Schmerzen im Alter

März 2009 | Medizin & Trends

Was tun, wenn alles weh tut?
 
Viele ältere Menschen leiden über längere Zeit oder sogar ständig unter Schmerzen. Sie sprechen von den „Zipperleins des Alters“ und nehmen ihr Schicksal als gegeben hin. Doch die moderne Medizin kennt viele Wege, die zumindest zu einer Linderung führen können. MEDIZIN populär informiert.
 
Von Mag. Karin Kirschbichler

Schmerz ist die Geißel des Älterwerdens: Laut der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) leiden 43 Prozent der Über-50-Jährigen an chronischen, also drei und mehr Monate andauernden Schmerzen, in der Altersgruppe ab 65 sind bereits 50 Prozent davon betroffen, bei den Über-74-Jährigen sogar 75 Prozent. Noch dramatischer die Situation in Pflegeheimen: Dort sei laut der Internationalen Gesellschaft für Schmerzforschung (IASP) Schmerz ständiger Begleiter von 80 Prozent der alten Menschen.

Zahlen wie diese werden weiter ansteigen: „Die demographischen Veränderungen unserer Gesellschaft führen zu einer stetigen Zunahme der Zahl betagter und hochbetagter Menschen und damit auch zu einer Häufung altersassoziierter Erkrankungen, die sehr oft mit Schmerzen verbunden sind“, sagt Univ. Prof. Dr. Stefan Quasthoff von der Klinischen Abteilung für Allgemeine Neurologie an der Medizinischen Universität Graz. Zahlen wie diese tragen aber auch dazu bei, eine weit verbreitete Irrmeinung aufrechtzuerhalten: „Viele Menschen sind davon überzeugt, dass Schmerzen nun einmal zum Alter gehören und dass sich dagegen nichts machen lässt“, sagt Quasthoff, der auch im Beirat der Österreichischen Schmerzgesellschaft ist. Und so beklagt die ÖSG, dass mindestens 50 Prozent der älteren Schmerzpatienten ihren Arzt nicht oder nicht ausreichend über ihr Schmerzleiden informieren. Umfragen der Schmerzgesellschaft bringen aber auch Defizite in der Behandlung ans Licht: Jeder dritte Patient mit chronischen Schmerzen leide auch noch drei Monate nach Beginn einer Behandlung an heftigen Schmerzen.

Vielzahl möglicher Ursachen

Wie kommt es, dass das Älterwerden so viel Schmerz verursacht? Das liegt zum einen an biologischen Veränderungs- und Abbauprozessen, die mit den Jahren im Körper vor sich gehen und Schmerzen z. B. im Bewegungsapparat mit sich bringen können. Das liegt aber auch daran, dass, wie viele Studien zeigen, die Schmerztoleranz im Alter abnimmt. Denn der biologische Abbau betrifft auch das so genannte antinozizeptive System, also jene Mechanismen, über die der Körper verfügt, um Schmerzen zu unterdrücken.
Hinter der Schmerzproblematik der zweiten Lebenshälfte kann weiters eine ganze Reihe von Krankheiten stecken, die im Alter häufiger – und oft auch gemeinsam – auftreten: Rheumatische Leiden, Gelenksprobleme, Osteoporose genauso wie Diabetes und vor allem Erkrankungen des Nervensystems (neuropathischer Schmerz, Gürtelrose). Im Zusammenhang mit Schmerzen im Alter nicht unterschätzen darf man schließlich psychische und soziale Komponenten: „Schmerz, Seele und Vereinsamung stehen sich sehr nahe“, sagt Quasthoff (siehe Kasten).

Schwierigkeiten der Diagnose

Die Vielzahl möglicher Ursachen veranschaulicht die diagnostische Herausforderung, die Schmerzen älterer Patienten oftmals darstellen. Dazu kommt, dass sie ihren Schmerz in vielen Fällen nicht lokalisieren können. Mir tut alles weh, klagen sie, einmal die Schulter, einmal das Knie, dann die Hüfte, dann der Rücken. „Im Alter kann einfach vieles weh tun. So wird es schwieriger zu unterscheiden, wo der Hauptschmerz sitzt, und das macht natürlich auch die Behandlung schwieriger“, erzählt Quasthoff aus der Praxis.
Bei allen Schwierigkeiten: Schmerzen im Alter muss – und soll man nicht hinnehmen. Denn chronischer Schmerz verursacht nicht nur viel Leid, sondern kann auch schlimme Folgen auf körperlicher, geistiger und seelischer Ebene haben: Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Einbuße kog­nitiver Fähigkeiten, Depressionen stehen im Extremfall dem Risiko von Lähmungen und bleibender Behinderung gegenüber.

An erster Stelle der Schmerztherapie sollte die genaue Anamnese stehen, das detaillierte Gespräch zwischen Arzt und Patient. „Man muss herausfinden, was Ruhe-, was Belastungsschmerz ist, ob er am Tag oder in der Nacht auftritt, wo der Hauptschmerz liegt, der den Patienten am meisten belastet. Auch Charakterisierungen wie brennender, pochender, stechender Schmerz können für die Diagnose wichtig sein. Dann braucht es gezielte Untersuchungen, etwa eine Knochendichtemessung, um festzustellen, ob es sich um Osteoporose-Schmerz handelt. Die klassische Röntgenübersicht, die meistens gemacht wird, bringt in vielen Fällen herzlich wenig“, kritisiert Quasthoff.
Und Schmerzpatienten, die vielleicht schon jahrelang vergebens nach Abhilfe suchen, rät er: „Suchen Sie ein spezialisiertes Schmerzzentrum auf oder einen Arzt, der das Schmerzdiplom der Österreichischen Ärztekammer besitzt. Über Experten in Ihrer Nähe informiert zum Beispiel die Österreichische Schmerzgesellschaft. Wichtig: Bringen Sie eine möglichst genaue Zusammenstellung all dessen mit, was bisher probiert und gemacht wurde.“

Bestandteile der Therapie

Für die Therapie wesentlich sei es, so Quasthoff, neben den individuellen auch die altersbedingten Gegebenheiten zu berücksichtigen. „Eventuelle Wechselwirkungen mit Medikamenten, die bereits eingenommen werden, müssen genauso bedacht werden wie der im Alter verlangsamte Stoffwechsel, der geringere Dosierungen von Schmerzmitteln erfordert“, betont Stefan Quasthoff.

Die Schmerztherapie von morgen wird sich vermehrt mit den Besonderheiten der Schmerzproblematik älterer Menschen auseinandersetzen müssen. „Derzeit gibt es noch kein Medikament, das speziell für die Schmerzsituation im Alter gemacht wurde. Als ersten Schritt in diese Richtung soll es ab nächstem Jahr ein Mittel geben, das die gerade im Alter problematische Nebenwirkung von Opioiden, nämlich Verstopfung, durch Zugabe eines bestimmten Stoffes reduziert. In diese Richtung wird derzeit weiter geforscht und gearbeitet“, blickt Quasthoff  in die Zukunft.

Für die Therapie der Gegenwart unerlässlich sei indessen die aktive Mitarbeit der Patientinnen und Patienten: „Bewegung ist nicht nur ein Mittel zur Schmerzvorbeugung, sie ist auch wesentlicher Bestandteil der Schmerzbehandlung.“ Zur Gymnastik, obwohl das Knie weh tut? „Ja, gerade dann! Wieder in Schwung zu kommen, ist das A und O. Alle Erfahrungen weisen darauf hin, dass der Patient nicht erst schmerzfrei sein muss, bevor er Bewegung macht, sondern dass Bewegung und Aktivierung wesentlich sind auf dem Weg zu Schmerzfreiheit bzw. Schmerzlinderung.“ Und welche Art der Bewegung empfiehlt der Schmerzexperte? „Am besten sind Bewegungsprogramme unter ärztlicher bzw. physiotherapeutischer Aufsicht, von denen es immer mehr gibt, aber auch Trainings zur Körperwahrnehmung wie Feldenkrais und Entspannungstechniken wie Yoga, Qigong und andere. Wichtig ist, dass es Spaß macht und dass man dranbleibt.“

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Ein Schmerz und eine Seele

Psychische und soziale Ursachen

Bei Schmerzen im Alter treten in vielen Fällen Depressionen entweder als Ursache oder als Folge in Erscheinung. Über die genauen Zusammenhänge tappt die Wissenschaft noch im Dunkeln. Auch die Frage, was zuerst da war, der Schmerz oder die Depression, lässt sich nicht immer beantworten: „Für den Patienten wesentlich ist jedoch, dass beides behandelt wird. Dazu fehlt aber oft die Akzeptanz, sowohl beim Einzelnen als auch in der Gesellschaft“, beklagt Univ. Prof. Dr. Stefan Quasthoff. „Herr Doktor, ich habe Schmerzen, ich bin doch nicht depressiv“, sagen viele, denn die Angst vor dem Stigma einer psychischen Erkrankung ist nach wie vor groß.

Nicht nur psychische, auch soziale Faktoren können die Schmerzproblematik im Alter verschärfen. „Wenn die Mobilität abnimmt, soziale Kontakte weniger werden, wenn das Gefühl, gebraucht zu werden, fehlt, werden Schmerzen stärker empfunden“, weiß Quasthoff. An diesem Punkt setzt oft ein Teufelskreis ein: „Wenn Schmerzen längere Zeit anhalten und einen daran hindern, am sozialen Leben teilzunehmen, zum Stammtisch oder auch zum Einkaufen zu gehen, verschlimmert sich die Schmerzsituation weiter.“ So gehört auch die Motivation, trotz der Schmerzen Aktivitäten zu setzen, ­wesentlich zur Schmerztherapie.

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ISBN 978-3-901488-91-7
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Kontakt TIPP
Österreichische Schmerzgesellschaft, www.oesg.at, Telefon 01/319 43 78-12

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