Gründe für ein Seelentief bis hin zur Depression gibt es viele. Doch wenn einem das Leben nur noch grau in grau erscheint, gibt es auch etliche Hilfen.
Von Mag.a Sabine Stehrer
Michael Duller zählt zu jenen, die wissen, wie sich ein Seelentief vertreiben lässt. „Wenn der Tag komisch anfängt, ich mich schon nach dem Aufwachen schlecht fühle, gehe ich erst einmal eine Runde spazieren oder Rad fahren“, sagt er. „Dann geht es mir oft gleich viel besser.“
Genau deswegen empfiehlt Duller Bewegung und Sport auch den Mitgliedern der pro mente-Selbsthilfegruppe für 18- bis 30-Jährige mit Angststörungen, Panikattacken, Depressionen und Sozialphobien, die der 28-Jährige als selbst Betroffener leitet. Sich zu bewegen und Sport auszuüben, der Stress reduziert – wie etwa Yoga – heißt es daher für viele der jungen Gruppenmitglieder immer dann, wenn ein Tief herannaht.
Alternativ wird Musik gehört oder eine Weile bewusst geatmet. Bei ihren Treffen tauschen sich die sieben Frauen und zwei Männer aber nicht nur über Sport und andere Selbsthilfemaßnahmen aus, sondern etwa auch darüber, wie es ihnen mit Behandlungen geht. „Wie dieser regelmäßige Austausch wirkt, also welche Fortschritte die Gruppenmitglieder dadurch machen, das ist schön zu beobachten“, so Duller.
Weltlage hinterließ Spuren
Die Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Teuerung: Durch die damit verbundenen Bedrohungen und Unsicherheiten, was die Zukunft anbelangt, sind zuletzt immer mehr vor allem junge Menschen wie jene in Dullers Selbsthilfegruppe psychisch erkrankt. „Die Weltlage hat ihre Spuren in den Seelen hinterlassen“, sagt dazu der Wiener Psychiater und Psychotherapeut sowie Leiter der pro mente-Reha „Sonnenpark Neusiedlersee“ Prim. Dr. Paul Kaufmann.
Doch es gibt noch viele weitere Gründe für ein Seelentief, das sich bis zu der einen oder anderen psychischen Erkrankung auswachsen kann. Kaufmann: „Dazu zählen zum Beispiel traumatische Erlebnisse in der Kindheit.“ Wie Depressionen der Mutter nach der eigenen Geburt, ein früher Tod eines Elternteils, Familienstreits oder die Trennung der Eltern, als man noch klein war. Später sind es oft eigene Trennungen oder der Tod Nahestehender, aber auch Überforderung im Berufs- oder Privatleben, die erst die Stresstoleranz reduzieren, dann das Leben immer grauer erscheinen lassen.
Manchmal ist aber auch keine Ursache für das Grau auszumachen, es scheint dann plötzlich daherzukommen, aus heiterem Himmel.
Tief stört Schlaf
Zuerst stört das Tief sehr oft den Schlaf, erklärt Kaufmann. „Da wird nicht eingeschlafen, sondern wachgelegen und die Gedanken kreisen um bestimmte Fragen.“ Wie: „Warum ich?“, „Wie konnte das passieren?“, „Wann wird das wieder gut?“, „Wird es überhaupt wieder gut?“, „Wie soll ich das schaffen?“
Ist der Schlaf dann endlich eingetreten, wird er oft von einem Aufschrecken unterbrochen, das zu neuerlichem Gedankenkreisen und Grübeln führt. Nach einer Weile wird auch am Tag gegrübelt, was die Arbeit beeinträchtigt und bei anderen Erledigungen stört. Über die Müdigkeit und Minderung der Lebensqualität am Tag kann der Weg weiterführen bis zur Unfähigkeit, überhaupt irgendetwas zu tun. „Ist es schon einmal so weit gekommen, wird es auch schwer, eine Behandlung zu vereinbaren, geschweige denn anzutreten“, warnt Kaufmann.
Frühzeitig etwas unternehmen
Der Psychiater und Psychotherapeut empfiehlt daher, möglichst frühzeitig etwas gegen das Grau zu unternehmen, am besten schon dann, wenn es sich noch auf die Schlafstörungen mit Grübeleien beschränkt. Da ist es laut Kaufmann oft noch einfach, das Seelentief zu vertreiben.
„Selbstreflexion, Gespräche in der Familie oder mit guten Freunden und sportliche Aktivitäten wie Wandern, Schwimmen oder Tai-Chi und andere Maßnahmen, die den Stresslevel senken, helfen dann meistens schon.“
Hellt sich das Grau dadurch aber auch nach zwei, drei Wochen nicht auf, empfiehlt Kaufmann, einmal mit dem Hausarzt darüber zu reden. Und meint der, es wäre gut, sich von einem Psychologen, einem Psychotherapeuten oder Psychiater helfen zu lassen, sollte man diese Hilfe auch in Anspruch nehmen.
Auf Geglücktes blicken
Doch selbst, wenn es schon länger als nur ein paar Wochen grau im Leben ist oder sehr lange sehr grau: „Auch bei einem Vollbild eines Burn-outs oder einer Depression schafft es ein sehr hoher Prozentsatz der Menschen mit einer passenden Therapie ein schönes Leben führen zu können“, weiß Kaufmann.
Fast immer besteht die Behandlung dann in einem Mix aus einer medikamentösen Therapie mit Antidepressiva, Schlaf- oder Beruhigungsmitteln und einer Gesprächstherapie. In den Gesprächen mit dem Therapeuten geht es vor allem darum, positive Ressourcen zu erarbeiten, und zu erlernen, den Blick auf das Geglückte im Leben zu richten.
Thema ist auch, wie es gelingt, Grenzen zu setzen oder Elementares im Leben zu verändern wie den Beruf oder den Beziehungsstatus, um weniger Stress zu haben. Auch wird vermittelt, dass eine dauerhafte therapeutische Hilfe ratsam ist.
Die eventuell durch die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe begleitet wird, einer solchen zum Beispiel, wie sie von Michael Duller geleitet wird. „Von anderen, denen es ähnlich geht, fühlt man sich gleich verstanden“, sagt er und ergänzt: „Wenn es einem schlecht geht, kann man dort sein Päckchen ablegen und sich von den anderen etwas abschauen.“ Etwa, wie man gut auf sich achtgibt, indem man beispielsweise dann, wenn ein Grau herannaht, Sport macht oder Atemübungen.
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