Zerrungen, Verstauchungen oder Prellungen treffen uns oft unerwartet. Wir zeigen, wie man diese Verletzungen richtig einschätzt, welche Erste-Hilfe-Maßnahmen sinnvoll sind und welche medizinischen Behandlungs-möglichkeiten es gibt.
Von Carolin Rosmann
Karner-Nechvile
„Man soll die betroffene Stelle nicht komplett ruhigstellen, sondern nur die schmerzverursachende Belastung reduzieren.“
Gerade jetzt in der Übergangszeit steigt das Risiko für Blessuren wie Zerrungen, Verstauchungen und Prellungen. Diese Verletzungen können Sporteinsteigerinnen und -einsteiger ebenso treffen wie erfahrene Hobbyläuferinnen und -läufer oder Personen, die unglücklich umknicken oder (auf nassem Laub) stürzen.
Doch: Wie unterscheiden sich diese Bagatelltraumen, wie sie im medizinischen Fachjargon genannt werden, überhaupt voneinander? „Während Prellungen durch eine stumpfe Krafteinwirkung auf Gelenke oder Weichteile wie Muskeln, Sehnen und Bindegewebe, etwa durch einen Schlag oder Sturz, verursacht
werden und für das Zerreißen von kleinsten Gefäßen verantwortlich sind, handelt es sich bei der Verstauchung oder Zerrung um eine Gelenkverletzung, die durch Überdehnung des Halteapparats, zum Beispiel der Bänder, Muskeln oder Sehnen, entsteht“, erklärt Prim. Dr. Angelika Karner-Nechvile, Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Sportmedizin. „Bei stärkerer Überdehnung kann es auch zum Einriss von Bändern oder Muskelfasern kommen. Ein kompletter Muskelriss kommt hingegen selten vor.“
Hat Sie eine unbedachte Bewegung in die Knie gezwungen, stellt sich zunächst eine Frage: Können Sie die betroffene Stelle belasten bzw. bewegen? Falls dies absolut nicht möglich ist, steckt vermutlich eine gröbere Strukturverletzung dahinter, die ärztlich versorgt und behandelt werden muss. „Wer sich jedoch – trotz Schmerzen wohlgemerkt – bewegen und, wenn auch eingeschränkt, die Extremität belasten kann, hat es mit einer Verstauchung, Zerrung oder Prellung zu tun“, so Karner-Nechvile.
Bewegung statt Nichtstun
Traditionell wurde geraten, verletzte Gelenke ruhigzustellen, doch aktuelle Erkenntnisse widerlegen diese Methode. „Man soll die betroffene Stelle nicht komplett ruhigstellen, sondern nur die schmerzverursachende Belastung reduzieren“, erklärt Karner-Nechvile. Das bedeutet: Bewegung ist sogar förderlich, um die Heilung zu unterstützen. „Die klassische PECH-Regel – Pause, Eis, Compression, Hochlagern – ist heute zum Teil überholt“, informiert die Expertin. Statt vollständiger Ruhe sollte man also die Belastung nur einschränken, Schmerzverursachendes vermeiden und das verletzte Körperteil in einem moderaten Maß bewegen.
Kühlung bleibt eine wichtige Sofortmaßnahme, allerdings nur kurzfristig. „Eis sollte nur in den ersten Minuten nach der Verletzung angewendet werden, um dem Einbluten und Anschwellen vorzubeugen. Schließlich wirken sich Blutergüsse sehr ungünstig auf den Heilungsverlauf aus. Danach ist es besser, die Durchblutung wieder zu fördern, um die Regeneration zu unterstützen“, betont Karner-Nechvile. Hochlagern und Kompression sind weiterhin bewährte Maßnahmen, um Schwellungen und Hämatome zu verringern und die Heilung zu beschleunigen. Insbesondere bei einer Verstauchung sollte man das Gelenk mit einem Kompressionsverband schützen und stabilisieren.
Medikamente: Weniger ist mehr
Bei einer leichten Schwellung sind vor allem entzündungshemmende Topfenumschläge oder das Auftragen von wundheilungs- und durchblutungsfördernden Ölen, die aus Johanniskraut oder Rosen gewonnen werden, ratsam. Weitere ätherische Öle, die helfen können: Cajeput, Eukalyptus, Fichte, Kampfer, Kiefer, Minze, Rosmarin, Wacholder oder Zypresse. Die betroffenen Stellen können auch mit Franzbranntwein, einem altbewährten schmerzstillenden Hausmittel mit kühlender Wirkung, eingerieben werden. „Entzündungshemmende Medikamente sollten vorsichtig eingesetzt werden, weil sie die natürliche Entzündungsreaktion im Heilungsprozess unterdrücken können. Insbesondere auf nicht-steroidale-Antirheumatika sollte man verzichten“, warnt Karner-Nechvile. „Besser geeignet sind Arzneimittel mit den Wirkstoffen Metamizol oder Paracetamol.“
Innovative Behandlungsmethoden
Bei sehr starken Schmerzen, auffallender Bewegungseinschränkung oder gar einer Fehlstellung, sollte man sich hingegen ärztliche Hilfe suchen. Diese können mit bildgebenden Verfahren wie Röntgen, Ultraschall oder MRT bzw. gegebenenfalls CT die Verletzung genauer beurteilen und eine gezielte Behandlung einleiten. Mittlerweile gibt es eine Reihe an modernen Therapieverfahren, welche die Regeneration beschleunigen und die Heilung verbessern können.
Extrakorporale Stoßwellentherapie: Hochenergetische Ultraschallwellen regen die Blutzirkulation an, fördern die Zellregeneration und wirken entzündungshemmend. „Sie wird sowohl bei chronischen Beschwerden als auch bei akuten Sehnenüberlastungen eingesetzt, zum Beispiel bei Achillessehnenproblemen“, erläutert Karner-Nechvile. Typischerweise sind drei bis fünf Sitzungen im Abstand von einer Woche notwendig.
ACP-Eigenbluttherapie: Bei dieser Methode wird Blut der Patientin oder des Patienten abgenommen, zentrifugiert und anschließend das thrombozytenreiche Plasma, das zahlreiche wachstumsfördernde Stoffe enthält, direkt in die verletzte Stelle injiziert, um die Heilung zu beschleunigen. „Die ACP-Therapie ist insbesondere bei schwereren Muskel- sowie Sehnen- und Bänderverletzungen im Einsatz, aufgrund seiner zellregenerierenden Wirkung oft eine äußerst sinnvolle Option und bringt schnelle Fortschritte“, so Karner-Nechvile.
Ionen-Induktionstherapie: „Durch die gezielte Anwendung hochfrequenter elektromagnetischer Felder werden die Zellmembranen beeinflusst, was die Durchblutung fördert, den Stoffwechsel anregt und somit den Heilungsprozess beschleunigt“, weiß die Expertin. Zudem kann die Therapie Schmerzen lindern und die lokale Schwellung reduzieren. Aufgrund ihrer nicht-invasiven Natur ist die Ionen-Induktionstherapie gut verträglich und eignet sich insbesondere für die schnelle Unterstützung der Heilung bei Sportverletzungen und Weichteilverletzungen.
Lasertherapie: Bereits seit längerer Zeit im Einsatz, fördert sie die Wundheilung und Geweberegeneration. Moderne Lasergeräte dringen tief ins Gewebe ein und werden vor allem im Spitzensport genutzt, um die Regeneration zu forcieren.
Geduld und richtiges Training
Nachdem der erste Schmerz verflogen und eine etwaige Schwellung zurückgegangen ist, kann mit moderatem Muskeltraining zur Stabilisierung der Gelenke begonnen werden. „Muskelaktivität fördert das Abschwellen und die Regeneration. Empfehlenswert ist ein isometrisches Training. Dabei werden die Muskeln nur durch statische Übungen gekräftigt. Auch gegen lockeres Radfahren auf dem Home-Trainer ist nichts einzuwenden“, so Karner-Nechvile. „Wichtig ist, dass man keine Schonhaltung einnimmt, sich unter Beobachtung des eigenen Schmerzes bewegt, aber die betroffene Stelle nicht sportlich überbelastet.“
Fotos: Foto Tschank, istockphoto/ FOTOKITA