir sie überhaupt erst begonnen. Das heißt nicht, dass wir nicht bis heute auch unsere Streitpunkte haben. Wir sind zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten – das hat unsere Partnerschaft auch immer sehr lebendig gehalten.
Clemens Steindl: Worüber wir aber zum Beispiel nie streiten, sind Urlaube.
Gertraude Steindl: Ja, es gibt Themen, bei denen sind wir uns sofort einig. Auch über Werte haben wir nie diskutiert. Und als wir geheiratet haben, haben wir aus Liebe geheiratet: Die Schmetterlinge im Bauch waren zu dem Zeitpunkt schon überwunden, aber wir haben gewusst, wir möchten versuchen, den Weg gemeinsam zu gehen, und zusammen alt werden.
Clemens Steindl: Was unser Zusammenleben von Anfang an sehr produktiv gemacht hat, war, dass jeder seine Eigenständigkeit bewahrt hat und wir zugleich etwas Gemeinsames versucht haben.
Was ist Ihnen in der Beziehung noch besonders wichtig?
Clemens Steindl: Die gegenseitige Unterstützung. Dazu gehört auch, wahrzunehmen, wie es dem anderen gerade geht, sodass man sich einbringt, wenn’s notwendig ist, und sich zurücknimmt, wenn’s erforderlich ist.
Gertraude Steindl: Wichtig ist außerdem der Respekt vor dem anderen, sich gegenseitig anzunehmen, wie man ist. Ich würde von meinem Mann nie Dinge verlangen, von denen ich weiß, sie würden ihm gegen den Strich gehen.
Clemens Steindl: Wobei man sich durch die Gemeinsamkeit im Lauf der Zeit schon auch ändert.
Gertraude Steindl: Ja, ich glaube, dass man sich annähert im Laufe einer so langen Beziehung.
Sie sagen, Sie streiten mitunter auch?
Gertraude Steindl: Ja, es kann mich niemand so auf die Palme bringen wie mein Mann, weil er natürlich weiß, wo ich am verletzlichsten bin…
Clemens Steindl: … und umgekehrt …
Gertraude Steindl: Aber wir haben eine denkbar einfache Konfliktregelung, an die wir uns seit Beginn unserer Ehe halten: Wir beschließen den Tag, etwa nach einer größeren Auseinandersetzung, nicht, ohne dass einer von uns ein Signal der Versöhnung gesendet hat.
Gibt es etwas, das sich durch die Beziehung erst entwickelt hat?
Clemens Steindl: Ich habe erst in unserer Ehe gelernt, über Gefühle zu reden, mich mitzuteilen. Das war mir fremd. Wenn es mir heute trotzdem manchmal schwerfällt, werde ich von Gertraude nicht bedrängt, zu reden. Aber es gibt eigentlich nichts, was nicht irgendwann zur Sprache kommt.
Und hat sich die Beziehung selbst im Lauf der Zeit verändert?
Gertraude Steindl: Ich glaube, dass ein Paar anders zusammenlebt, solange die Kinder noch im Haus sind und man voll berufstätig ist. Wenn man in Pension geht, entsteht eine vollkommen neue Situation – das war der Zeitpunkt, wo wir uns als Paar neu gefunden haben.
Clemens Steindl: Jetzt im Alter können wir anders aufeinander eingehen und uns in manchem neu entdecken – sich als Paar neu zu erfinden, ist sehr spannend.
Wie kann man sich das vorstellen?
Gertraude Steindl: Wir leben jetzt zusammen wie zu Studentenzeiten. Wir unternehmen viel und genießen es, dass wir so gut miteinander alt werden können. Die größte Freude macht uns unser Enkelkind. Mit der kleinen Clara entdecken wir die Welt wieder neu.
Foto: iStock, diignat