Österreichs Herzspezialisten schlagen Alarm: Das Gespenst der Sorglosigkeit geistert durch die Reihen der Herzpatienten. Statt nach der Behandlung bestimmter Herzkrankheiten jene Faktoren zu vermeiden, die sie verursacht haben, werden Bluthochdruck und erhöhter Cholesterinspiegel weiterhin unbekümmert in Kauf genommen. Lesen Sie, welche Werte im gesunden Rahmen liegen und was man zum Wohl des Herzens tun und lassen sollte.
Von Mag. Wolfgang Bauer
Auf Österreichs Akutversorgung bei Herznotfällen ist Verlass. So konnte etwa die Sterblichkeit unmittelbar nach einem Herzinfarkt in den letzten Jahren von über 30 Prozent auf unter zehn Prozent gesenkt werden. Herzpatientinnen und -patienten scheinen sich auf die kardiologische Erfolgsstory zu verlassen. Denn wie sonst ist es zu erklären, dass man bei einer Angina pectoris, also einer Verengung der Herzkranzgefäße, oder nach einem Herzinfarkt weiterhin unbekümmert mit jenen Risikofaktoren lebt, die zu diesen ernsthaften und zum Teil lebensbedrohenden Erkrankungen geführt haben?
Zwei Drittel der Patiententinnen und Patienten, die bereits an einer Herzkranzgefäßerkrankung leiden, unternehmen nichts gegen ihren erhöhten Cholesterinspiegel, mehr als die Hälfte der Betroffenen hat weiterhin einen zu hohen Blutdruck. Das stimmt die Kardiologen Österreichs besorgt.
„Es mangelt vor allem an der so genannten Sekundärprävention. Darunter verstehen wir jene Vorbeugungsmaßnahmen, die ein weiteres akutes Krankheitsereignis bzw. generell das Fortschreiten des Krankheitsprozesses in den Blutgefäßen verhindern sollen“, klagt Univ. Prof. Dr. Helmut Baumgartner, Präsident der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft und Oberarzt an der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin II/Abteilung für Kardiologie.
Zu den Maßnahmen der Sekundärprävention gehören die regelmäßige Einnahme von Medikamenten und die Veränderung des Lebensstils. Im Unterschied dazu versteht man unter Primärprävention jene Maßnahmen, die das erstmalige Auftreten einer Erkrankung verhindern sollen.
Erfolg macht nachlässig
Gründe für die alarmierende Situation sind nicht nur das mangelnde Vorsorgebewusstsein und, wie die Herzspezialisten beobachten müssen, die Bequemlichkeit mancher Patienten. So paradox es klingt: Ein Stück weit tragen auch die Erfolge der Kardiologie – wie das Fachgebiet der Medizin genannt wird, das sich mit der Funktion und den Erkrankungen des Herzens befasst – zur Sorglosigkeit von Herzpatienten bei.
Prof. Baumgartner nennt ein Beispiel: „Wenn etwa ein verengtes Herzkranzgefäß mit Hilfe eines kleinen Ballonkatheters aufgedehnt wird oder durch die Implantierung eines Metallgitters, eines so genannten Stents, wieder erweitert wird, dann sind die Beschwerden plötzlich weg. Die Patientinnen und Patienten verspüren dann hinter dem Brustbein keine drückenden Schmerzen mehr, auch die Atemnot verschwindet. Diese oft radikale Verbesserung lässt vergessen, dass die Risikofaktoren, die zu dieser Verengung geführt haben, wie ein erhöhter Cholesterinspiegel, immer noch vorhanden sind. Und wenn diese Risikofaktoren nach dem Ereignis nicht behandelt werden, kann das Problem an einer anderen Stelle wieder auftreten.“
Gezielte Therapie danach muss sein!
Wie sich die Lebensqualität von Herzpatienten verbessern lässt, hat eine jüngst veröffentlichte Studie von Innsbrucker Wissenschaftern gezeigt: Nach einem Herzinfarkt bzw. einer Bypass- oder Herzklappenoperation erhielten die Patienten einige Wochen lang eine gezielte Therapie. Das Ergebnis: Ihre Risikofaktoren konnten maßgeblich verringert werden. So sank etwa der obere (systolische) Blutdruckwert von durchschnittlich 133 mm Hg (Millimeter Quecksilbersäule) auf 120 mm Hg, der untere (diastolische) Blutdruckwert von 80 auf 71. Das „böse“ LDL-Cholesterin wiederum ging von durchschnittlich 112 Milligramm pro Deziliter Blut auf 91 Milligramm zurück. So mancher für Herzpatienten festgelegte Zielwert wurde also nicht nur erreicht, sondern sogar unterschritten.
„Nach der Akutbehandlung einer Herzkrankheit benötigen die Patienten im Allgemeinen eine medikamentöse Nachbetreuung mit Mitteln, die den Blutdruck und den Cholesterinspiegel senken. Manchen muss man auch weitere Arzneien geben, viele brauchen diese Therapie sogar ein Leben lang. Daher ist es äußerst besorgniserregend, wenn nur eine Minderzahl von Patienten diese Möglichkeiten nützt“, warnt Prof. Baumgartner.
Vorbeugung ist effektiver als High-Tech-Eingriffe
Der Schlüssel für mehr Lebensqualität liegt freilich in der Primärprävention, also in der Beseitigung von Risikofaktoren, damit es erst gar nicht zu einer Erkrankung kommt. „Neue Erkenntnisse zeigen, dass gezielte Vorbeugung mehr Lebensjahre und Lebensqualität bringt als die beste chirurgische Technik zur Behandlung von Herzkranzgefäßverengungen.“ Und auf diesem Sektor steht eine Änderung des Lebensstils an erster Stelle. So haben Studien gezeigt, dass bereits eine Gewichtsreduktion von zehn Kilogramm eine deutliche Verbesserung bringt: Der obere Blutdruckwert sinkt um rund sieben Einheiten, der untere Wert um 3,5 Einheiten, das Gesamtcholesterin um rund 23 Einheiten und die Triglyceride (ein wichtiges Blutfett neben dem Cholesterin) um mehr als 15 Einheiten.
Blutdruckfreundlicher Lebensstil
In Österreich und auch in den übrigen Industrieländern haben rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung einen zu hohen Blutdruck (Hypertonie), ab dem 50. Lebensjahr leidet sogar etwa jeder Zweite daran. Grundsätzlich sollte der Blutdruck unter Ruhebedingungen unterhalb des kritischen Wertes von 140/90 mm Hg liegen, bei Diabetikern unter 130/80.
Manchmal genügen schon Veränderungen im Lebensstil, um die gewünschten Zielwerte zu erreichen, und zwar in folgenden Bereichen:
Ernährung: Wer den Salzverbrauch senkt, also von den in unseren Breiten üblichen zwölf bis 15 Gramm täglich auf vier bis maximal sechs Gramm, kann bereits eine Blutdrucksenkung von 10 bis 15 mm Hg erreichen. (Siehe dazu unseren Beitrag über Salz ab Seite 34 dieser Ausgabe). Noch weiter nach unten geht der Wert, wenn man mehr Obst und Gemüse in den Speiseplan einbaut und reichlich mehrfach ungesättigte Fette, also Pflanzenöle, zu sich nimmt.
Genussmittel: Wer zu rauchen aufhört und den Alkoholkonsum einschränkt, hat gute Chancen, dass erhöhter Blutdruck sinkt.
Stress: Entspannungstechniken wie das Autogene Training und Atemübungen können vor allem einen stressbedingten Bluthochdruck senken.
Bewegung: Regelmäßige körperliche Betätigung hat langfristig ebenfalls blutdrucksenkenden Effekt. Am besten eignet sich dafür Ausdauertraining wie Walking, Nordic Walking, Joggen, Schwimmen oder Radfahren.
Medikamentöse Blutdrucksenkung
Bleiben diese Maßnahmen ohne Erfolg, muss man auf bestimmte Medikamente zurückgreifen. Unter anderen kommen folgende Mittel zum Einsatz:
Diuretika: das sind harntreibende Medikamente, die den Körper von überschüssigen Salzen und Flüssigkeiten befreien und auf diese Art den Blutdruck senken.
Beta-Blocker: entlasten das Herz, das dadurch langsamer schlägt.
Kalzium-Blocker: senken die Spannung in den Gefäßwänden.
ACE-Hemmer: wirken gefäßerweiternd.
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„Böses“ Cholesterin senken
Die wenigsten wissen es, wie kürzlich eine Umfrage in Österreich ergeben hat: Nur acht Prozent der Bevölkerung sind sich darüber im Klaren, dass auch das Cholesterin einen wichtigen Risikofaktor für eine Herz-Kreislauferkrankung darstellt. Nicht einmal die Hälfte der Befragten wusste, dass es „gutes“ HDL- und „böses“ LDL-Cholesterin gibt.
Bereits seit längerer Zeit wird zwischen diesen beiden Cholesterinarten unterschieden, um das Risiko für eine Herzerkrankung zu bestimmen. Dabei sollte der Anteil des HDL idealerweise über 50 Milligramm pro Deziliter Blut liegen, der Anteil des LDL unter 130 mg/dl.
„Das erhöhte LDL-Cholesterin bildet einen der wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung koronarer Herzkrankheiten“, sagt Prof. Baumgartner.
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Die wichtigsten Risikofaktoren fürs Herz:
Bauchumfang
Männer über 94 cm
Frauen über 80 cm
Triglyceride über 150 mg/dl
HDL-Cholesterin
Männer unter 40 mg/dl
Frauen unter 50 mg/dl
LDL-Cholesterin über 130 mg/dl
Blutdruck über 140/90 mmHg
Nüchternblutzucker über 100 mg/dl
Wenn mehrere Risikofaktoren gleichzeitig vorliegen, erhöht sich die Gefahr einer Herz-Kreislauferkrankung drastisch, so Kardiologe Helmut Baumgartner, denn die Auswirkungen der negativen Effekte werden nicht bloß addiert, sondern vervielfacht.
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Die Weltgesundheitsorganisation WHO teilt den Blutdruck in mehrere Schweregrade ein:
optimal unter 120/80
normal unter 130/85
Grenze zur Hypertonie
gerade noch normal 140/90
Leichte Hypertonie
Grad 1 unter 160/100
Mittelschwere Hypertonie
Grad 2 unter 180/110
Schwere Hypertonie
Grad 3 über 180/110