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Wenn das Gehirn in die Jahre kommt

So bleiben die grauen Zellen länger jung
 
Wenn das Gehirn in die Jahre kommt, drohen über den altersbedingten Gedächtnisabbau hinaus vor allem Demenz und Schlaganfall. Was man tun kann, um diesen immer häufiger werdenden Krankheiten vorzubeugen und das Gehirn länger jung zu halten.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Im vergangenen Jahr machten Forscher an der Karl-Franzens-Universität in Graz zufällig eine Entdeckung: Hefezellen, aber auch Fliegen, Würmer, Mäuse und sogar menschliche Zellen leben länger, wenn man ihnen Spermidin gibt, eine Substanz, die in der männlichen Samenflüssigkeit steckt. Als Grund dafür gaben die Forscher an, dass das Spermidin Körperzellen dazu bringt, bestimmte Eiweiße abzubauen, die sich in den Zellen ablagern und diese altern lassen. Diesen Mechanismus könnte man sich auch zunutze machen, um das Altern der Zellen im menschlichen Gehirn zu bremsen, hieß es bei der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse. Wird Spermidin das Wundermittel gegen altersbedingte Vergesslichkeit, Demenzerkrankungen & Co.?
„Das ist Zukunftsmusik“, sagt Prim. Univ. Doz. Dr. Fritz Leblhuber von der Abteilung für Neurologisch-Psychiatrische Gerontologie an der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz. Und: „Wir kennen heute aber bereits andere Faktoren, die das Altern des Gehirns verzögern, allerdings nicht, indem sie Eiweißablagerungen in den Hirnzellen abbauen, sondern indem sie vorhandene Zellen und Verbindungen zwischen den Zellen jung halten.“ Welche Faktoren sind das, die das Hirn länger jung halten?

1. Laufen, Radeln & Co

„Sehr wichtig ist regelmäßiges Ausdauertraining, mit dem man am besten schon in der Jugend beginnt und das man das ganze Leben hindurch praktiziert“, sagt Leblhuber. Laufen, Radfahren oder Schwimmen bringen das Herz- und Kreislaufsystem in Schwung, was wiederum für eine bessere Durchblutung der Hirnzellen sorgt und somit auch für eine optimierte Zufuhr von Nährstoffen. Zudem hält lebenslanges Ausdauertraining den Blutdruck und die Blutzuckerwerte im Normalbereich – wodurch die Gefäße des gesamten Körpers und so auch im Gehirn gesund erhalten werden. Leblhuber: „Außerdem weiß man heute, dass durch Ausdauersport Hirnareale stimuliert und daher jung erhalten werden, die für das Gedächtnis und die Wahrnehmungsfähigkeit zuständig sind.“ Das passiert auch dann, wenn das Training auf dem Fahrradergometer oder dem Laufband stattfindet, eher monoton ist und von den Trainierenden als langweilig empfunden wird.

2. Essen wie am Mittelmeer

Ein weiterer Faktor, der das Hirn länger jung hält, ist die Ernährung. „Ideal für das Gehirn ist die sogenannte mediterrane Kost, die aus viel Gemüse, Salaten, Fisch und Olivenöl besteht“, sagt Prim. Univ. Doz. Dr. Udo Zifko, Facharzt für Neurologie am Rudolfinerhaus in Wien. Außerdem gebe es, so Zifko weiter, Hinweise darauf, dass bestimmte Substanzen wie Folsäure, Vitamin B, D und E die Bildung neuer Zellen im Allgemeinen und so auch das Wachstum neuer Hirnzellen und Zellverbindungen anregen. Diese wirkungsvollen Substanzen stecken in besonders hoher Konzentration z. B. in Brokkoli, anderem grünen Gemüse oder grünen Salatsorten, Fisch, Leber, Nüssen und Vollkornprodukten.

3. Neues lernen und Eingeübtes trainieren

Um länger jung zu bleiben, braucht das Gehirn zudem immer neue Reize. Leblhuber: „Besonders empfehlenswert sind das Lernen einer neuen Sprache, eines neuen Instruments und neuer Bewegungsformen wie des Tanzens.“ Aber auch neue Eindrücke, wie man sie etwa auf Reisen oder Ausflügen sammelt, das Lösen von Sudokus, bei denen es darum geht, immer wieder neue Zahlenkombinationen zu finden, wirken wie ein Jungbrunnen für das Gehirn. „Auch durch das Lösen von anspruchsvollen Kreuzworträtseln werden die Zellen und die Verbindungen zwischen den Zellen im Hirn gut trainiert“, sagt Leblhuber. Der Grund: Beim Suchen nach den passenden Wörtern werde, so Leblhuber weiter, geübt, auf vorhandenes Wissen zurückzugreifen. „Denselben Effekt hat das Trainieren von Tätigkeiten, die eingeübt sind, wie z. B. Handarbeiten oder Kartenspielen.“

Jung und gesund bleiben

Dem Hirn immer wieder Aufgaben stellen, die alte Zellen und Zellnetze trainieren, ihm immer wieder neue Reize bieten, eine gute Ernährung, sowie Laufen, Radfahren   & Co: Diese Faktoren helfen nicht nur dabei, den letztlich unaufhaltbaren Alterungsprozess des Hirns zu verzögern, sondern sie dienen auch dazu, den häufigsten Alterserkrankungen des Gehirns vorzubeugen. Das sind vor allem Demenzerkrankungen, gefolgt von Schlaganfällen bzw. Hirninfarkten und Gefäßverengungen, die zu Durchblutungsstörungen führen.
Für diese Alterserkrankungen des Gehirns, die immer häufiger auftreten, gebe es leider auch unvermeidbare Risikofaktoren, sagen die Experten Leblhuber und Zifko.  Dass diese Erkrankungen öfter vorkommen, liegt vor allem an der steigenden Lebenserwartung. Zifko: „Der Hauptrisikofaktor für die Alterserkrankungen des Gehirns ist das Alter.“ So ist z. B. ein Prozent der über 60-Jährigen von Demenzerkrankungen betroffen, vor allem von Alzheimer, unter den über 90-Jährigen sind es bereits 40 Prozent. Das Risiko für einen Schlaganfall erhöht sich ab dem 55. Lebensjahr alle zehn Jahre um 50 Prozent. Und auch das Risiko, an Morbus Parkinson zu erkranken, steigt mit dem Alter an.

Bei den ersten Anzeichen zum Arzt!

Demenzerkrankungen werden auch durch andere Erkrankungen begünstigt, wie Depressionen oder Schädel-Hirn-Traumata – aber auch durch genetische Faktoren. Zifko: „Wichtig ist, gleich zum Arzt zu gehen, wenn man Beschwerden hat, um sich untersuchen zu lassen.“ Früh erkannt und entsprechend behandelt, sind die Alterserkrankungen des Gehirns zwar nicht heilbar, doch kann man mit den heutigen Therapien zumindest die bestehende Lebensqualität der Betroffenen aufrechterhalten. So ist etwa der Fortschritt von Demenzerkrankungen wie Alzheimer durch Medikamente und spezielle Gedächtnistrainings aufzuhalten. „Gegen Verengungen der Halsschlagadern, die sich zu Gefäßverschlüssen entwickeln und Schlaganfälle bzw. Hirninfarkte herbeiführen können, helfen manchmal auch operative Eingriffe“, sagt Zifko. Dabei wird ein Drahtgeflecht, ein sogenannter Stent, in die verengte Ader eingesetzt. Das Geflecht hält die Ader so weit auseinander, dass die Durchblutung der Hirnzellen wieder gut funktioniert – und das Hirn nicht frühzeitig in die Jahre kommt.

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Ab 20 altert das Gehirn

Um das 15. Lebensjahr ist das menschliche Gehirn ausgewachsen und besteht dann aus rund sechs Milliarden Nervenzellen, von denen jede mit etwa 10.000 anderen verbunden ist. Wann das ausgewachsene Hirn zu altern beginnt? Prim. Univ. Doz. Dr. Udo Zifko sagt: „Das ist im jungen Erwachsenenalter der Fall, also etwa um das 20. Lebensjahr herum.“ Nach und nach lagern sich immer mehr Substanzen an den Zellen ab, ein Prozess, der das Hirn älter macht. Nach und nach verändert sich auch die Zusammenarbeit der Hirnregionen: Die langfristig miteinander verbundenen Netze werden stärker, die kurzfristig verbundenen schwächer, weshalb das Langzeitgedächtnis mit zunehmendem Alter besser wird, das Kurzzeitgedächtnis schwächer. Darüber hinaus sterben nach und nach Zellen und Zellnetze ab.

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Altersgeißel Demenz

Demenzerkrankungen sind die häufigsten Alterserkrankungen des Gehirns, wobei Morbus Alzheimer die mit Abstand häufigste ist. In Österreich sind derzeit 100.000 Menschen dement. Experten rechnen damit, dass sich die Zahl bis zum Jahr 2050 aufgrund der steigenden Lebenserwartung auf 270.000 erhöhen wird.

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