Lunge, Atemwege & Allergien

Die Plagen der kalten Jahreszeit

Nicht nur Erkältung und Grippe treten in der kalten Jahreszeit gehäuft auf. Auch Magen- und Darmerkrankungen, Venenprobleme und sogar Herzinfarkt und Schlaganfall zählen zu den Plagen, die jetzt Hochsaison haben. Und Menschen, die an Krankheiten wie Asthma, Rheuma oder Neurodermitis leiden, geht es bei Kälte oft besonders schlecht. Warum wir nicht für den Winter gebaut sind.

Von Mag. Sabine Stehrer

So wie der Winter nach dem Frühling, Sommer und Herbst die letztgereihte Jahreszeit ist, sind die Monate von Dezember bis März für viele Menschen die letzten, die sie erleben: Die Statistiken verzeichnen in dieser Zeit die meisten Todesfälle.
Doch nicht nur der Tod hat im Winter Saison. Verschiedene Langzeitstudien und Beobachtungen zeigen: Auch die Zahl der Krankheitsfälle nimmt im Winter zu, und chronische Krankheiten verschlimmern sich oft. „Wir Menschen sind an sich tropische Lebewesen. Das heißt, wir sind für das Leben in den Tropen gebaut“, liefert Univ. Prof. Dr. Wolfgang Marktl, Präsident der Wiener Internationalen Akademie für Ganzheitsmedizin, die Erklärung. In den Gebieten rund um den Äquator hat es das ganze Jahr über wohlige 20 Grad Celsius und mehr. Temperaturen darunter und erst recht winterliche Kälte stellen eine Bedrohung für die Gesundheit dar. Der Grund: „Bei niedrigen Temperaturen trachtet der Körper danach, die Körperkerntemperatur aufrechtzuerhalten, die beim Menschen zwischen 35,8 und 37,2 Grad liegt. Und das gelingt unter anderem dann besser, wenn das warme Blut nicht so weit außen an der Körperhülle zirkuliert, also wird dort die Durchblutung gedrosselt“, erklärt der Ganzheitsmediziner und Physiologe Marktl, warum der Mensch nicht für die Kälte gebaut ist.

Schleimhäute sind anfälliger

Die Drosselung der Durchblutung wirkt sich u. a. auf den Zustand der Schleimhäute aus: „Diese werden bei einer geringeren Durchblutung weniger gut als sonst mit Abwehrstoffen und Feuchtigkeit versorgt“, erklärt Marktl und ergänzt: „Beides zusammen genommen macht die Schleimhäute anfälliger für Angriffe von verschiedenen Krankheitserregern.“ Rhinoviren, die Erkältungen verursachen, und Grippeviren haben es dann besonders leicht, über die Schleimhäute der Atemwege in den Körper einzudringen und uns krank zu machen. „Außerdem fühlen sich Viren bei kühlen Temperaturen offenbar wohler als in der Wärme oder Hitze, genau wie auch Bakterien“, ergänzt Wolfgang Marktl. Und Bakterien gesellen sich gern zu einer viralen Infektion, um Halsweh, Schnupfen und Husten zu verschlimmern. In der Folge kann sich eine Erkältung oder Grippe zu einer Bronchitis, Nasennebenhöhlen-, Lungen- oder sogar Herzmuskelentzündung auswachsen.

Atemmuskulatur ist geschwächt

Nicht nur Erkältung und Grippe machen hierzulande im Winter häufiger als in anderen Jahreszeiten zu schaffen, sondern auch weitere Krankheiten der Atemwege, allen voran chronisches Asthma. „Das liegt daran, dass bei Kälte nicht nur die Schleimhäute der Atemwege weniger gut durchblutet sind, sondern auch die Atemmuskulatur“, erläutert Marktl. Das wiederum erschwert besonders Asthmatikern das Atmen, und asthmatische Hustenanfälle treten gehäuft auf. Im Winter verstärkt von Husten wie auch Schnupfen geplagt sind des Weiteren Hausstaubmilbenallergiker. Das hat einen einfachen Grund: „Wir halten uns mehr drinnen auf, und durch das Heizen der Wohnräume wird Staub aufgewirbelt“, sagt Marktl. So gelangen mehr Hausstaubmilben in die Atemluft, und da im Winter auch weniger gelüftet wird, bleiben mehr Milben in der Luft, wodurch die Atemwege der Allergiker stärker gereizt werden.

Ruhenerv ist aktiver

Allein dass es Krankheitserregern wie Bakterien und Viren im Kühlen besser geht und zudem unsere Abwehrkraft bei niedrigen Temperaturen sinkt, erklärt laut Marktl, warum Erkrankungen des Magen-Darmtrakts in der kalten Jahreszeit häufiger auftreten als in den warmen Monaten. Auch diese Plagen werden durch Bakterien und Viren übertragen: z. B. der Brechdurchfall, der oft auf eine Tröpfcheninfektion mit Noro- oder Rotaviren zurückgeht, oder die Gastritis, eine schmerzhafte, meist durch Bakterien verursachte Entzündung der Magenschleimhaut. Haben wir uns diese Erkrankungen des Verdauungstrakts einmal eingefangen, fallen sie im Winter noch dazu oft schlimmer aus als in der warmen Jahreszeit. „Im Winter ist der Parasympathikus, unser Ruhenerv, etwas aktiver als sein Gegenspieler, der Sympathikus. Dadurch werden im Magen-Darmtrakt mehr Verdauungssäfte gebildet“, spekuliert Experte Marktl über einen möglichen Grund: „Vermutlich vermehren sich dann die Erreger stärker. Das wiederum“, so Marktl weiter, „könnte eine Ursache dafür sein, warum selbst Blasenentzündungen, die oft durch das Aufsteigen von Coli-Bakterien aus der Darmregion in die Blase verursacht werden, im Winter zunehmen.“ Der Hauptgrund für die starke Verbreitung des unangenehmen und schmerzhaften Blasenleidens ist aber freilich wieder die Kälte: Sie drosselt die Durchblutung der Schleimhaut im Bereich des gesamten Unterleibs und macht diesen so anfälliger für Attacken der Erreger.

Blutgefäße verengen sich

Bei Kälte ist so wie das tropische Lebewesen Mensch insgesamt auch sein Herz-Kreislauf-System besonders belastet. Das liegt vor allem daran, „dass sich bei niedrigen Temperaturen die Blutgefäße des Körpers zusammenziehen“, so Marktl. Sind die Blutgefäße ohnedies bereits durch Ablagerungen verengt, drohen bei einem weiteren, kältebedingten Zusammenziehen nicht nur Herzrhythmusstörungen und Bluthochdruck, es steigt auch die Gefahr für eine Gefäßverstopfung und damit für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall. So ist es kaum verwunderlich, dass im Winter deutlich mehr Menschen mit diesen beiden Herz-Kreislauf-Erkrankungen in die Krankenhäuser eingewiesen werden – und auch mehr daran sterben als im Sommer.

Beinvenen dehnen sich aus

Damit nicht genug der winterlichen Plagen: Jene Gefäße, die das Blut aus den Füßen und Beinen zurück zur Lunge und zum Herzen transportieren, die Beinvenen, dehnen sich in den im Winter oft überheizten Räumen aus. Das kann bei Menschen mit schwachen Venen oder Krampfadern dazu führen, dass Blut in den Adern absackt, stockt und sich so Klümpchen bilden. Verstopfen diese Klümpchen die Venen, kommt es zu Thrombosen. Diese Gefäßverschlüsse wiederum können lebensgefährlich werden, wenn sie mit dem Blutfluss in die Lunge gespült werden und es so schlimmstenfalls zu einem Lungeninfarkt kommt.
Neben überheizten Räumen als Begleiterscheinung des Winters sind aber auch lieb gewonnene Gewohnheiten ein Risiko für Menschen mit schwachen Venen: Wenn es draußen kalt ist, tanken viele gerne Wärme bei einem heißen Bad, in der Sauna oder im Dampfbad: „All das ist schlecht für angegriffene Venen“, warnt Ganzheitsmediziner Wolfgang Marktl.

Druck auf Gelenke steigt

Dass sich selbst chronische Gelenkserkrankungen wie Arthrose oder Rheuma im Winter verschlechtern, hängt ebenfalls mit der Kälte zusammen, für die wir ja an sich nicht gebaut sind. Bei kalten Temperaturen ziehen sich so wie die Blutgefäße des gesamten Körpers auch die Muskeln und Sehnen zusammen, wodurch sie weniger elastisch sind. „Das erhöht den Druck auf die Gelenke und verursacht bei Menschen mit Gelenkserkrankungen Schmerzen“, verdeutlicht Wolfgang Marktl.

Trockenheit plagt die Haut

Die Luft im Winter ist aber nicht nur kalt, sondern in den geheizten Räumen oft auch sehr trocken. So wie die Schleimhaut der Atemwege belastet das auch unsere äußerste Körperhülle: Die Haut im Gesicht und am Körper trocknet aus. „Darunter leiden besonders Menschen mit chronischen Hautkrankheiten wie Neurodermitits oder Psoriasis“, weiß Marktl. Ihre Haut juckt und schuppt sich dann noch mehr, Rötungen und neue offene Wunden können entstehen.

Lichtmangel drückt auf die Seele

Schließlich drückt der Winter vielen auf die Seele. Nicht Lufttrockenheit oder Kälte, sondern Lichtmangel lässt in der dunklen Jahreszeit die Psyche leiden: „Wenn es lange dunkel ist, produziert der Körper mehr vom Schlafhormon Melatonin“, nennt Marktl den Grund. Und Melatonin macht nicht nur schläfrig, sondern manche auch trübsinnig. So kommt es dazu, dass depressive Verstimmungen zunehmen und sich Depressionen im Winter verstärken können.

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Die gute Seite der Kälte

Kälte ist nicht ausschließlich Gift für uns, sie hat auch ihre guten Seiten für die Gesundheit. Kühlende Umschläge und Salben, Kältesprays und Wickel, Güsse mit kaltem Wasser und das Auflegen von Eiswürfeln können zahlreiche Beschwerden lindern oder gleich ganz beseitigen. „Prinzipiell helfen Kälteanwendungen bei allen Beschwerden, die akut auftreten, also bei akuten Entzündungen, Verletzungen, Verstauchungen, bei Verbrühungen, Verbrennungen oder Nasenbluten“, weiß Univ. Prof. Dr. Wolfgang Marktl.
Die Erklärung: Durch Kälte, die von außen zugeführt wird, ziehen sich die Blutgefäße zusammen, und Blut zieht sich zurück. So gehen Schwellungen zurück, und Schmerzen lassen nach. Und wer mit Fieber ans Bett gefesselt ist, kann sich mit kühlen Patscherln zumindest etwas Linderung verschaffen.

Foto: iStock, digitalhallway

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