Medizin & Trends

Rheuma: Frauen leiden anders, Männer auch

Die Gendermedizin bringt es an den Tag: Bei Rheuma gibt es große Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Sie unterscheiden sich nicht nur in der Anfälligkeit für verschiedene Krankheiten, sondern auch in Krankheitsverlauf und Schmerzwahrnehmung. MEDIZIN populär informiert über die geschlechtsspezifischen Besonderheiten im Bereich der rheumatischen Erkrankungen.
 
Von Mag. Michael Krassnitzer

Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“, machte uns vor einigen Jahren ein erfolgreicher Buchtitel auf die Differenzen zwischen den Geschlechtern aufmerksam. Mit den Unterschieden zwischen Männern und Frauen beschäftigt sich auch die Gendermedizin. Dank dieser jungen Disziplin ist das Bewusstsein dafür gewachsen, dass die beiden Geschlechter („gender“) in medizinischen Belangen nicht über einen Kamm geschoren werden können. Das gilt insbesondere für die rheumatischen Erkrankungen: Manche kommen bei Frauen häufiger vor als bei Männern, andere häufiger bei Männern als bei Frauen, außerdem unterscheiden sich Krankheitsverlauf und Schmerzwahrnehmung deutlich.  

„Frauenleiden“: Polyarthritis, Fibromyalgie

Unter dem Begriff Rheuma wird eine Reihe ganz unterschiedlicher Erkrankungen zusammengefasst, die insgesamt mehr als 400 Diagnosen umfassen. Gemeinsam ist diesen Leiden, dass sie Schmerzen in den Gelenken, dem Bewegungsapparat oder in den Weichteilen verursachen. Die häufigste entzündliche Erkrankung der Gelenke ist die Rheumatoide Arthritis, auch chronische Polyarthritis genannt. Bis zu 80.000 Österreicher sind davon betroffen. Eigentlich müsste man eher sagen: Österreicherinnen – denn von zehn Erkrankten handelt es sich bei acht um Frauen.

Typischerweise befällt die Polyarthritis die kleinen Gelenke der Finger und der Zehen symmetrisch auf beiden Seiten des Körpers. Es können jedoch auch andere Gelenke in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Krankheit beginnt meist plötzlich und verläuft schubweise. Die betroffenen Gelenke schmerzen stark, schwellen an und können überwärmt sein; bei langjährigem Verlauf kommt es ohne adäquate Therapie zu den charakteristischen Verformungen der Finger und Zehen.

Die Polyarthritis ist eine so genannte Autoimmunerkrankung. Das heißt: Der Körper greift aus bisher noch nicht restlos geklärter Ursache eigenes Gewebe an. Das Immunsystem, das für die Erkennung und Abwehr von Fremdstoffen, Mikroorganismen und Viren verantwortlich ist, hält eigenes Körpergewebe offenbar für „fremd“ und greift es an. Der Grund für diese Immunreaktion ist bis dato unbekannt. Tatsache allerdings ist, dass das Immunsystem von Frauen grundsätzlich stärker reagiert als jenes von Männern.

Eine entscheidende Rolle dabei, dass Frauen weitaus häufiger an Polyarthritis erkranken, spielt ihr Hormonhaushalt. Die natürlichen Schwankungen der weiblichen Hormone (Östrogene, Gestagene) scheinen mögliche Auslöser für die Erkrankung zu sein. Wie auch andere Autoimmunerkrankungen tritt Polyarthritis oft in Zusammenhang mit den hormonellen Umstellungen einer Schwangerschaft auf. „Oft beginnt eine Polyarthritis nach einer Geburt bzw. dem Abstillen“, weiß Dr. Judith Sautner, Oberärztin an der Rheumaambulanz im niederösterreichischen Landesklinikum Weinviertel in Stockerau. „Auch ist die Polyarthritis während einer Schwangerschaft in der Regel ruhig, um nach der Geburt umso heftiger aufzutreten.“

Eine andere Schmerzkrankheit mit Symptomen im Gelenks- und Bewegungsapparat tritt bei Frauen gleich 20 Mal so häufig auf wie bei Männern: die Fibromyalgie, eine Form von Weichteilrheuma, die überall im Körper Schmerzen verursachen kann. Die Symptome der rätselhaften Krankheit reichen von Zahnschmerzen bis Händezittern, die Ursache liegt bislang völlig im Dunkeln.

„Männerleiden“: Morbus Bechterew, Gicht

An anderen rheumatischen Krankheiten leiden vorwiegend Männer, z. B. an Morbus Bechterew, der die Wirbelsäulen- und Kreuzdarmbeingelenke befällt. Man geht davon aus, dass von Morbus Bechterew ebenso viele Österreicher betroffen sind wie von Polyarthritis, nämlich bis zu 80.000. Wobei in diesem Zusammenhang die Einschränkung „Österreicher“ eher gerechtfertigt ist, denn die Erkrankung trifft Männer drei bis vier Mal so häufig wie Frauen.

Typisch für einen beginnenden Morbus Bechterew ist ein tief sitzender Kreuzschmerz, der bevorzugt nachts auftritt. Die Beschwerden beginnen schleichend, bei den meisten kommen sie erstmals zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr, sie dauern jeweils mehr als drei Monate an, ehe sich wieder Besserung einstellt. Ein weiteres typisches Symptom ist die Morgensteifigkeit in der Wirbelsäule, die mehr als 30 Minuten anhält. Bei Ruhe verschlimmern sich die Beschwerden. Mit Fortschreiten der Krankheit verknöchern die Gelenke und die Wirbelsäule versteift.

Auch bei der Gicht sind die Männer überrepräsentiert. Die Stoffwechselkrankheit, bei der sich Kristalle in den Gelenken ablagern, ist nämlich auch eine Folge von ungesundem Essen und starkem Alkoholkonsum. Unausgewogene Ernährung sowie der zu tiefe Blick ins Glas sind eine Männerdomäne. „Frauen leben tendenziell gesünder als Männer“, erklärt Judith Sautner.

Rechtzeitig zum Arzt!

Die Forschungsergebnisse der Gendermedizin bringen große Vorteile für die richtige Behandlung von Männern und Frauen mit rheumatischen Erkrankungen. Die Erkenntnis, dass die Häufigkeit dieser Leiden unter Männern und Frauen ungleich verteilt ist, hat aber auch Nachteile: „Wenn jemand eine für das andere Geschlecht ganz typische Erkrankung hat, dann dauert die Diagnosestellung oft länger als üblich“, weiß Expertin Sautner und appelliert an Männer wie Frauen gleichermaßen: Bei Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung rechtzeitig zum Arzt gehen! Denn je früher mit einer Therapie begonnen wird, desto besser die Erfolgsaussichten. Die Österreichische Gesellschaft für Rheumatologie (ÖGR) hat in den vergangenen Jahren immer wieder an öffentlichen Plätzen Beratungen für Rheumakranke angeboten. Die alarmierende Bilanz:

Die Hälfte der Betroffenen war mit ihren Beschwerden noch nie in ärztlicher Behandlung, obwohl sie seit durchschnittlich acht Jahren mit den Symptomen zu kämpfen hatten. Dabei solle man bereits dann zum Arzt gehen, wenn z. B. ein Gelenk über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen geschwollen ist, betont ÖGR-Präsident Univ. Prof. Dr. Winfried Graninger: „Das ist der beste Zeitraum für einen frühzeitigen Therapiebeginn.“

Frauen leiden stärker

Frauen, die von einer rheumatischen Erkrankung betroffen sind, leiden mehr als Männer. Das heißt: Frauen leiden stärker unter den Schmerzen und Funktionseinschränkungen. Und sie schätzen ihren Gesundheitszustand deutlich schlechter ein.

Dazu kommt, dass die Gesellschaft mit an Rheuma erkrankten Frauen anders umgeht als mit betroffenen Männern: „Frauen berichten mir häufiger als Männer, dass sie aufgrund ihrer Rheumaerkrankung Probleme am Arbeitsplatz haben, was bis zur Kündigung und zu großen Problemen bei der Wiedereinstellung gehen kann“, betont Rheumatologin Dr. Judith Sautner. „Gerade an Polyarthritis erkrankte Frauen entsprechen mit ihrer sozusagen an den Händen ablesbaren Erkrankung nicht den momentan geltenden gesellschaftlichen Idealen von Schönheit und Mobilität.“

Habe ich Rheumatoide Arthritis?

Ein Selbsttest

Bemerken Sie bei sich mindestens vier dieser sieben Anzeichen, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie an Rheumatoider Arthritis leiden. Der Verdacht lässt sich mit ärztlichen Untersuchungen erhärten oder entkräften.

Typisch für Rheumatoide Arthritis sind folgende Symptome:
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1.    Steife Gelenke nach einer Ruhephase, besonders am Morgen
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2.    Schwellungen an mehr als zwei Gelenksregionen
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3.    Schwellungen der Handgelenke, der Fingermittel-
       und Fingergrundgelenke
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4.    Symmetrische Schwellungen der gleichen Gelenke
       auf beiden Körperseiten
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5.    Rheumaknoten unter der Haut, über Knochenvorsprüngen
       oder in Gelenknähe
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6.    Typische Veränderungen im Röntgenbild wie Knochendefekte
       oder Entkalkungen
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7.    Nachweis des „Rheumafaktors“ im Blut
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Habe ich Morbus Bechterew?

Ein Selbsttest

Fast jeder Mensch leidet irgendwann einmal an Rückenschmerzen. Dieser Test
hilft Ihnen, den für Morbus Bechterew typischen entzündlichen Rückenschmerz von anderen Rückenschmerzen, etwa bei Bandscheibenleiden, zu unterscheiden. Wenn Sie mindestens zwei dieser Fragen mit Ja beantworten und die Beschwerden schon länger als drei Wochen bestehen, sollten Sie die Ursache ärztlich abklären lassen.

Typisch für Morbus Bechterew sind folgende Symptome:
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1.    Wachen Sie in der Nacht – insbesondere in der zweiten Nacht-
       hälfte oder in den frühen Morgenstunden – häufig aufgrund
       von Rückenschmerzen auf und befinden sich diese Schmerzen
       hauptsächlich im Kreuz oder im Gesäß?
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2.    Leiden Sie an (zwischen rechts und links) wechselndem
       Gesäßschmerz?
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3.    Sind Sie morgens beim Aufstehen in der Lendenwirbelsäule
       steif und dauert die Morgensteifigkeit länger als 30 Minuten?
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4.    Bessern sich Ihre Beschwerden, wenn Sie sich eine Zeit
       lang bewegen, aber verschlechtern sie sich, wenn Sie längere Zeit
       ruhig sitzen oder liegen?
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