Was zum Burn-out führt, und wer besonders gefährdet ist.
von Mag. Sabine Stehrer
Zahlen aus einer Studie der „Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsqualität und Burnout“ zeigen es eindeutig: 36 Prozent der Österreicher befinden sich sozusagen auf dem Weg in ein Burn-out, leiden an einer Frühform. Weitere acht Prozent sind ausgebrannt, also mehr als 700.000 Menschen. Damit hat sich die Zahl der Betroffenen in den vergangenen 15 bis 20 Jahren in etwa verzehnfacht
Wen es „erwischt“ hat, der fällt länger aus
Experten wie Prim. Dr. Susanna Anhaus, ärztliche Leiterin der ambulanten psychosozialen Rehabilitation der pro mente-Reha in Graz und Prim. Dr. Paul Kaufmann, der ärztliche Leiter des pro mente-Rehazentrums für psychosoziale Gesundheit in Rust, führen die Steigerung teils auf die tatsächlich wachsende Anzahl an Burn-out-Patienten zurück, teils aber auch darauf, dass Ärzte diverse Beschwerden öfter denn je feststellen und dem Leiden zuordnen. Das, obwohl das Syndrom nichts Neues ist, sondern schon 1974 als Burn-out beschrieben wurde und bereits vor fast 140 Jahren, 1880, als „Neurasthenie“, ein Nervenleiden, das vorwiegend Einwohner der damals stark wachsenden Industriestädte befiel.
Schwerer Einstieg
Ob es nun viel mehr Betroffene als früher gibt, oder ob Burn-outs nur viel häufiger als solche festgestellt werden – eines steht fest: Wen es erwischt hat, der fällt im Beruf oder anderswo, etwa bei der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger, länger aus, ein paar Wochen, etliche Monate, ein Jahr, einige Jahre, oder auch dauerhaft. Anhaus weiß: „Von denjenigen, die wegen eines Burn-outs mehr als ein halbes Jahr nicht im Berufsleben stehen, kann die Hälfte danach in den früheren Beruf zurückkehren und die früheren Aufgaben wieder übernehmen.“ Die andere Hälfte teilt sich in jene, die durch einen Jobwechsel wieder an der Arbeitswelt teilnehmen können und jene, die dies wegen des Übergangs des Burn-outs in eine Depression nicht mehr schaffen und dauerhaft arbeitsunfähig bleiben.
So kann das Leiden enden. Nur wie fängt es an? Bei Karl, dem Manager, begann alles mit der Zuteilung zusätzlicher Aufgaben, die ihn zuerst sehr freuten, dann aber zu sehr forderten. Abends ging er im Kopf die Dinge durch, die er tagsüber nicht so erledigen konnte, wie er sich das vorgestellt hatte. Schlafstörungen waren die Folge, die Müdigkeit am nächsten Tag führte neuerlich zu Leistungseinschränkungen. Nora, die Lehrerin, konnte nicht verwinden, dass ihre Bewerbung um den vakant gewordenen Posten der Schuldirektorin abgewiesen wurde. Ein innerer Groll und Bauchschmerzen, für die sich keine organische Ursache fand, stellten sich ein und waren nicht mehr weg zu bekommen. Patrizia, die Pflegekraft, entdeckte, dass ihr einstiger Traumberuf wohl doch nicht so ideal für sie ist. Vor allem, wenn einer ihrer Schützlinge starb, konnte sie zunehmend weniger gut damit umgehen, litt lang und fand irgendwann nicht mehr wirklich aus der Trauer heraus.
Weit über hundert verschiedene Symptome
Anhaltende depressive Verstimmungen, körperliche Erkrankungen wie Bauchschmerzen scheinbar ohne Grund, Schlafstörungen: Das sind zwar häufige Anzeichen für das Ausgebranntsein. Insgesamt kann sich ein Burn-out aber in sehr vielen verschiedenen Facetten zeigen. Weit über hundert Symptome wurden ausgemacht. Wenn es etwas gebe, das typisch für das Ausbrennen sei, dann sei das der Verlauf, sagen Kaufmann und Anhaus: „Fast immer geht dem Ausbrennen sozusagen ein Brennen für eine Sache voraus.“ Auf die angestrebte Herausforderung im Job folgt die Überforderung. Durch die Überforderung vergeht die Freude an der Arbeit, die Leistungsfähigkeit verringert sich, die Konzentrationsfähigkeit nimmt ab. Oft wird immer länger für die Erledigung von Aufgaben gebraucht, immer mehr Fehler werden gemacht. Dies führt wiederum zu Verhaltensänderungen.
Betroffene sind häufig gereizt, machen vermehrt zynische Bemerkungen, werden auch aggressiv und zugleich depressiv, trinken mehr Alkohol, greifen zu Beruhigungs- oder Schlafmitteln. Von da geht der Weg weiter über das zunehmende Gefühl der Ausgelaugtheit, das letztlich selbst einfache Erledigungen schwierig macht – bis hin zur völligen Kraftlosigkeit und Erschöpfung, die es verunmöglicht, Hobbys auszuüben, Freunde zu treffen, letztlich auch, zur Arbeit zu gehen. Meist leidet parallel der Körper: Die Abwehrkräfte schwächeln, weshalb etwa Erkältungen häufiger auftreten. Die Muskeln verspannen sich, wodurch Rückenschmerzen entstehen. Die Verdauung gerät durcheinander, es kommt zu Magen- und Darm-Problemen. Auch das Risiko für Bluthochdruck, Diabetes Typ-2 und schwere Krankheiten wie etwa Herzkrankheiten bis hin zum Herzinfarkt oder Angstörungen und Depressionen steigt.
Nicht leugnen, handeln!
Ist es einmal so weit gekommen, dass Symptome eines Burn-outs auftreten, raten die Experten dazu, diese nicht wegzuleugnen, sondern stattdessen rasch zu handeln. Wenn etwa Schlafstörungen wegen des Kreisens der Gedanken um die Arbeit bestehen, und die Erholung am Wochenende nicht mehr ausreicht, um wieder zur Ruhe zu kommen, könnte es genügen, die Schlafstörungen ärztlich behandeln zu lassen. Sowie, sich um Entlastung zu bemühen und einmal länger Urlaub zu machen, um dem Burn-out zu entkommen. Ist das Syndrom bereits ausgeprägter, zeigen sich also bereits psychische und physische Symptome, die mit Burn-out einhergehen, ist zusätzlich ein berufsbegleitendes Coaching oder eine Therapie beim Psychologen oder Psychiater empfehlenswert, um mit professionieller Hilfe zu erkunden, was getan werden muss, damit sich der Zustand bessert. Ist das Burn-out schon so schwer, dass Arbeitsunfähigkeit besteht und es zum sozialen Rückzug gekommen ist, ist ein längerer Krankenstand mit umfassender Therapie unumgänglich.
Die Therapie kann entweder stationär im Rahmen einer Reha oder ambulant in einem spezialisierten Zentrum erfolgen. Sie besteht aus einem maßgeschneiderten Bündel aus medikamentöser Behandlung, psychiatrischer oder psychologischer Therapie, Bewegungseinheiten mit Nordic Walking oder Schwimmen, Achtsamkeitsübungen, eventuell einer Musiktherapie oder anderen Kreativtherapien und bei Bedarf auch aus einer Sozialberatung.
Ob mehr oder weniger umfassend: Ziel der Burn-out-Therapie ist laut den Experten, „eigene Ressourcen zu erkennen und zu stärken, wieder eine freundliche Beziehung mit sich selbst aufzunehmen und mit der durch all das wiedergewonnenen Energie in ein neues Leben zu starten, in dem wieder die Teilhabe an allen Lebensbereichen möglich ist“. Das ist das, woran Patrizia, Nora und Karl gerade arbeiten. Wie kann es Menschen wie ihnen, im Management, in Dienstleistungs- und Sozialberufen sowie anderen geistig, körperlich und zeitlich fordernden Jobs gelingen, dass es gar nicht erst zu einem Burn-out kommt? Ein Muss zur Vorbeugung vor dem Ausbrennen sei, meinen Anhaus und Kaufmann, auf sich zu achten, für die Gesundheit von Körper und Seele zu sorgen: durch ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung und die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen. Darüber hinaus gelte es, Phasen hoher Belastung kurz zu halten, auf solche Phasen ausreichend lange Pausen folgen zu lassen – und vor allem, sich klar zu machen, dass Arbeit zwar ein wichtiger Teil des Lebens ist, aber eben nur ein Teil.
Burn-out: Wer besonders gefährdet ist
Belastungen im Job kennt wohl jeder, und vermutlich fühlt sich jeder irgendwann einmal nicht nur gefordert, sondern auch überfordert: Warum entwickelt der eine aufgrund dessen ein Burn-out und der andere nicht? „Es gibt Risikofaktoren für das Syndrom“, weiß Susanna Anhaus. Dazu zählen zum Beispiel bestimmte Berufe: Solche, wo physikalische Belastungen wie Lärm, Kälte und Hitze ertragen werden müssen oder anstrengende körperliche Arbeiten erforderlich sind, wie das beispielsweise geballt am Bau der Fall ist. Ein erhöhtes Risiko bringen auch Jobs mit sich, wo mehr als 40 Stunden pro Woche oder zu wechselnden Zeiten gearbeitet wird. Des Weiteren können soziale Faktoren überfordern, wie schwierige Rollen, besonders Führungspositionen, schwierige Mitarbeiter und Kollegen oder viel Kontakt mit Menschen wie Gästen, Kunden oder Patienten. Wer in solchen Berufen arbeitet und ein bestimmtes Alter hat, ist noch einmal gefährdeter, ein Burn-out zu erleiden: Auffallend häufig trifft das Leiden zum einen jüngere Menschen bis zu einem Alter rund um die 30 – meist eine Zeit lang nach dem Einstieg in den Beruf, der für sie für sich genommen eine Herausforderung darstellt.
Noch öfter sind Ältere rund um die 50 betroffen – dies fast immer, nachdem Veränderungen eingetreten sind, etwa zusätzliche Aufgaben übernommen wurden, die belasten, überlasten und erschöpfen. Eine weitere wichtige Rolle in der Frage, ob jemand zum Burn-out-Patienten wird oder nicht, spielen bestimmte Wesenszüge: So sind Menschen anfälliger für das Ausbrennen, die nicht Nein sagen können, die perfektionistisch unterwegs sind, die die Arbeit als hauptsächlichen Sinn ihres Lebens betrachten. Aber selbst, wenn mehrere dieser Risikofaktoren bestehen, brennt der Mensch meist erst dann aus, wenn neben der jobmäßigen Überforderung weitere Belastungen auftreten, weiß Kaufmann: „Zum Beispiel Probleme in der Partnerschaft oder im Umgang mit pubertierenden Jugendlichen, körperliche Veränderungen, bedingt durch den Alterungsprozess, eigene Erkrankungen oder Erkrankungen Angehöriger.“
Das 7-Phasen-Modell nach Burisch
Phase | Bechwerden |
---|---|
Warnsymptome der Anfangsphase | Gesteigerter Einsatz für Ziele, vegetative Überreaktion oder Erschöpfung |
Reduziertes Engagement | Reduzierte soziale Interaktionen, negative Einstellung zur Arbeit |
Emotionale Reaktionen | Insuffizienzgefühle, Pessimismus, Energiemangel, Hilflosigkeit |
Abbau der Leistungsfähigkeit | Abnahme kognitiver Fähigkeiten, Motivation, Kreativität |
Verflachung | Verflachung des emotionalen und sozialen Lebens und der Interessen |
Psychosomatische Reaktionen | Schmerzen, Schlafstörungen, Verspannungen, Substanzgebrauch |
Verzweiflung | Sinnlosigkeitsgefühle, Verzweiflung, Depression, Suizidgedanken |
Phasenmodell nach Burisch (1994) aus: „Prävalenz des Burn-out-Syndroms in Österreich“,
Österreichische Gesellschaft für Arbeitsqualität und Burnout, 2017
Erschöpfung:
Nicht immer steckt ein Burn-out dahinter
Wenn es zu einem Zustand der Erschöpfung kommt, der nicht mehr weichen will, ist nicht immer ein Burn-out die Ursache der Misere. Auch hormonelle Umstellungen wie sie in den Wechseljahren auftreten, können schuld daran sein – dann helfen eine ärztliche Abklärung und gegebenenfalls eine Behandlung, etwa mit pflanzlichen Präparaten oder Hormonen. Auch ein Eisenmangel, eine Schilddrüsenfunktionsstörung und Infektionskrankheiten sowie Medikamente wie Blutdrucksenker können hinter einer Erschöpfung stecken – die oft auch chronische Krankheiten begleitet.
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